Wildcat-Zirkular Nr. 50/51 - Mai/Juni 1999 - S. 39-43 [z50kosov.htm]


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Zur Situation im Kosovo

Mehrmals in diesem Jahrhundert war die Trennung in »Albaner« und »Serben« für Mord und Vertreibung im Kosovo gut. Als nach dem ersten Balkankrieg das Kosovo wieder an Serbien angegliedert wurde, gingen die neuen serbischen Herren gewalttätig gegen die albanischen Kosovaren vor. Umgekehrt kam es im Ersten Weltkriegs, als die serbische Armee sich zurückziehen mußte, zu Vertreibungen der serbischen Bevölkerung. In der Zwischenkriegszeit wurden Albaner und Türken vertrieben. Inbesondere während des Zweiten Weltkriegs kam es wieder zu massiven Vertreibungen der ethnisch serbischen Bevölkerung aus dem Kosovo, das bis 1943 dem italienischen Marionettenstaat Großalbanien angegliedert und dann Rekrutierungsfeld der SS-Division Skanderbeg war.

Bereits unmittelbar nach der Befreiung von der faschistischen Besatzung führten anti-kommunistische Partisanenverbände bewaffnete Aktionen im Kosovo durch. Diese Widerstandsbewegung konnte zwar mit Hilfe der albanischen Kommunisten niedergeschlagen werden, doch anders als in den übrigen Gebieten Jugoslawiens und Albaniens blieben die Kommunisten im Kosovo zunächst eine verschwindende Minderheit. So stieß auch die Bildung eines einheitlichen jugoslawischen Staates im Kosovo wenn nicht auf offenen Widerstand, so doch zumindest auf verhaltene Ablehnung.

Nach der Abkehr Jugoslawiens vom sozialistischen Block unter Führung Moskaus 1948 komplizierten sich auch die Beziehungen zum Nachbarland Albanien. Der Traum von einer Balkan-Konförderation unter Einbeziehung Albaniens und Jugoslawiens war ausgeträumt. Die albanischen Kosovaren galten dem jugoslawischen Staat für lange Zeit als potentielle Kollaborateure mit dem gegnerischen albanischen Regime. Die Säuberungswellen gegen moskauorientierte Kommunisten in den folgenden zwei Jahrzehnten richteten sich im Kosovo speziell auch gegen die Gefahr einer Verschmelzung von stalinistischer und albanisch-nationalistischer Opposition.

Erst Mitte der 60er Jahre entspannte sich die Situation. Ein großangelegtes staatliches Entwicklungsprogramm förderte vor allem den Bergbau und die Energieindustrie. Parallel dazu wurde der Bildungssektor in einem Maße ausgebaut, dem die reale wirtschaftliche Entwicklung hinterherhinkte. Die wenigen neu entstandenen Arbeitsplätze in den geförderten Industrien konnten die Landflucht, die die Modernisierungsmaßnahmen ausgelöst hatten, nicht auffangen. Die weiterhin existierende Subsistenzproduktion und die Familienverbände milderten zwar die zunehmende Arbeitslosigkeit; sie ließ sich Ende der 70er Jahre aber auch in offiziellen Zahlen nicht mehr leugnen.

Diese Entwicklungen gingen einher mit einem rapiden Bevölkerungswachstum in der Region (die höchste Geburtenrate Europas) und einer Abwanderung serbischer wie albanischer Bevölkerungsteile, die für sich im »Armenhaus Jugoslawiens« keine Zukunft sahen und Arbeit in anderen Teilen Jugoslawiens oder in Westeuropa suchten. Der albanische Bevölkerungsanteil im Kosovo erhöhte sich in diesen Jahren von zwei Dritteln auf über 80 Prozent. Diese Abwanderung von Serben aus wirtschaftlichen Gründen wurde von serbischen Nationalisten schon früh als Beweis für die »Vertreibung« seitens der albanischen Bevölkerungsmehrheit benutzt.

Aufgrund immer wieder aufflammender Protestaktionen gestand die jugoslawische Regierung dem Kosovo Ende der 60er Jahre immer größere Autonomie zu, was die Herausbildung einer eigenen Führungsschicht beschleunigte. 1974 erreichte das Kosovo den Status eines autonomen Gebiets innerhalb Jugoslawiens mit eigenem Parlament, Polizei und Vetorecht innerhalb der jugoslawischen Konförderation, aus der es jedoch nicht austreten konnte, da es weiter zur Republik Serbien gehörte.

Nach dem Tode Titos im Mai 1980 verstärkten sich die Bestrebungen der kosovarischen Verwaltung und der Bevölkerung, Republikstatus innerhalb Jugoslawiens zu erlangen. Die Revolten und Demonstrationen der folgenden Jahre waren oft mit einer solchen Forderung verbunden. Anfang der 80er Jahre entstand in der Verbindung von politischem Protest und Streikbewegungen eine Allianz aus Intellektuellen und Arbeitern, die bis Anfang der 90er Jahre für die Aufstandsbewegungen bestimmend war. Nach der Niederschlagung der Bewegungen Anfang der 80er Jahre entstanden zahlreiche Untergrundzirkel, die sich zum »Mutterland« Albanien hinwandten und sich an den Ideen Enver Hodschas orientierten. Diese Gruppen existierten sowohl im Exil als auch im Kosovo selbst und wurden teilweise vom albanischen Geheimdienst betreut. In diesen militanten »envaristischen« Gruppen sind die organisatorischen Wurzeln der heutigen Guerilla-Armee UÇK zu finden.

Nach 1981 nahm die Auseinandersetzung zwei Wege. Einerseits wurde die albanische Opposition gezielt unterdrückt. Die intellektuellen Köpfe dieser Opposition, Hunderte von Professoren und Lehrern wurden aus dem Staatsdienst entlassen. Andererseits wurde das Kosovo in der zweiten Hälfte der 80er Jahre als mittelalterliches serbisches »Kernland« zum Symbol eines gezielt geschürten neuen serbischen Nationalismus.

Die breite kosovarische Generalstreikbewegung im Frühjahr 1989 veranlaßte die jugoslawische Bundesregierung, auch formal den Autonomiestatus für das Kosovo aufzuheben, der durch die Ausrufung des Ausnahmenzustands schon seit Ende der 80er Jahre außer Kraft gesetzt war. Innerhalb des zerfallenden Jugoslawiens war die Region nun wieder zu 100 Prozent ein Teil Serbiens. Gegen die Proteste der Bevölkerung setzte die jugoslawische Regierung bereits damals auf Panzer, Flugzeuge und Verstärkung der Polizeieinheiten. Die Situation eskalierte dennoch (noch) nicht.

Trotz (oder wegen) der fortgesetzten Repression wurde 1990 im Kosovo ein eigenes Parlament gewählt, und die neue Regierung erklärte die Unabhängigkeit der Region. Angesichts der Kräfteverhältnisse innerhalb Jugoslawiens war diese Unabhängigkeitserklärung eher der Ausdruck eines Wunsches als die Feststellung einer Tatsache. Der sich bereits damals abzeichnende Konflikt ging aber zunächst in den Kriegen in den anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens (zunächst Kroatien, später Bosnien) unter. In dieser Zeit entwickelte sich im Kosovo eine Untergrundrepublik, ein »Staat im Werden«. Dieser Parallelstaat organisierte gegen die Serbisierung des Bildungswesens ein eigenes Schulsystem in Privatwohnungen bis hin zur Universität. Es gab ein unterentwickeltes, aber vom serbischen Staat unabhängiges Gesundheitswesen, und die »Republik Kosovë« trieb Steuern ein. Eine wichtige Basis dieser Republik im Untergrund war der Pazifismus, den die Intellektuellen um Rugova quasi zur Staatsräson machten und der eine breite Basis in der Bevölkerung hatte. So verzichtete dieser »Staat« auf Militär oder Polizei und verhinderte die Eröffnung einer zweiten Front im Kosovo während des Kroatien-Krieges.

Nachdem 1995 im Abkommen von Dayton die Grenzen der Republik Serbien und damit Kosovo als Teil Serbiens international festgeschrieben wurden, veränderte sich auch das Verhältnis der Kosovo-Albaner zum bewaffneten Widerstand. Die UÇK, deren Gründung bereits 1992 bekanntgegeben worden war, deren Existenz aber immer wieder angezweifelt wurde, hatte die letzten Jahre damit verbracht, ein Netz von Militanten zu organisieren. 1996 verübte die UÇK Bombenanschläge auf fünf serbische Flüchtlingslager in der Krajina und mehrere Anschläge auf serbische Polizisten. Die Untergrundarmee stützte sich auf die im Kosovo vorhandenen Clanstrukturen. Das verschaffte ihr eine starke lokale Verankerung und die Möglichkeit, Informationen über »Kollaborateure« zu erhalten, die systematisch liquidiert wurden. War die Bewaffnung zunächst ein Problem, so gelangten nach dem Volksaufstand in Albanien 1997, massenhaft Waffen an die Untegrundkämpfer. Im November 1997 traten UÇK-Kämpfer erstmals öffentlich - vermummt und in Uniform - bei einem Begräbnis auf.

Zu diesem Zeitpunkt, heißt es, kontrollierte die UÇK bereits einen Teil des Kosovo. Daraufhin wurden Anfang 1998 die serbischen Militär- und Polizeieinheiten verstärkt, was die Auseinandersetzungen weiter verschärfte. Am 2.3. wurde eine Großdemonstration in Priştina gegen die »serbische Terrorherrschaft« von der Polizei brutal zusammengeknüppelt. Am 4.3.1998 töteten serbische Polizeieinheiten 80 Menschen beim Sturm auf das Anwesen Adem Jascharis, einem albanischen Hardliner, von dem es heißt, er wäre kein politisch organisierter UCK-Militanter gewesen, sondern ein Raufbold, der bereits mehrmals auf Serben geschossen hatte.

An diesem Punkt war die Dynamik im Kosovo nicht mehr zu bremsen. Einerseits bewaffneten sich Teile der Bevölkerung und schlossen sich der UÇK an (was oft einfach hieß, daß sich eine bewaffnete Gruppe fortan UÇK nannte). Andererseits reagierten serbische Polizeieinheiten mit brutalen Übergriffen, um das für sie nicht zu lösende Gewirr sozialer Beziehungen zu zerschlagen. Familien wurden aus ihren Häusern getrieben und ermordet, wie in dem kosovarischen Dorf Lukshan, wo alle zehn männlichen Angehörigen der Familie des ehemaligen Bürgermeisters (zwischen 16 und 40 Jahren alt) erschossen oder erschlagen wurden. Der Terror der Polizei führte wiederum dazu, daß sich weitere Leute bewaffneten, und andere ihr Heil in der Flucht suchten.

Am 9.3.98 kam es noch einmal zu Demonstrationen Hunderttausender von Kosovo-Albanern gegen den Polizeiterror, die teilweise verhindert wurden, andernorts unter starker Präsenz der Bullen stattfinden konnten.

Zu dieser Zeit scheinen auch serbische Paramilitärs, die teilweise schon Erfahrungen aus den vorangegangenen Kriegen haben, ins Kosovo verlegt worden zu sein. In diesem Zusammenhang ist auffällig, daß in Verbindung mit Massakern und Vertreibungen bis Anfang 1999 fast ausschließlich von serbischen Polizeieinheiten die Rede war. Das Militär, von dem es hieß, es würde sich mehr als die Regierung der »jugoslawischen Idee« (eines Vielvölkerstaates) verbunden fühlen, schien dem kriegerischen Treiben größtenteils zuzuschauen.

Im Verlauf der Kämpfe verhärteten sich die Fronten zwischen der albanischen Bevölkerung im Kosovo und der serbischen, die zum Teil erst nach ihrer Vertreibung aus der kroatisch gewordenen Woijwodina dort angesiedelt worden war. Es kam zu serbischen Demonstrationen unter dem Motto 'Kosovo ist serbisch' und zu Aktionen der serbischen Studenten in Pristina gegen die Wiedereinführung albanischer Fakultäten.

Andererseits sahen viele Kosovo-Albaner für sich keine Möglichkeit mehr für ein Leben innerhalb (Rest-)Jugoslawiens. Ihre Forderungen richteten sich nicht mehr auf die Wiederherstellung des alten Autonomiestatus, sondern grundsätzlich gegen das »serbische Terrorregime«, insbesondere nachdem der ultrarechte serbische Nationalist Vojislav Seselj, der im Bosnienkrieges als Milizenchef für das Programm ethnischer Säuberungen eingetreten war, stellvertretender Ministerpräsident geworden war.

Bis zum Sommer wurden die Vertreibungsaktionen ausgeweitet. Die serbischen Bullen richteten zahlreiche Straßensperren ein, kontrollieren Autos und Busse, wobei Insassen geschlagen und zum Teil schwer verletzt wurden. Die Säuberungen wurden im Kosovo als Kampf gegen die »Terroristen« durchgeführt. Ganze Dörfer wurden mit schwerer Artillerie angegriffen und zerstört, »um die Polizeieinheiten nicht unnötig zu gefährden«. Wo die Menschen aus den Häusern getrieben wurden, wurden diese anschließend unbewohnbar gemacht oder angezündet.

Die Terroraktionen der serbischen Bullen und Paramilitärs haben das geleistet, was sie sollten. Sie lösten eine Flüchtlingswelle aus. Im Sommer 1998 befanden sich mehrere 10 000 Menschen auf den Straßen oder in den Wäldern des Kosovo, andere flüchteten nach Montenegro oder Albanien. Insgesamt waren ca. 100 000 Menschen (das UHNCR sprach von etwa zehn Prozent der Bevölkerung) auf der Flucht. In Mitrovica löste die serbische Polizei ein Camp, in dem sich 40 000 Flüchtlinge befanden, gewaltsam auf. Flüchtlinge, die das Krankenhaus von Pristina aufsuchten, mußten sich zunächst einem Polizeiverhör stellen.

Als die NATO im Herbst 1998 mit Luftangriffen gegen Serbien drohte, zog das Regime zunächst Teile des Militärs und der Polizei aus dem Kosovo zurück. Im März 1999 erklärte die NATO die Verhandlungen von Rambouillet für gescheitert und begann mit massiven Luftangriffen auf das gesamte jugoslawische Territorium. Ein Schwerpunkt dieser Angriffe lag im Kosovo. Dennoch verlegte die serbische Armee neue Verbände in die Region und begann dort eine neue Offensive gegen die albanische Bevölkerung. Umgekehrt unternimmt auch die mittlerweile zur »Bodentruppe der NATO« avancierte UÇK nationalistische Säuberungen gegen den serbischen Bevölkerungsteil.

Die Verschärfung der Vertreibungsmaßnahmen und die Luftangriffen haben die soziale Struktur des Kosovo endgültig zerstört. Der Krieg offenbart sich als Vernichtungskrieg gegen eine widerständige soziale Struktur. Die bewaffneten und mobilen Arbeiter-Bauern des Kosovo stellen einen auch fürs westliche Kapital gefährlichen Sprengstoff dar. Insofern liegt die Vernichtung der kosovarischen Gesellschaft und die angestrebte Kontrolle der Flüchtlinge durch die NATO sowohl in der Logik des serbischen Regimes wie in derjenigen der NATO.


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