Wildcat-Zirkular Nr. 42/43 - März 1998 - S. 34-39 [z42aufpa.htm]


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Paßt bloß auf!!

Ein Überblick über die zentrale Steuerung der Verarschung der SozialhilfeempfängerInnen

Nach dem »Bundessozialhilfegesetz (BSHG)« hat in Deutschland jeder und jede, der/die nicht illegalisiert hier lebt und bereit ist, sich registrieren zu lassen, einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe. Seit über einem Jahr ist die Administration allerdings generalstabsmäßig dabei, diesen Rechtsanpruch auf Sozialhilfe auszuhöhlen und praktisch zu beseitigen.

Wenn also wie zur Zeit die Wahrheitsministerien nicht nur propagandistisch für die Senkung der Arbeitslosenzahlen die Werbetrommel rühren, sondern gleichzeitig eine Hetzkampagne zum Thema »Innere Sicherheit« anzetteln, liegt die Frage nahe, wie denn die steigende Zahl derer, die überhaupt keinen (unsicheren) Arbeitsplatz ergattern können, überleben soll.

Natürlich haben die Herrschenden einerseits das Interesse, den »Verlierern des Modernisierungsprozesses« (Der Sozialhilfereport Nr. 10, Sept. 97) sowenig wie möglich zu zahlen. Kontrollieren wollen bzw. müssen sie aber doch, sonst gibt's noch Aufstände, und das wollen sie natürlich nicht.

Um ihren Anspruch, soviel Kontrolle wie möglich bei möglichst niedrigen Kosten, optimal umzusetzen, machen sie momentan die verschiedensten Experimente. Diese Experimente dienen dazu, herauszufinden, wie weit sie gehen können, ohne daß ihnen ihr »Humankapital« aus dem Ruder läuft.

Deshalb gehen sie ausdrücklich regional unterschiedlich vor. In den Niederlanden probieren sie ein anderes System als in Deutschland. In Deutschland probieren sie wiederum in Lübeck ein anderes System als in Hamburg, und in Hamburg schließlich probieren sie im Bezirk Harburg was anderes aus als in St. Pauli. Die (Zwischen-) Ergebnisse ihrer Experimente vergleichen sie dabei zu gegebener Zeit.

In Hamburg veröffentlicht die »Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS)« in Zusammenarbeit mit dem »Senatsamt für Bezirksangelegenheiten (SfB)« eine eigene Propagandazeitschrift mit dem Titel »Der Sozialhilfereport (SozRep)«. Das Machwerk erscheint vierteljährlich in einer Auflage von 4 500 Exemplaren und kann kostenlos beim Landessozialamt in der Hamburger Str. 47 abgeholt werden.

Der hier unvollständig versuchte Überblick über die aktuelle Steuerung der SozialhilfeempfängerInnen stammt neben direkten eigenen Erfahrungen als AntragstellerIn auf einzelnen Sozialämtern aus dieser Quelle.

Bereits 1995 wurden einer privaten Zeitarbeitsfirma direkt im Sozialamt Lokstedt Räume zur Verfügung gestellt. SozialhilfeempfängerInnen wurden aufgefordert, sich der Vermittlung durch diese Zeitarbeitsfirma zu unterwerfen. Denjenigen, die sich weigerten, mit den modernen Sklavenhändlern zu kooperieren, wurde die Sozialhilfe gestrichen.

Die Sozialämter beriefen sich dabei auf § 2 BSHG, der besagt, daß Sozialhilfe nur erhält, wer sich nicht selbst helfen kann. Sie begannen also bereits 1995, SozialhilfeempfängerInnen zu Zeitarbeitsfirmen zu schicken, obwohl die »fachlichen Weisungen« für Hamburg diese Praxis untersagen.

Im August 1996 erfolgte dann eine bundesweite Gesetzesänderung, nach der die Ablehnung zumutbarer Arbeit durch SozialhilfeempfängerInnen zu einer mindestens 25-prozentigen Kürzung der Sozialhilfe führt (§ 25 BSHG, SozRep 6, Dez. 96, S. 11).

Der Auslegungsspielraum des BSHG wird auf kommunaler Ebene mithilfe dieser sog. »fachlichen Weisungen« eingegrenzt. Dabei handelt es sich um eine Loseblattsammlung, die gewährleisten soll, daß innerhalb einer Kommune die Bewilligungspraxis der Sozialämter einheitlich gehandhabt wird. Die »fachlichen Weisungen« konnten bis 1996 in den »Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HÖB)« eingesehen werden.

Die Sozialämter kommen bekanntlich ihrer Beratungsverpflichtung bezüglich der Hamburger Bewilligungspraxis schon lange nicht mehr nach. Die Bewilligung von Sozialhilfe erfolgt auf Antrag. Wer nicht weiß, was im Einzelfall beantragt werden kann (z.B. Weihnachtsbeihilfe vom 1. bis 24. Dezember), erhält auch nichts.

Auf den Ämtern selbst wurde die Bitte um Einsicht in die »fachlichen Weisungen« nach unserer Erfahrung verweigert. Hartnäckig Nachfragende wurden in die Bücherhallen geschickt.

Seit 1997 sind die »fachlichen Weisungen« aber aus den HÖB verschwunden. Parallel dazu wird im SozRep 7 von März 1997 auf S. 4 die Absicht der »Entwicklung eines Informationssystems für Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter, das - mit EDV-Unterstützung - ein aktuelles, einheitliches transparentes und leicht handhabbares System aller Sozialhilferegelungen beinhaltet«, dargelegt.

Bereits seit März 1996 arbeitet in der Sozialhilfeverwaltung auch eine »Projektgruppe Herkules«. Sie will Instrumente der Steuerung und des betriebswirtschaftlichen Controlling in der Sozialhilfe entwickeln und in der Praxis erproben (SozRep 7, März 97, S. 22 ff.).

Ein Schwerpunkt der Arbeit von »Herkules« ist die Integration weiterer Bereiche in das »Projekt Sozialhilfeautomatisation (PROSA)«. Mit PROSA ist die Computerisierung der Sozialhilfe gemeint; wesentliche Arbeitsschritte der Sachbearbeitung, die Dokumentation und die Auswertung übernimmt ja auch schon lange »Kollege Computer«. Die Wohngeldabteilungen in Hamburg sind ein Beispiel für Verwaltungsbereiche, die noch nicht computerisiert sind und durch »Herkules« in PROSA eingebaut werden sollen. Daneben befaßt sich »Herkules« u.a. mit den »einmaligen Leistungen« wie z.B. Hausratsgegenständen, Weihnachtsbeihilfe etc.

Hierzu offeriert die Projektgruppe Herkules in SozRep 7 den »lieben Kollegen und Kolleginnen in den Sozialdienststellen: »(...) In Kürze erreicht Sie eine neugefaßte SOL-Verfügung, aus der Sie alle Hilfeleistungen dieses Bereiches mit den geltenden fachlichen und finanziellen Vorgaben für die Bewilligung auf 'einen Blick' entnehmen können. Wir hoffen, daß Sie auf diese Weise in Zukunft weniger Zeit für die Ermittlung des konkreten Bedarfs und Leistungsumfangs aufwenden müssen und stattdessen mehr Zeit für die persönliche Beratung der Hilfeempfänger einsetzen können, um sie aus dem Bezug von Sozialhilfe zu lösen.«

Von April bis November 1996 lief in allen Hamburger Sozialdienststellen die Aktion »Konto für alle - ZzV Nein Danke«.

Es sollten hierdurch möglichst viele SozialhilfeempfängerInnen genötigt werden, sich ein Girokonto bei einer Bank einzurichten. Damit sollte ein doppeltes Ziel verfolgt werden: Ein Konto wird als wesentliche Voraussetzung für eine Arbeitsaufnahme von SozialhilfeempfängerInnen gesehen; gleichzeitig gehen die Kosten der Überweisung aufs Konto zu Lasten der HilfeempfängerInnen. Die Sozialämter sparen bei jeder dadurch entfallenden »Zahlungsanweisung zur Verrechnung (ZzV)« nach eigener Berechnung 12 DM.

Erstmalig wurde für diese Aktion ein Anreizsystem etabliert: Die einzelnen Sozialdienststellen wurden an den Ersparnissen zu 50 Prozent beteiligt. Die Aktion ergab, daß bis Dezember 1996 6 000 SozialhilfeempfängerInnen ein Konto neu eingerichtet hatten und daß die ZzV-Praxis fast gänzlich abgeschafft wurde.

Es gibt zwar immer noch die Möglichkeit der Barauszahlung von Sozialhilfeleistungen - das Versprechen der automatischen Zahlung aufs Konto ist aber natürlich für viele verlockend. Wer dennoch auf Barauszahlung besteht oder bestehen muß, kriegt sie nur noch in dringenden Fällen und unter Murren der SachbearbeiterInnen.

In der Sozialdienststelle St. Pauli gab es dann im November 1996 die Überraschung, daß Mitte des Monats noch kein Geld auf den Konten der gutgläubigen HilfeempfängerInnen eingegangen war. Darüber hinaus war die Dienststelle vom 17. bis 21. November ohne Vorwarnung geschlossen. Es gab nur einen Notdienst, wo den Leuten z.T. gesagt wurde, daß sie wegen einem Monat Mietrückstand vermutlich nicht gleich gekündigt würden bzw. daß sie doch ihr Konto so weit wie möglich überziehen sollten. Hier noch an einen Zufall oder an einen Computerfehler zu glauben, erscheint phantastisch, zumal die Auszahlung auf Konten zentral gesteuert wird, der »Fehler« jedoch nur diese eine Dienststelle betraf. Ausgerechnet beim Sozialamt St. Pauli läuft außerdem ein Modellversuch, bei dem alle Vorsprachen von nur noch drei SachbearbeiterInnen bearbeitet werden (»Rezeptionssystem«) und durch einen privaten Wachdienst offene Repression gegenüber AntragstellerInnen betrieben wird.

Den AntragstellerInnen beim Sozialamt Altona bleiben zwar Schikanen durch bewaffnete Wachdienstler erspart. Das sogenannte Rezeptionssystem wurde aber auch hier eingeführt und zudem scheint Altona eine Vorreiterrolle bei der Terminvergabepraxis zu spielen.

Das bedeutet konkret, daß für »Fallaufnahme und Neuzugänge« ein einziges Büro zuständig ist, wo im Schnitt zwei SachbearbeiterInnen arbeiten. Diese lassen sich zunächst ohne Berücksichtigung des Datenschutzes die jeweiligen Notlagen schildern, die Voraussetzung für eine Sozialhilfegewährung sind. Wenn die Leute nicht gleich abgewiesen werden können, bekommen sie eine Wartenummer und sollen vor demselben Büro warten, bis sie aufgerufen werden. Bei entsprechender Hartnäckigkeit können sie dann im Höchstfalle erreichen, daß sie einen Termin (mitunter zwei Wochen später) zur erneuten Vorsprache bekommen.

Hierbei wird bereits überprüft, ob sie die Voraussetzung der unmittelbar bestehenden Mittellosigkeit erfüllen - eine Überbrückungszahlung bis zum Termin oder wenigstens bis zum nächsten Sprechtag wird aber abgelehnt. Die SachbearbeiterInnen sind angewiesen, die Leute zur Kontoüberziehung, zum Anpumpen irgendwelcher Angehöriger o.ä. aufzufordern.

Das bedeutet die faktische Abschaffung der Sozialhilfe, da sie dann beim Termin auf § 2 BSHG hinweisen können, wonach Sozialhilfe nur erhält, wer sich nicht selbst helfen kann. Da die AntragstellerInnen nach zwei Wochen Mittellosigkeit ohne Sozialhilfe noch am Leben sind, erbringen sie also selber den Beweis, daß sie nach § 2 BSHG keinen Anspruch haben!!!

Die zuletzt genannten Neuerungen (Konten, Terminvergabe) sind von der Projektgruppe MoVeS (Modellversuch effektive Sozialhilfe) erarbeitet worden. Sie stellen allerdings »nur« eine Verbesserung der Rahmenbedingungen dar, »damit die SachbearbeiterInnen erfolgreich an der Loslösung einzelner HilfeempfängerInnen arbeiten können« (SozRep 7, März 97, S. 26).

Den Kern ihrer Arbeit sieht die Projektgruppe in »aktiver Hilfesteuerung«. Hierzu lief vom 1. September 1996 bis 31. Dezember 1996 die »1-Plus-Aktion«. Sie bestand in der Direktive, daß jedeR SachbearbeiterIn zusätzlich zum laufenden Geschäft eineN HilfeempfängerIn, der/die seit mindestens sechs Monaten Hilfe in Höhe von mindestens 800 DM monatlich erhielt, aus der Sozialhilfe schmeißen mußte. Um dies zu bewerkstelligen, wurden Hilfsmittel in Form von Fortbildungen, Tagungen und Workshops angeboten. Außerdem wurden schriftliche Hilfsmittel zur Verfügung gestellt (z.B. ein »Startpapier« mit Hinweisen zur Auswahl von 1-Plus-Fällen, eine Liste Hamburger Zeitarbeitsfirmen, eine Bewerbungsmustermappe etc.). Schließlich wurde die Möglichkeit zur Markierung der Plus-Fälle im PROSA-Verfahren eingerichtet. Die SachbearbeiterInnen können uns jetzt im Computer als »Plus-Fälle« markieren und dort auch die Gründe für eine teilweise oder vollständige Lösung aus der Sozialhilfe dokumentieren. Ergänzt wurde die Aktion durch die Einrichtung von sog. »Transfergruppenarbeit«, wobei besprochen wird, wie die Rausschmisse in den einzelnen Dienststellen am besten bewerkstelligt wurden.

Im Zuge der »1-Plus-Aktion« wurden in vier Monaten 501 Menschen ganz oder teilweise aus der Sozialhilfe geschmissen. Davon haben angeblich 289 Leute eine Vollzeitbeschäftigung und 133 eine Teilzeitbeschäftigung aufgenommen. 79 Menschen (das sind 16 Prozent) wurden einfach so rausgeschmissen.

MoVeS beziffert die dadurch erreichte Einsparung auf eine halbe Million DM. Deshalb lief dann natürlich 1997 auch gleich die »4-Plus-Aktion«. Unterschiedlich zusammengesetzte »Transfergruppen« und die Spezialisierung einzelner, freiwilliger SachbearbeiterInnen auf die Rausschmiß-Arbeit stellen die Optimierung der Ergebnisse aus der »1-Plus-Aktion« dar. Vor allem aber sollten 1997 Hamburg-weit 2000 Leute aus der Sozialhilfe geschmissen werden. Es ist zu befürchten, daß das auch geklappt hat.

Nicht genug damit, daß die Sozialbehörde in Hamburg von ihren Angestellten durch die neuen Direktiven verlangt, am Ast zu sägen, auf dem sie sitzen; mithilfe von Schulungen, Transfergruppenarbeit, Anreizsystem und vor allem durch Totalerhebungen unter den Beschäftigten in den Sozialdienststellen wird unverhohlenes Mobbing betrieben (vgl. SozRep 9, Juli 97, S. 6 ff. und SozRep 10, Sept. 97, S. 21 ff.).

Wie schon gegenüber den HilfeempfängerInnen ist der Datenschutz auch bezüglich der eigenen Beschäftigten nahezu gänzlich ausgehebelt. Bisher wurde die Belegschaft lediglich durch Nichtneubesetzung von Stellen verkleinert, für 1998 sind aber erste Entlassungen geplant.

Die rausgeschmissenen SozialhilfeempfängerInnen sollen in Hamburg vorrangig in den »ersten Arbeitsmarkt« überführt werden (SozRep 19, Sept. 97, S. 3). Zum »ersten Arbeitsmarkt« werden laut Definition der Sozialbehörde auch Zeitarbeitsverhältnisse und ähnlich unsichere Jobs gezählt. Für die Sichtung der Billiglohnsklaven werden dagegen keine Kosten und Mühen gescheut. So wurde bereits 1995 die niederländische Firma »Maatwerk« beauftragt, innerhalb von 12 Monaten 300 SozialhilfeempfängerInnen im Bezirk Harburg in Arbeit zu vermitteln. Dafür standen durchaus 1,2 Millionen DM Erfolgshonorar zur Verfügung.

Die Hamburger Sozialbehörde kritisiert arbeitsmarktpolitische Instrumente wie »Kombi-Lohn« und »Gemeinnützige Arbeit« (SozRep 10, Sept. 97, S. 2 und SozRep 11, Dez. 97, S. 2), denn in beiden Fällen bleiben die Menschen SozialhilfebezieherInnen und damit auch in der Statistik. Scheinheilig wird problematisiert, daß z.B. »Kombi-Lohn« einen Niedriglohnsektor schafft und schaffen soll. Die »Nebeneffekte« der Hamburger Experimente, daß nämlich viele Sozialhilfeberechtigte keine Neu- oder Folgeanträge mehr stellen, werden aber immer wieder gerne genommen.

So sehr Einzelnen gut bezahlte »Schwarzarbeit« oder andere illegale Geldbeschaffungsmethoden zu wünschen wären, werden auch in diesen Bereichen die Erträge gedrückt und die Bedingungen erschwert. Die Verantwortung für durch solche Methoden der »Lösung aus der Sozialhilfe« betriebene Kriminalisierung trägt natürlich nicht die Sozialbehörde, sondern der einzelne Mensch.


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