Wildcat-Zirkular Nr. 50/51 - Mai/Juni 1999 - S. 16-18 [z50alban.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 50/51] [Ausgaben] [Artikel]

Entwicklung in Albanien - oder:

Wenn die Aufstände sterben

Der Krieg der NATO beschränkt sich nicht nur auf Serbien. Er bedeutet eine Militarisierung Südosteuropas.

Seit der endgültigen Krise der abgeschotteten Wirtschaft Albaniens Ende der 80er Jahre beklagen westliche Wissentschaftler die noch nicht weit genug vollzogene »Transformation« Albaniens. Gemeint ist eine profitable Einbindung in das internationale Ausbeutungsregime. Angriffe auf den Lebensstandard haben die ArbeiterInnen immer wieder mit Streiks aber auch mit Abwanderung beantwortet, anstatt vor Ort als Billigarbeitskräfte zur Verfügung zu stehen.

Albanien ist eines der kleinsten Länder auf dem Balkan, es leben etwa drei Millionen Menschen dort. Ungefähr nochmal soviele albanischsprachige Menschen leben in anderen Ländern: die meisten im Kosovo. Vor einigen Jahren hätten viele Albanien als Dritte-Welt-Land bezeichnet, Albanien wird oft als das Armenhaus Europas beschrieben. Dabei darf nicht vergessen werden, daß Albanien bis vor kurzem ein Industrieland war.

Von 1948-61 war Albanien mit der SU verbündet, danach bis Mitte der 70er mit China. Nach dem Ende der Bündnisse versuchte das albanische Regime, eine wirtschaftliche Selbstversorgung zu erreichen. Doch mit dem Zusammenbruch des Ostblocks war eine Abschottung angesichts der sich globalisierenden Bedürfnisse der ArbeiterInnen nicht mehr möglich.

Ende der 80er Jahre wird vom Regime versucht, das alte zentralisierte Wirtschaftssystem zu zerschlagen. Die Landwirtschaft soll dezentralisiert werden, unproduktive Industrien aufgelöst und Arbeitskräfte freigesetzt werden. Auf diese Maßnahmen reagierten die ArbeiterInnen 1991 mit einen Generalstreik, der 80 Prozent des Lohns durchsetzte, auch wenn die Betriebe nicht mehr produzieren. Weitere Privatisierungsmaßnahmen unterblieben in der Folge oft oder sie liefen anders als geplant: Ehemalige GenossenschaftsarbeiterInnen nahmen die Privatisierer beim Wort und schnappten sich z.B. die Traktoren.

Anfang der 90er bildeten sich in Albanien Geldanlagefirmen, sogenannte Pyramiden, die sich Geld für ihre Investitionen privat von den Leuten liehen, da es in Albanien keine Privatbanken gab und die staatlichen Sparkassen nicht soviel Kredite vergeben konnten. Die Anlagefirmen boten hohe Zinsen, und viele legten ihr Geld an, statt als Billigarbeitskräfte zu schuften. 500 000 bis 800 000 AlbanerInnen verliehen Geld, das oft aus Landverkäufen, aber auch aus Schmuggel oder Einnahmen aus dem Ausland, wo zu dieser Zeit ca. 500 000 Albaner arbeiteten, herrührte. Das Einlagevolumen wurde auf 2 bis 3 Milliarden Dollar geschätzt.

Als Anfang Januar 1997 die Pyramiden zusammenbrachen, verloren die ArbeiterInnen ihre Ersparnisse. Die erste Anlagefirma kollabierte, die Regierung sperrte die Konten von zwei Firmen, doch die Antwort der ArbeiterInnen blieb nicht aus: Die Einleger versammelten sich in mehreren Städten und forderten ihr Geld zurück. Es kam in mehreren Städten zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Wut richtete sich zuerst gegen den Präsidenten Berisha, weil er die Konten sperren ließ, doch bald war allen klar, daß die Ersparnisse weg waren. Viele Demonstrationen und Krawalle folgten, Polizei-, Gerichts- und SHIK-Gebäude (der verhaßte Geheimdienst) wurden abgefackelt, Gefängnisse geöffnet und Militärgebäude eingenommen. Die Bevölkerung bewaffnete sich. Es bildeten sich autonome Gemeindeverwaltungen. In den Städten bildeten sich Komitees, um das Zusammenleben und Überleben zu organisieren. Mitte März hatte der Aufstand ein Viertel des Landes eingenommen. Die Regierung mußte abtreten, und Vertreter aus 21 Komitees forderten eine Übergangsregierung mit ihrer Beteiligung.

Die EU-Staaten waren durch den Aufstand alarmiert, alle politischen Parteien in Tirana, sowie Italien und Griechenland, forderten ein militärisches Eingreifen. Die EU schreckte davor zurück, militärisch gegen ein bewaffnetes Volk vorzugehen. Mitte April wurden 7 000 Soldaten (hauptsächlich aus Italien und Griechenland) mit UNO-Mandat nach Albanien geschickt: »humanitäre Maßnahmen« und »Wiederaufbau von staatlichen Strukturen« lautete der Auftrag. Neuwahlen wurden im Sommer durchgeführt, und die Sozialisten bekamen die Mehrheit im Parlament. Aber auch sie konnten die Situation nicht soweit stabilisieren, daß Albanien für das internationale Kapital als eine sichere Region gilt.

Heute, zwei Jahre nach dem Aufstand, wird Albanien durch die Kosovo-Flüchtlinge, die UÇK und den NATO-Aufmarsch vollkommen umgekrempelt. Die albanische Regierung hat inzwischen die gesamte Infrastruktur des Landes der NATO zur Verfügung gestellt. Offizielle Begründung für die Anwesenheit von UNO und NATO-Soldaten ist die »humanitäre Hilfe« fürs Kosovo. Nach einem Bericht des trotzkistischen Militant aus den USA befanden sich Mitte Mai 20 000 NATO-Soldaten in Albanien. Der Hafen von Durres, der größte des Landes, sei von NATO-Truppen übernommen, niemand könne das Gelände ohne Erlaubnis der albanischen Armee und der NATO betreten. Die Küste südlich des Hafens sei kilometerweit abgesperrt und in eine NATO-Basis verwandelt.

Die albanischen Mafia-Gruppen sollen befohlen haben, die NATO nicht als Feind zu sehen, sondern mit den Armeen und Hilfsorganisationen Versorgungsdeals abzuschließen. Hilfslieferungen werden abgefangen und anderweitig verkauft. Der Job des Polizeichefs am Flughafen von Tirana ist so lukrativ, daß er für 250 000 Dollar jeweils für 3 Monate verkauft wird.

Zu den Militärs kommen Tausende von Beschäftigten und Funktionären internationaler Organisationen sowie Hunderte von Journalisten. Sie alle bringen sehr viel Geld ins Land.

Die Flüchtlinge selbst müssen für Privatunterbringung von ihren Verwandten in Deutschland oder der Schweiz 500 Mark im Monat aufbringen.

Die albanische Regierung, die seit dem Aufstand das Land ohnehin nicht wieder voll unter Kontrolle bekommen hatte, ist inzwischen pleite. Jane's Intelligence Review berichtet, daß die Regierung in ausländischen Botschaften betteln gehen mußte, um die Flugtickets für den NATO-Gipfel im April zu bezahlen.

Bezahlen sollen die ArbeiterInnen und Bauern. Schon vor dem Krieg im Kosovo sind aus vielen Gemeinden immer mehr Wanderarbeiter nach Griechenland oder Mazedonien gependelt. Jetzt zeichnen sich Flüchtlings- und Barackenlager in Albanien ab, aus denen sich billige Arbeitskräfte rekrutieren lassen. Der Krieg macht möglich, was in der Situation vor zwei Jahren nicht durchsetzbar schien: UNO und NGOs schaffen Regelungen für das öffentliche Leben, die NATO kontrolliert die Migrationsbewegungen von ArbeiterInnen, die 1997 bewaffnet einen Staat zerschlagen haben.

(Siehe auch die ausführliche Darstellung der Revolte in Albanien von 1997 in:
Albanien - lieber das Chaos der Revolution als die (Welt-) Ordnung der Herrschenden, Wildcat-Zirkular 36/37, April 1997)


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 50/51] [Ausgaben] [Artikel]