Wildcat-Zirkular Nr. 27 - Juli/August 1996 - S. 3-24 [z27bello.htm]


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Lavori in corso

Vorbemerkung der Zirkular-Redaktion:

Der folgende Aufsatz von Riccardo Bellofiore setzt sich kritisch mit dem Buch »Verabredungen zum Jahrhundertende« auseinander. Er ist aus einem Gespräch bei der Associazione del Lavoratori e delle Lavoratrici Torinesi (Allt) in Turin am 24. November 1995 entstanden. Der Titel ist ein Wortspiel: »Lavori in corso« heißt das gleiche wie das englische: »work in progress«; zugleich steht es aber auch auf Straßenschildern für »Vorsicht Baustelle«.

In der italienischen Ausgabe enthält das kritisierte Buch ein Essay von Pietro Ingrao und Rossana Rossanda, einen Briefwechsel zwischen den beiden, sowie Texte von Marco Revelli, Isidoro Mortellaro und K.S. Karol. In der soeben erschienenen deutschen Ausgabe wurden die letzten drei sowie einige Briefe weggelassen und stattdessen eine deutsche Diskussion des Textes von Ingrao /Rossanda mit insgesamt neun Beiträgen angefügt.

Pietro Ingrao / Rossana Rossanda: Verabredungen zum Jahrhundertende. Eine Debatte über die Entwicklung des Kapitalismus und die Aufgaben der Linken. Mit Beiträgen von Elmar Altvater, Joachim Bischoff, Frank Deppe, Klaus Dörre, Hartwig Heine, Hasko Hüning, Martin Kronauer, Oskar Negt, Hildegard Maria Nickel, Karl Heinz Roth, Wolfang Sachs, VSA, Hamburg, 1996; 48 Mark.

Damit will die deutsche Veröffentlichung »Anlaß und Bezugspunkt einer Diskussion« werden, »die zumindest eine erste Brücke zwischen der italienischen und der deutschen Linken schlägt. Und zwar eine Diskussion, deren Absicht nicht der schnelle Konsens, sondern die Eröffnung der Debatte selbst ist: sich der Komplexität der Probleme durch die Pluralität der Perspektiven anzunähern und dabei auch Dissenspunkte aufzudecken.« (Einleitung S. 15)

Die Kritik von Bellofiore ist auch ohne Kenntnis des Buchs verständlich, einleitend faßt er die wesentlichen Thesen zusammen. Anschließend an die Übersetzung setzen wir uns mit dem Verständnis von Keynesianismus auseinander, wie es Karl Heinz Roth in bewußter Abgrenzung vom traditionellen operaistischen Ansatz vertritt. Damit haben wir aber nur einen Faden aus der gesamten Diskussion betrachtet. Auf das Buch selber wird zurückzukommen sein.

Anm. zum Satz: Bellofiore setzt sich hauptsächlich mit dem Beitrag von Revelli auseinander, der in der dt. Ausgabe fehlt; wo er sich aber auf Stellen bezieht, die auch im dt. Buch enthalten sind, beziehen sich die Seitenzahlen auf die dt. Ausgabe und sind dann in {...}.


Lavori in corso

Riccardo Bellofiore

In einem Anfang der 80er Jahre erschienenen Buch sah ich einmal zufällig folgenden Cartoon: Nach dem Tod sitzen ein Mann und Karl (Marx) auf der klassischen Wolke. Der Mann sagt stolz: »Ich habe Ihr Buch gelesen.« Darauf Karl: »Wirklich? Und wie geht es aus?«

Jetzt schreiben wir die 90er Jahre, und inzwischen glauben fast alle, sie hätten die Antwort auf die Frage, wie die Geschichte des Marxismus und des Kommunismus ausgeht, jener Theorie und politischen Praxis, die sich die Befreiung der Arbeit auf die Fahnen geschrieben hatte. Das Buch von Ingrao und Rossando geht in die entgegengesetzte Richtung. Hartnäckig besteht es darauf, den Kapitalismus auch über die Untersuchung der widersprüchlichen Dynamiken der Produktionsweise zu analysieren und zu beurteilen. Daher stellt es noch einmal die Frage der Arbeit ins Zentrum. Meiner Meinung nach ist das ein Buch, das ernst genommen werden sollte. Und das heißt natürlich, sich nichts vorzumachen und über die Thesen zu diskutieren, die es enthält. Abgesehen vom engen Kreis von Ingraos und Rossandas GesprächspartnerInnen - d.h. denen, die Beiträge zum Buch beigesteuert oder sich an der nachfolgenden Debatte im Manifesto beteiligt haben und sozusagen zur Familie gehören (v.a. Lunghini, Mazzetti, Ravaioli) - ist das aber m.E. nicht geschehen. Die meisten anderen Kommentare verschließen sich und wollen nicht diskutieren. Mit vielen Vorurteilen und wenigen Argumenten lehnen sie das Buch ab. Solche Leute weigern sich dogmatisch, zuzuhören, und haben insofern auch nichts zu sagen.

Ich will auf den folgenden Seiten versuchen, einen Dissens auszudrücken, und schicke eine vorsichtige Warnung und einen Positionsbezug vorweg. Die vorsichtige Warnung besteht in der Erkenntnis, daß es riskant und nicht einfach ist, das Buch von Ingrao und Rossanda zusammenzufassen und darauf einzugehen, eben weil es so reichhaltig und vielschichtig ist, was sich schon an seinem Aufbau zeigt. Die Thesen des vierhändig geschriebenen Einleitungsaufsatzes, die an sich schon komplex sind und nicht ohne Umschweife zur Sache kommen, stellen sich dann im Briefwechsel zwischen den beiden, der den zweiten Teil des Buchs bildet, als Ergebnis eines Dialogs voller Meinungsverschiedenheiten und ungeklärter Punkte heraus. Diese Thesen stellen sich dann nocheinmal in eine fruchtbare Dialektik mit den Aufsätzen der anderen AutorInnen, die den dritten Teil des Bandes bilden. Meine Kritik an Appuntamenti di fine secolo muß sich also vorwerfen lassen, über all die Brüche und offenen Stellen dieses theoretischen Versuchs hinwegzugehen. Aber wenn man diskutieren will, muß man irgendwo anfangen: Ich werde also versuchen, eine Art tragenden Hauptgedanken von Ingrao und Rossanda herauszuarbeiten, um zu sehen, ob und inwieweit er hält.

Der Positionsbezug betrifft die Frage des Kommunismus. Die beiden Autoren erklären am Ende des Einleitungsaufsatzes, daß dieses Wort immer noch zu ihrem Wortschatz gehört. Es war ganz sicher diese mutige und anscheinend absolut unmodische Erklärung, die ihnen die empörten Reaktionen der Kritiker der Mainstream-Presse zugezogen hat. Meine nachfolgenden Überlegungen - die, wie sich zeigen wird, alles andere als entgegenkommend sind - gehen dagegen sozusagen von der gleichen »Frage« des Kommunismus aus: Rossana schreibt: »Wir haben einen Einsatz dafür gewagt, wie alle zu befreien sind und um nicht mehr zuzulassen, daß jemand der Sklave eines anderen oder von so elementaren Bedürfnisse sein müsse, daß er sich nicht einmal mehr fragen kann, was der Sinn seines Aufenthalts auf dieser Erde ist. Wie muß die Macht reguliert, wie die Freiheit garantiert werden, ohne die Freiheit des anderen zu vernichten; wie ist zu verhindern, daß der andere zum Sklaven oder zur Ware oder zur reinen Funktion seiner selbst wird?« {S. 148} Mit der gleichen Offenheit muß ich allerdings erklären, daß mein Urteil über den Kommunismus als »Antwort«, wie er sich im Laufe des 20. Jahrhunderts zum Staat konstituiert hat, noch weniger positiv ausfällt - und sei es nur aus Generationsgründen - als das nicht gerade freundliche von Ingrao und Rossanda.

1. Appuntamenti di fine secolo

Kommen wir also zum Inhalt der in »Appuntamenti di fine secolo« enthaltenen Argumentation, die ich mit den - teilweise abweichenden - Thesen von Marco Revellis Aufsatz (»Wirtschaft und Gesellschaftsmodell im Übergang vom Fordismus zum Toyotismus«) zusammenstellen werde. Ich glaube, man kann diese Argumentation in vier Abschnitten zusammenfassen:

1) Im Laufe der siebziger Jahre gerät das tayloristisch/fordistisch/keynesianistische Modell in die Krise. Dieses Modell beruhte auf der wissenschaftlichen Organisation der Arbeit, auf der rigiden Technologie des Fließbandes und einem interventionistischen Staat, der gesellschaftlich »vermittelte«, indem er den Unternehmen zusätzliche Nachfrage lieferte und den ArbeiterInnen höhere Beschäftigung und einen Wohlfahrtsstaat garantierte. Ingrao und Rossanda sagen nicht viel über die Ursache dieser Krise. Für Revelli lag die Krise daran, daß das Wachstum nach der Sättigung der »fordistischen« Märkte mit dauerhaften Massenkonsumgütern zurückging und instabil wurde, daß die Märkte nicht mehr »unbegrenzt« waren, und, so scheint er es zu verstehen, ökologische Fragestellungen in den Vordergrund traten. Die Krise kommt von außen und ist gewissermaßen »natürlich«.

2) Die darauffolgende Phase wird vor allem durch die Kategorie der Globalisierung des Kapitals definiert. Die Suche nach Flexibilität und somit nach niedrigeren Kosten durch eine Senkung der Mindestgröße von Unternehmen, entfesselt einen weltweiten Konkurrenzkampf, ein in jeder Hinsicht aggressives Verhalten der Einzelkapitale, die überall nach Märkten jagen und die verschiedenen Phasen der Produktionsprozesse über den ganzen Globus neuverteilen. Folglich führt die Globalisierung zu einer Krise des Nationalstaats, die Revelli für endgültig hält und die auch Ingrao/Rossanda jedenfalls sehr ernst nehmen. Für den Profit des Großunternehmens spielt, begünstigt von der Liberalisierung der Kapitalbewegungen, die Komponente »Finanzen« eine immer größere Rolle. Bei der Verteilung des Ertrags wird die Rendite legitimiert. Es lassen sich eine »Ordnungsallmacht« der Organe der Weltregierung (G7, Weltbank, Internationaler Währungsfonds, Maastrichter Vertrag) und eine »erneuerte Herrschaft« des Nordens über den Süden der Welt (Golfkrieg) feststellen.

3) In bezug auf die Arbeit übersetzen sich die Krise des Fordismus und die Globalisierung einerseits in Prekarisierung und Ausschluß, andererseits in »technologische Massenarbeitslosigkeit«. Die Arbeit wird immer weniger garantiert, stabil und bezahlt, und die vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossenen finden nur schwer wieder einen Arbeitsplatz. Die Zahl der Arbeitskräfte in der Industrie des entwickelten Westens geht zurück, ohne daß sie anderswo eine Beschäftigung finden können. Diese Befreiung von der Arbeit bedeutet, daß die lebendige Arbeit im kapitalistischen Universum tatsächlich quantitativ weniger wird. In der neuen Phase des Postfordismus ist das Kapital weniger auf Lohnarbeiter angewiesen: Ingrao und Rossanda behaupten, daß die Zeit, wo »das Wachstum der Güterproduktion und das Wachstum der Beschäftigung zusammenhingen, tendenziell zuende geht« (S. 71; dt. wo?); laut Revelli wird »die Beschäftigung systematisch vernichtet« (S. 198).

4) Neben dem bisher Gesagten zeichnet sich die gegenwärtige Phase des Kapitals im postfordistischen Zeitalter auch dadurch aus, daß den Arbeitern eine stärkere Beteiligung abverlangt wird. Dieser vierte Punkt kommt wie der erste klarer im Beitrag von Revelli heraus als in dem von Ingrao/Rossanda. Daraus folgert Revelli auf der Grundlage einer im übrigen auf den Automobilsektor beschränkten Analyse anscheinend eine fast vollkommene Entfremdung der ArbeiterInnen (von denen immer weniger in diesem Sektor beschäftigt sind) und eine Austreibung des Konflikts aus den Fabriken, die inzwischen durch die Eroberung der »Seele« der ArbeiterInnen befriedet sind. Dies läßt sich wenigstens den Seiten 185-194 entnehmen, wobei die Seiten 195-196 dem krass - und meiner Ansicht nach zu Recht - widersprechen.

Beim besten Teil der radikalen Linken in Italien ist dieser Tenor derart gängig, daß er fast schon als Dogma gehandelt wird - ich erinnere nur an die Analysen, die im Manifesto gegen Ingrao/Rossanda vorgebracht wurden (wobei sicherlich jede ihre Besonderheit hat). Hieraus leiten sich natürlich Vorschläge für das politische Handeln ab. Wenn im kapitalistischen Zeitalter die gesellschaftlich notwendige verausgabte Arbeit unaufhaltsam dazu tendiert, weniger zu werden, beschränkt sich das »Was tun« auf nur wenige Optionen. Das Bürgereinkommen, wie es in besonderer Form auch von Autoren wie Gorz und Aznar vorgeschlagen wurde, das aber bei Ingrao und Rossanda auf wenig Zustimmung stößt. Die Ausweitung des Bereichs der »konkreten« gesellschaftlich nützlichen Arbeiten, indem der Bereich der gesellschaftlichen Reproduktion aus der Warenproduktion herausgenommen wird, um das Schrumpfen des Bereichs der »abstrakten« kapitalistischen Arbeit auszugleichen. Die Nutzung der Produktivitätserhöhungen, um die weniger gewordene Arbeit an alle zu verteilen, wie es Mazzetti und Ravaioli wollen (und vor ihnen schon Napoleoni). Oder wiederum die Variante, um Revelli zu zitieren - der sich ehrlich gesagt alles andere als klar ausdrückt -, »daß die antagonistische Subjektivität selbst [wie das postfordistische Kapital] einen Sprung nach vorn 'heraus aus' der Marktsphäre des Warenaustauschs und 'hinaus über' die Warenform der Arbeit und des sie sanktionierenden 'Vertrages' macht und die entfremdeten Verhältnisse der Lohnarbeit direkt überwindet.« (S. 193)

2. Der »Fordismus«, den es nicht gibt

Das gerade beschriebene Bild erfaßt sicherlich einige reale Aspekte. Mir scheint aber, daß dabei das Wesen der ablaufenden Prozesse verzerrt und eine so einseitige Sichtweise vorgebracht wird, daß die Phasenanalyse, die dabei herauskommt, falsch ist, weil sie auf verstümmelten Tatsachen beruht.

Beginnen wir bei der Krise des tayloristisch/fordistisch/keynesianischen Modells. Ich muß zuallererst gestehen, daß ich die Zusammenstellung der Adjektive für sehr fragwürdig halte. Als der Taylorismus, die Steigerung der Arbeitsintensität auf einer gegebenen technischen Grundlage, in den USA Anfang des Jahrhunderts eingeführt wurde, scheiterte er an dem Konflikt, den er verständlicherweise bei den Handwerker-Arbeitern auslöste. Anders war es mit dem Fordismus im engeren Sinne, der die Produktivkraft der Arbeit über die Revolution im Maschinensystem erhöhte, indem er den Handwerker-Arbeiter durch den Massenarbeiter ersetzte. Erst er konnte damit erfolgreich die zu Beginn des Jahrhunderts entwickelten organisatorischen Neuerungen durchsetzen, u.a. (aber nicht nur) den Taylorismus. Gleichzeitig mit dem Erfolg auf dem Gebiet der Produktion wurde aber die Beschränktheit der Märkte entdeckt: Die Zunahme der Produktivität bei einer relativ stagnierenden Konsumnachfrage und einer von anderen Faktoren geschwächten Nachfrage nach Investitionen war eine der Ursachen der Weltwirtschaftskrise (das ist etwas ganz anderes als die Behauptung, Fordismus bedeute Grenzenlosigkeit der Märkte!). Erst der Zweite Weltkrieg und, so heißt es, die keynesianische staatliche Intervention leiteten das Zeitalter des schnellen Wachstums der Gewinne ein, unterstützt von der defizitfinanzierten staatlichen Nachfrage. Dies war der Fordismus im weiteren Sinne, die Regulationsweise, die dann bis Anfang der siebziger Jahre herrschte.

Aber war es wirklich so? Es gibt Grund, daran zu zweifeln. Bei Betrachtung der Daten und der überzeugendsten Interpretationen stellt sich heraus, daß das goldene Entwicklungszeitalter nach dem Zweiten Weltkrieg seit Anfang der sechziger Jahre von den folgenden Elementen gekennzeichnet war: einer Weltwirtschaft, die unter US-Hegemonie vereinigt war, weil Europa und Japan nicht nur aus politisch-militärischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen ein Führungsland brauchten, wegen des Wiederaufbaus nämlich. Deshalb gab es auch nur eine einzige Währung, den Dollar (wenn es jemals einen globalen Kapitalismus gab, dann vielleicht damals). Eine stabile Nachfrage nach Privatinvestitionen, die von hohen Profiten und sicherlich auch von rosigen Erwartungen gezogen war, weil man überzeugt war, daß es einen Staat, der keynesianische Prinzipien proklamierte, und Zentralbanken gab, die bereit waren, als Kreditgeber in letzter Instanz zu fungieren (also keine vom Konsum gezogene Entwicklung, wie es das bequeme Bild vom Fordismus/Keynesianismus behauptet). Im wesentlichen ausgeglichene Staatshaushalte, in denen die wachsende Quote der Staatsausgaben am Inlandsprodukt von steigenden Steuern vorwiegend zu Lasten der Arbeit kompensiert wurde. Wollte man die keynesianistische Epoche so darstellen, als wäre sie von streng in Nationalstaaten eingeschlossenen Wirtschaftspolitiken und vom Aufhäufen von Defiziten bestimmt gewesen, käme also kaum mehr als eine Karikatur heraus. Vor allem stiegen die Gewinne schneller als die Reallöhne, obwohl auch diese wegen der starken Ausweitung der Warenproduktion stiegen.

Warum geriet dieses Modell in die Krise? Im wesentlichen, weil es instabil war: Im Laufe der Zeit untergrub es seine eigenen Grundlagen. Vor allem seine internationale Grundlage: Das Aufholen Japans und Deutschlands (mit Europa im Schlepptau) verdrängte die USA aus ihrer unbestrittenen Position und führte im Laufe der 60er Jahre zur Zuspitzung des innerkapitalistischen Konfliktes. Folglich untergrub es auch seine monetäre Grundlage: im selben Jahrzehnt kam das auf der Goldbindung des Dollars beruhende Währungssystem ins Wanken und brach schließlich 1971 endgültig zusammen. Vor allem aber nahmen in genau diesen Jahren die Arbeiterkämpfe zu und explodierten schließlich am Ende des Jahrzehnts: Warum hätten die Beschäftigten in den Fabriken nach Jahren der »Vollbeschäftigung« nicht das tun sollen, was die ökonomische Theorie ständig lehrt, nämlich eine günstige Lage auf dem Arbeitsmarkt ausnutzen, der jetzt zum Verkäufermarkt geworden war? Schlimmer noch, sie forderten nicht nur mehr Lohn und weniger Arbeitsdruck, was ganz abstrakt nicht mit dem kapitalistischen Modell unvereinbar gewesen wäre, sondern die Kämpfe der ArbeiterInnen richteten sich im Kern gegen die »Fabrikdisziplin« selbst und das Unternehmerkommando in der Produktion als ganzes. Alles in allem war das vorhersehbar gewesen; schließlich hatte es Kalecki in einem bekannten Artikel von 1944 vorhergesehen. In den siebziger Jahren wuchsen die Haushaltsdefizite - in erster Linie nicht wegen des gesellschaftlichen Drucks, der Reformen verlangte, sondern auch weil der Staat versuchte, auf die Schwierigkeiten wiederum keynesianistisch zu antworten, und die Probleme des Konflikts in den großen Fabriken abzumildern und einzukreisen. Zum gesellschaftlichen Konflikt im »Kern« der Entwicklung und dem innerkapitalistischen Konflikt kam dann eine Zeitlang der Konflikt mit den Rohstoffproduzenten, insbesondere den Ölproduzenten. Im Laufe weniger Jahre verschlechterten sich die Profiterwartungen, wurden Investitionen nur noch kurzfristig getätigt und fielen die Investitionen insgesamt. So paradox es vielleicht auch klingt, es war die monetaristische Umkehr in der Wirtschaftspolitik - symbolisiert durch den Machtantritt von Reagan und Thatcher -, die in den USA und auch anderswo (De Cecco verdanken wir die treffende Bezeichnung des italienischen Modells der achtziger Jahre als »verbrecherischen Keynesianismus«) zur Explosion der Defizite und der Staatsverschuldung führten und all die mehr oder weniger grausamen Versuche zu ihrer Senkung nach sich zogen. Die Investitionen nehmen trotz allem nur mühsam wieder zu.

Dabei ist der Grund dafür überhaupt nicht mysteriös. Wenn das bisher Gesagte stimmt, ging die Krise des alten Modells nicht von einer etwas vagen Wachstumskrise aus, sondern von einem sehr viel materielleren Auftauchen von hauptsächlich inneren Konflikten um die Schaffung und die Verteilung des Reichtums. Daraus lassen sich einige sehr präzise Schlußfolgerungen ziehen: Die Kritik der Rechten am keynesianischen Zeitalter ist in sich nicht stimmig, denn an seinem Zusammenbruch trägt ganz gewiß nicht ein unproduktiver und verschwenderischer Staat die Schuld (es läßt sich wie gesagt bezweifeln, daß es diesen überhaupt je gegeben hat). Der damals wirklich herrschende Keynesianismus hat wenig zu tun mit dem, was an den Universitäten und in der Publizistik als solcher gehandelt wird. Die Hauptursache für die Krise des sogenannten fordistischen Modells lag im sozialen Konflikt, und deshalb kann sie nicht anders überwunden werden als durch eine radikale Neudefinition der auf dem Arbeitsmarkt (und in den Arbeitsprozessen) herrschenden Bedingungen, und sie ist immer noch nicht überwunden. Daß sich die Investitionen auch nach zwei Jahrzehnten von Niederlagen der ArbeiterInnen nicht erholen, ist vielleicht ein Beweis für die Radikalität der mehr oder weniger bewußten Herausforderung der kapitalistischen Macht und für die darauffolgende Angst, daß jede dauerhafte Erholung der Wirtschaft den Konflikt reaktivieren könnte. Also ein Beweis dafür, daß der Abbau und die Neustrukturierung aller Teile der kapitalistischen Verwertungsprozesse noch voll im Gange sind. Und hier kann man wiederum fragen: Wenn es so aussieht, wie ich jetzt gesagt habe, macht es dann Sinn, wie die Autoren des Buches den »Postfordismus« an einer fordistischen Phase zu messen, die, wie auch immer man sie definieren will, immer mehr aus der Geschichte des Kapitalismus ausgeklammert erscheint? Und ist es wirklich unmöglich, oder nicht vielmehr einfach unwahrscheinlich (abgesehen davon natürlich, ob es aus linker Sicht überhaupt wünschenswert wäre, was ich verneinen würde), daß wieder der Fordismus/Keynesianismus vorgeschlagen wird, der dann irgendeine Globalsteuerung mit einer Einkommens- und Beschäftigungspolitik verbindet, die sich auf ein vertraglich ausgehandeltes Management der neuen toyotistischen Arbeitsorganisation gründet? Daß eine Realisierung dieses Vorschlags aus meiner Sicht unwahrscheinlich ist, liegt daran, daß sich am Horizont noch keine »objektive« Krise wie jene abzeichnet, die Ende der 20er Jahre den Fordismus im engeren Sinne traf; und es liegt daran, daß inwischen kaum noch eine »subjektive« Kritik der Widersprüche innerhalb des Postfordismus zu hören ist, die nicht gleich einen schnellen »Ausweg« aus ihm vorschlägt, wodurch sie sich jeder Möglichkeit beraubt, sich mit den realen Widersprüchen auseinanderzusetzen.

3. Eine uneinheitliche Globalisierung

Auch die These von der Globalisierung des Kapitals verdient es, noch einmal überprüft zu werden. Wir haben gesehen, daß der Kapitalismus des keynesianschen Zeitalters in mancher Hinsicht globaler war und nicht weniger global. Man könnte hinzufügen, daß auch der Kapitalismus des goldenen Zeitalters des Goldstandards vom letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg hochgradig globalisiert war. Die heute zunehmende Integration des Handels macht nur in den Jahren des Merkantilismus zwischen den Weltkriegen verlorenen Boden wieder gut. Andererseits stimmt es, daß die gegenwärtige höhere Abhängigkeit der Exporte von Absatzmärkten vom geringeren Gewicht der Binneninvestitionen herrührt. Ebenso stimmt es für das produzierende Gewerbe, vor allem für die traditionelle Produktion von dauerhaften Massenkonsumgütern (auf die wir hier [in Italien] spezialisiert sind), daß der Anteil der Importe effektiv gestiegen ist. Insgesamt ist die Konkurrenz in der Industrie wirklich dramatisch gestiegen, und die Globalisierung der Produktion in diesem Wirtschaftsbereich ist eine Tatsache. Das Phänomen der globalen Konkurrenz im produzierenden Gewerbe hängt jedoch, wie die Ökonomen wissen müßten, mit dem geringer werdenden Gewicht dieses Sektors bei den Gewinnen und der Beschäftigung zusammen und wird ausgeglichen vom Wachstum der vor dem Import geschützten Sektoren. Er trifft die Orte, wo die organisierte Arbeiterbewegung traditionell stark war, aber er läßt sich nicht auf alle Bereiche verallgemeinern. Wie andererseits die Soziologen wissen müßten, zieht sich die postfordistische Neuorganisation der Arbeit quer durch geschützte und nicht geschützte Bereiche.

Die Globalisierung der Handelsströme ist im übrigen auch so eine Sirene, von der man sich nicht betören lassen sollte. Wenn überhaupt, scheint in der Krise des Fordismus im weiteren Sinne die Tendenz zur Regionalisierung des Kapitalismus in drei Bereiche - Amerika, Europa und Asien - zu überwiegen: Ingrao und Rossanda erwähnen das, aber so als handle es sich um ein Phänomen, das die vorherrschende Tendenz zur Globalisierung bloß einschränkt. Tatsächlich gleichen die drei Bereiche noch weitgehend »geschlossenen« Ökonomien, denn ihre Öffnung für den Austausch scheint nicht gerade dramatisch zugenommen zu haben. Das gilt insbesondere für Westeuropa insgesamt - wegen der zunehmenden Vereinigung des Handels auf dem Kontinent natürlich nicht für die einzelnen Länder. Daher ist es verständlich, daß die These von der Globalisierung des Kapitals aus italienischer Sicht plausibel scheint, d.h. aus der Sicht einer Wirtschaft, die relativ geschlossener als andere und stärker vom besonders von der Öffnung nach außen betroffenen traditionellen produzierenden Gewerbe abhängig war.

Falsch ist es auch, die Globalisierung der Produktion, die Tatsache, daß die Waren mittlerweile auf der ganzen Welt entstehen, in eine eindeutige, von der neuen »neoliberalen« Phase aufgezwunge Tendenz des Kapitals zur Suche nach niedrigeren Lohnkosten, weniger verregelten Arbeitsbedingungen und gegenüber den Konzernen leichter erpreßbaren Staaten zu übersetzen, wie es sowohl Ingrao/Rossanda als auch Revelli tun. Wer von der These ausgeht, es gebe »einen« Weg des Kapitals nach der Krise des Fordismus/Keynesianismus, übersieht die Vielzahl von Kapitalismus-Modellen in den 70er und 80er Jahren, die uneinheitliche Natur des heutigen Kapitals. Neben dem angloamerikanischen Modell der entfesselten Deregulierung (die aber in der Praxis nie bis zur letzten Konsequenz getrieben wurde), hat sich ein anderes Modell mit verschiedenen Ausformungen in Deutschland, Japan und Südostasien behauptet. Dieses Modell war teilweise - besonders in Deutschland - durchaus mit hohen Löhnen und relativ eingeschränkten Arbeitszeiten vereinbar; immerhin hat Südkorea - sicherlich von einem besonders niedrigen Ausgangsniveau aus - Reallohnwachstumsraten erlebt, wie es sie in der Geschichte des Kapitalismus noch nie gegeben hatte. Dieses Modell beruhte wie in Japan oft auf dem Schutz hochqualifizierter Arbeiterschichten zum Nachteil periphererer Schichten. Und an zentraler Stelle in diesem Modell befand sich immer ein Staat und ein Bankensystem, die mit schöner Regelmäßigkeit alle neoklassischen Weisheiten und alle Ratschläge der Weltbank oder des IWF in den Wind schlugen: durch eine für den Neoliberalismus geradezu ketzerische Politik zur Stützung der nationalen Industrie, indem sie auf die Qualität der örtlichen Produktionsfaktoren und nicht nur auf ihre Kosten achteten, indem sie die Kreditflüsse selektierten und nicht nur die nationale Arbeit, sondern auch das eigene Kapital kontrollierten. Zufällig ist es genau dieser zweite Typ von Kapitalismus - nennen wir ihn »schumpeterianisch« -, der bisher die besten Ergebnisse erbracht hat, und nicht der, den die Verkünder der Deregulierung propagieren. Die Länder Lateinamerikas haben das inzwischen begriffen, und die Länder Ostasiens lernen es schnell. Die einen wie die anderen haben zur Genüge die Beratungstätigkeit von Anhängern der neuen antistaatlichen Orthodoxie genießen dürfen. Clinton selbst ist mit einem Programm an die Macht gekommen, das sich die bewußte Förderung der Qualität der lokalen Produktionsfaktoren und nicht die Unterordnung unter die Ideologie der Globalisierung auf die Fahne geschrieben hat. Und beruht das dritte Italien, das adriatische Rückgrat, der italienische Nordosten, oder wie auch immer dieses Modell etikettiert wird, vielleicht nicht auch darauf: auf der Mischung von Flexibilität und Qualifikation der Arbeit? Beim Lesen von Appunti di fine secolo hat man im Gegenteil oft den Eindruck, daß die von den internationalen Organisationen verbreitete Ideologie mit der Darstellung realer Prozesse verwechselt wird.

Wie die Infragestellung des tayloristisch/fordistisch/keynesianischen Modells hat auch die Infragestellung der Globalisierungsthese enorme Konsequenzen auf politischem Gebiet. Um ein paar zu nennen: Hinter dem Golfkrieg z.B. stünde mindestens ebensosehr, wenn nicht stärker der Konflikt zwischen den Kapitalismen des Nordens als der Nord-Süd-Konflikt; und dasselbe müßte man über die Ereignisse in Osteuropa seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus sagen. Wir sollten jedoch bei der Globalisierungsthese bleiben, um diesen Punkt abzuschließen. Wir haben in der Tat das hervorstechendste Merkmal des globalen Kapitalismus beiseite gelassen: das exponentielle Wachstum und die Verselbständigung des spekulativen Kapitals auf den Finanzmärkten. Man müßte schon blind sein, um das nicht zu sehen, das ist klar. Es ist aber unverständlich, warum die ganze Linke, auch die weniger konformistische, das als natürliche Gegebenheit betrachtet und nicht als Ergebnis einer Entscheidung, oder wenigstens der Unterlassung möglicher Handlungen. Wir werden nie wissen, ob das »globale« Finanzkapital wirklich unkontrollierbar ist, wenn wir nicht versuchen, es zu kontrollieren. Und diese Kontrolle kann (vergleiche die oben gemachten Ausführungen zum »regionalen« Kapitalismus) nur auf einer Ebene zwischen der nationalen und der heute (im Guten wie im Schlechten) utopischen Ebene einer Weltregierung ausgeübt werden. Um nur eins anzumerken: Ehrlich reformistische Vorschläge gegen die spekulativen - und nicht die produktiven - Bewegungen des Kapitals liegen seit geraumer Zeit vor. Was immer man über die neuen Informationstechnologien sagen will, sie vermehren die Möglichkeiten zur Kontrolle der Kapitalflüsse und reduzieren sie nicht. Die Ereignisse nach der Krise der zeitweilig »unwiderruflich« festen Wechselkurse des Europäischen Währungssystems sind ein schönes Beispiel dafür, daß der vielbeschworene Tod der Autonomie der nationalen Währungspolitik vorschnell angekündigt wurde. Handeln ist also möglich.

4. Zuviel Arbeit

Die sogenannte Globalisierung des Kapitals ist also ein alles andere als neues und im übrigen ein vielschichtiges Phänomen. Was wir in den letzten Jahren erleben, ist vielmehr eine Neudefinition der internationalen und nationalen Bedingungen durch das Kapital, die noch nicht abgeschlossen ist und sich besser mit den Kategorien der Regionalisierung und der Pluralität von Kapitalismen verstehen läßt. Da Ingrao und Rossanda die allgemeinen Tendenzen des Kapitalismus ganz anders als ich analysieren, fällt natürlich auch ihre Analyse der Massenarbeitslosigkeit, mit der sie sich im Kielwasser angesehener Autoren bewegen, ganz anders aus. Ich muß gestehen, daß ich mit dieser Analyse noch weniger anfangen kann.

Die These, der Kapitalismus sei von der fordistisch/keynesianischen »Vollbeschäftigung« zur postfordistischen »Zukunft ohne Arbeit« übergegangen (»zu viele Waren, zu wenig Arbeit«), hat am klarsten und zugespitztesten wahrscheinlich Giorgio Lunghini in Età dello spreco [Zeitalter der Verschwendung] vertreten. Die strukturelle Veränderung der letzten Jahre soll darin bestehen, daß die in den Rezessionsphasen geschaffene Arbeitslosigkeit von der technologischen und organisatorischen Umstrukturierung eingefroren wird, so daß die Beschäftigung auch dann nicht wieder ansteigt, wenn es einen neuen Aufschwung gibt. Daher sei die Menge der vom Kapital beschäftigten lebendigen Arbeit tendenziell zum Sinken verurteilt. Auch hier jedoch ergibt sich ein ganz anderes Bild, wenn man sich ansieht, was im Kapitalismus in den verschiedenen Bereichen insgesamt abläuft.

Zunächst ist die Gesamtbeschäftigung bis zum Ende der 80er Jahre überall weiter gestiegen, und es ist zu früh, um zu sagen, ob der Rückgang, der danach in einigen Ökonomien stattfand, dauerhaft oder vorübergehend ist; auf jeden Fall ist der Prozentsatz der Beschäftigten an der Arbeitsbevölkerung seit Jahrzehnten stabil. Zweitens betrifft die Tendenz zum Rückgang der lebendigen Arbeit das produzierende Gewerbe und insbesondere die Großfabriken. In dem Maß, in dem dieser Prozeß tatsächlich stattgefunden hat, ist er allerdings in den USA schon seit Jahrzehnten in der »fordistischen« Phase selbst gelaufen, was mir nicht besonders unnatürlich vorkommt, denn sonst würde die kapitalistische Produktion ja in einer besonderen Waren-Konfiguration steckenbleiben. Drittens ist mir auch innerhalb dieser sektoralen Eingrenzung nicht klar, warum dabei nie auf die Kapitalismen in den neu industrialisierten Ländern eingegangen wird - in Südostasien zum Beispiel. Hier wird im Gegenteil weiterhin neue Arbeitskraft in die Verwertungsprozesse eingesogen und finden riesige Wanderungswellen in die Städte statt. Dieser weiße Fleck ist umso folgenreicher, weil die Akkumulation des »globalen« Kapitals gerade in Asien kräftig wieder anzieht. Eine der offensichtlichsten Schwächen der Imperialismusanalyse bis in die 60er Jahre war die Vorhersage, daß die damals Dritte Welt genannten Länder nie in der Lage sein würden, einen aktiven Part in der kapitalistischen Entwicklung zu spielen. Diese Dritte Welt treibt heute im Gegenteil selbst Schübe von Einschluß und Ausschluß voran, die immer tiefere Klüfte aufreißen und genau im kapitalistischen Aufschwung wurzeln. Schließlich sollten wir nicht vergessen, daß die Arbeitslosigkeit in den verschiedenen kapitalistischen Regionen und auch innerhalb dieser Regionen ganz unterschiedliche Gesichter hat: bei aller notwendigen Vorsicht gegenüber der Zuverlässigkeit der Zahlen stellen die gut zwei Prozent Arbeitslosigkeit, die für Japan ausgewiesen werden, und die etwa sechs Prozent in den USA (was dort beschönigend als »Vollbeschäftigung« definiert wird), eine ganz andere Situation dar als die Arbeitslosenquoten in Europa, die zwischen zehn Prozent in Deutschland und 25 Prozent in Spanien schwanken, wobei Italien irgendwo in der Mitte liegt. Auch wenn die Arbeitslosenzahlen manchmal zu niedrig geschätzt werden - und bei uns ist das sicherlich der Fall -, bleibt doch andererseits ein Großteil der prekären und unständigen Beschäftigung unsichtbar.

Für die unterschiedlichen Erfahrungen müssen also differenzierte Erklärungen zum Ansatz gebracht werden. In den USA kommt vergleichsweise stärker die Deregulierung des Arbeitsmarktes und das wachsende Mißverhältnis in der Einkommensverteilung zum Tragen. Das hat die Schaffung von unsicheren, wenig qualifizierten Arbeitsplätzen ermöglicht, die oft nicht aus der Armut herausführen. Gleichzeitig macht sich aber auch die zentrale Rolle der USA in der internationalen Arbeitsteilung bemerkbar, die auch die Schaffung von qualifizierten und besser bezahlten Arbeitsplätzen zuläßt. In Europa kommen stärker der geringere Spielraum bei Reallohnsenkungen, die daraus folgende Umstrukturierung zu Lasten der unqualifizierten Arbeit und Europas uneinheitliche Position in der internationalen Hierarchie zum Tragen. Auch wenn die Arbeitszeit in der »einfacheren« Arbeit in den traditionellen Produktionssektoren des älteren Industriekapitalismus abnimmt, läßt sich doch mit gutem Grund behaupten, daß die in der kapitalistischen Sphäre vernutzte Gesamt-Arbeitszeit maßlos zunimmt.

Ein erster Grund: Der wahre Strukturbruch der letzten 15 Jahre war die Unterbrechung der über hundertjährigen Tendenz zur Verkürzung der individuellen Arbeitszeit. Stattdessen hat eine Verlängerung und Intensivierung des effektiven Arbeitstags stattgefunden. Dahinter steht (in unterschiedlichem Ausmaß in den verschiedenen Ländern) die Zersplitterung des Arbeitsmarkts, die, wie es heißt, zur historischen Rückkehr der »arbeitenden Armen« und der unständigen Beschäftigung geführt hat. Dahinter steht aber auch die »Verschlankung« der Großunternehmen und die Auslagerung von Teilen des Produktionsprozesses, auf die sowohl Ingrao / Rossanda als auch Revelli hinweisen. Diese Auslagerung schwächt die zentrale und stärkste Schicht der garantiert Beschäftigten und gibt den Konkurrenzdruck an die Zulieferer weiter, wo sich die geringere Verregelung der Arbeitsbedingungen leichter ausnutzen läßt. Wie Sergio Bologna seit Jahren nicht müde wird zu betonen, sind diese Auslagerungen der Hauptgrund für die Zunahme jener selbständigen Arbeit, hinter der sich in Wirklichkeit fremdbestimmte und häufig von einem einzigen Auftraggeber kommandierte Arbeit verbirgt. Der »starke« Bereich des Arbeitsmarktes schrumpft, und der »schwache« weitet sich aus. So gesehen kann man wohl behaupten, daß sich die heutige Zeit eher durch »zuviel Arbeit« als durch »zu wenig Arbeit« auszeichnet.

Betraf der erste Grund die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt, so hat der zweite damit zu tun, wie die kapitalistische Neuorganisation der Produktion vonstatten ging. In den zentralen Bereichen der Akkumulation werden heute hauptsächlich (nicht unbedingt materielle) Waren produziert, die eine Vielzahl von Informationen enthalten und eine Arbeit erfordern, die über langfristig akkumulierte Kenntnisse und Erfahrungen verfügt. In Marxschen Begriffen: In diesen Waren ist ein Vielfaches der Arbeitszeit verkörpert, die in den Produkten einfacher Arbeit enthalten ist. Gleichzeitig ist die weniger qualifizierte Arbeit in der traditionellen Produktion von dauerhaften Massenkonsumgütern in die ehemals peripheren Gebiete verlagert worden. Hier hat Italien allerdings wirklich allzulange eine rückständige Spezialisierung der Produktion beibehalten, und seine Schwierigkeiten rühren nicht zuletzt von dieser Verspätung her, die notwendigerweise eine Krise für die weniger qualifizierten ArbeiterInnen in den älteren Industrieregionen des Kapitalismus und einen Vorteil für die in den neuen Industrieregionen bedeutet. Die beiden eben erwähnten Erscheinungen führen dazu, daß in Europa gleichzeitig die Gesamtarbeitszeit und die Nichtarbeitszeit wachsen und weiterhin eine langfristige strukturelle Arbeitslosigkeit besteht - was eine Linke, die von Marx herkommt, eigentlich nicht überraschen dürfte. Andererseits ist es kein Wunder, daß eine derart radikale Neudefinition der konkreten Verwertungsprozesse im weltweiten Maßstab nicht möglich ist ohne eine verstärkte Mobilität der Mehrwerttransfers: Es liegt in der Natur des Kapitals, daß es versucht hat, diese Mobilität mit so wenig Kontrolle seitens der Politik wie möglich voranzutreiben.

Die dritte Ursache für die Verlängerung und Intensivierung des Arbeitstages ist eigentlich so offensichtlich, daß sie gar nicht genannt werden müßte, wenn es nicht so wäre, daß niemand sie zu bemerken scheint. Beim Übergang vom höheren Wachstum des fordistisch/keynesianistischen Modells zum niedrigeren Wachstum der folgenden Jahre ist nicht nur der relative Lohn, sondern auch der Reallohn gesunken. Das Sinken des Reallohns steigert natürlich die Bereitschaft, intensiver und länger zu arbeiten.

Gegenüber dieser Realität haben sich die Linksintellektuellen geschlossen von der Ideologie beeinflussen lassen, nach der das Kapital mittlerweile unumkehrbar auf dem Weg zur Verringerung oder gar zur Abschaffung der Arbeit sei. Einige freuen sich, und andere klagen über das gängige Märchen, daß das Kapital nicht mehr in der Lage sei, Beschäftigung zu schaffen. Ich kann dazu nur folgendes sagen: Wenn die Marxsche These von der Zentralität der »abstrakten« Arbeit in der Organisation des gesellschaftlichen Lebens je in der Geschichte des Kapitalismus zugetroffen hat, dann heute. Umso mehr, wenn man bedenkt, daß heute dieselben Instrumente (die Informationstechnologien), die die Produktion revolutionieren, auch den Konsum revolutionieren und sich die Unterscheidung zwischen Arbeitszeit und Nichtarbeitszeit als immer willkürlicher herausstellt.

Wenn all das zutrifft, wird klar, wie begrenzt die ganz zu Anfang erwähnten Vorschläge gegen die Massenarbeitslosigkeit sind. Sie machen alle den gleichen Fehler, nämlich zu glauben, heute nehme die Arbeit ab und nicht zu. Folglich können sie sich sozusagen nicht auf die Macht des Faktischen berufen. Da die Reallöhne sinken, würde die Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn faktisch wahrscheinlich zu einer Verlängerung der Arbeitszeiten, zu Zweitjobs und zu Schwarzarbeit führen. Die Förderung von gesellschaftlich nützlichen Arbeiten hieße praktisch wahrscheinlich eine Segmentierung des Arbeitsmarktes in zwei Hälften, bei der entgegen den Absichten der Vertreter dieses Modells die »konkreten« Arbeiten entwertet und auf einen einfachen Puffer für die Schwierigkeiten des Bereichs der Warenproduktion reduziert würden, während die dort beschäftigte fremdbestimmte Arbeit ihrem Schicksal überlassen bliebe, in der abwegigen Überzeugung von einer durchaus problematischen, aber »tendenziell« mit Sicherheit bevorstehenden Euthanasie des Kapitals. Genausowenig überzeugt mich die Schizophrenie derjenigen, die die postfordistischen Arbeitsprozesse als Ort der totalen Entfremdung darstellen und weiterhin auf eine Möglichkeit der Befreiung der Subjektivitäten »außerhalb« und »gegen« das Kapital im Reproduktionsbereich und im Lokalismus hoffen: Sie überzeugt mich nicht, weil ich mir - wahrscheinlich noch durchdrungen vom alten Materialismus - noch nicht vorstellen kann, wie das konkret möglich sein soll. All diese Vorschläge gehen wie Gorz und nicht wenige französische Intellektuelle davon aus, daß die Gesellschaft in zwei Teile gespalten sei, von denen der eine, kleiner werdende, noch dem Kapital unterworfen sei, während im anderen, sich ausweitenden, Freiheit herrsche. Man kann Bruno Trentin kaum unrecht geben, wenn er in Il coraggio dell'utopia [Der Mut zur Utopie] sagt, daß ein Individuum, das einen Teil des Tages seine eigene Verstümmelung akzeptiert, bei allen, was es den ganzen Tag lang tut, davon gezeichnet ist. Es ist nicht ersichtlich, warum das bei der Gesellschaft anders sein sollte.

Wenn man wieder über Arbeitszeitverkürzung reden will, dann sollte man es tun: in den konkreten Produktionsprozessen, hinsichtlich der Lebenszeit, und so, daß auch der Angebotsseite und nicht nur der Nachfrageseite auf dem Arbeitsmarkt Flexibilität und Entscheidungsmöglichkeiten gesichert werden. Und man sollte sich darüber bewußt sein, daß sich so ein Vorschlag nur durch eine »künstliche«, politische, gegen die natürlichen Tendenzen und Bewegungsweisen der Akkumulation des Kapitals gerichtete Intervention realisieren läßt. Daß er eine völlig entgegengesetzte Dynamik in der Einkommensverteilung und eine aktive Intervention auf dem Gebiet der makroökonomischen, Industrie- und Arbeitspolitik voraussetzt. Daß man den Konflikt innerhalb des Kapitals und innerhalb des Staates also nicht hinter sich läßt, sondern ihn im Gegenteil wieder forciert. Je eher die These von der Arbeitszeitverkürzung als »Jahrhundertwenden«-Tendenz des Kapitals aus dem Feld geräumt wird, desto besser.

5. Der Fall Italien

Bevor ich etwas über den Nebel des Postfordismus sage, will ich ganz kurz darstellen, was der oben skizzierte allgemeinere Rahmen für Italien bedeutet, und zwar ausgehend eben von der Frage der Arbeitslosigkeit.

Wenn die Analyse der Massenarbeitslosigkeit, wie sie den Überlegungen von Ingrao/Rossanda und Revelli zugrundeliegt, irgendwo nicht überzeugt, dann in Italien. Es handelt sich bekanntlich um eine dreigeteilte Wirklichkeit. Man kann wohl in keinem der drei Italien sagen, daß die Massenarbeitslosigkeit Ergebnis eines Avantgarde-Kapitalismus sei. Bestimmt nicht im Mezzogiorno, dort ist die Arbeitslosigkeit so hoch, weil die Produktionsstrukturen zerfallen sind. Nicht im Nordosten, wo im zentralen Bereich des Arbeitsmarktes seit einiger Zeit »Vollbeschäftigung« herrscht und zwar gleichzeitig mit einer Zersplitterung der Arbeitswelt und einer explosionsartigen Zunahme der Arbeitszeit - was sich nicht allzusehr von dem unterscheidet, was Autoren wie Piore und Sabel seinerzeit (hauptsächlich bezogen auf das emilianische Modell) als neues italienisches »Wunder« der roten Regionen gefeiert haben. Anders sieht es bei zwei Seiten des alten Industriedreiecks aus, nämlich in Ligurien und vor allem im Piemont. Nur vor dem Hintergrund der Situation im Piemont mit seinem alles aufsaugenden Automobilsektor lassen sich die Thesen von Marco Revelli verstehen. Hier ist in den letzten Jahren tatsächlich eine technologische Arbeitslosigkeit entstanden, sind die mittleren Vorgesetzten und die Angestellten hinausgeworfen worden, ist eine organizistische Fabrikkultur entstanden und die Arbeit räumlich zerstreut worden. Aber das liegt wie gesagt an der Rückständigkeit und Abhängigkeit der italienischen Spezialisierung und ihrer Entwicklung und an der Vorherrschaft der alten Großfabrik des traditionellen produzierenden Gewerbes in der Region. Es wäre ein fataler Irrtum, beim Thema Arbeitslosigkeit in Italien einen Teil mit dem Ganzen zu verwechseln.

Andererseits ist - im Gegensatz zu dem, was erst vor ein paar Jahren verkündet wurde - die Krise des Piemont nicht identisch mit einer Krise der nationalen Automobilindustrie. Diese war damals (wiederum »tendenziell«) abgeschrieben worden, weil die Märkte gesättigt und die Grenzen der Umweltbelastung erreicht seien, weshalb Turin sich angeblich von Fiat emanzipieren müsse. Der Automarkt ist mittlerweile ein Substitutionsmarkt. Darin zeigt sich der Rückgang der Nachfrage, aber auch ihr plötzlicher Wiederanstieg, der für gute Gewinne sorgt. Darin zeigt sich insbesondere der extreme Flexibilitätsbedarf der Industrie. Die Umweltschranke erlegt sich das Kapital nicht von selbst auf. Aber ich glaube, sie läßt sich, wenn auch mit Schwierigkeiten, durchsetzen: Sie ist kein Schlüssel, um sich passend zur Jahrtausendwende eine neue »Zusammenbruchstheorie« zu basteln, wie es teilweise im Buch scheint. Wir sollten nicht erwarten, daß die Schwierigkeiten dieses oder jenes Konzerns die Entstehung einer veränderten Konsum- und Transportkultur auch nur erleichtern würden - im Gegenteil. In gewisser Weise hat es in Turin und im Piemont in den letzten beiden Jahren dank des Neuaufschwungs von Fiat wieder einen Aufschwung gegeben.

Im Buch von Ingrao/Rossanda, besonders am Anfang des Briefwechsels, nimmt die Frage der öffentlichen Verschuldung bemerkenswert viel Raum ein. Bei diesem Argument kann ich mich nur ärgern, daß auch die vom herrschenden ökonomischen Denken weniger kompromittierte Linke sich der anti-keynesianischen Raserei anschließt (ich meine hier den Keynesianismus als Theorie, nicht als historische Tradition). Natürlich stimmt es, daß die Aufhäufung von Defiziten und die Zunahme der öffentlichen Verschuldung im Laufe der 80er Jahre die Sozialstruktur Italiens durch die Aufblähung der Zinslast und der Ausgaben für den Binnenkonsum stark verändert hat. Es ist aber völlig unangebracht, die öffentliche Verschuldung als rein pathologisch zu verstehen. Vor allem ist es fragwürdig, auf dem Ausmaß der Defizite und der öffentlichen Verschuldung herumzureiten. Bekanntlich sind die primären Defizite (d.h. abzüglich des Zinsendienstes an die Inhaber von Staatsanleihen) inzwischen weitgehend ausgeglichen. Weniger bekannt ist, daß der italienische Haushalt auch real, d.h. Ausgaben und Einnahmen inflationsbereinigt, und wenn man die laufenden Ausgaben von denen für Kapital trennt, in den schwarzen Zahlen ist, auch wenn man zum primären Defizit die Zinsen hinzuzählt - dies haben vor einiger Zeit die bekannten Revolutionäre Modigliani und Baldassarri im Corriere della sera bemerkt. Ich will damit gar nichts abwiegeln: Da die Zinszahlungen nominal erbracht werden und der Zinssatz in den letzten Jahren über der Wachstumsrate lag und da ein Teil der öffentlichen Verschuldung gegenüber dem Ausland besteht (obwohl sich das Gewicht der Auslandsschulden durch die Lira-Abwertung wahrscheinlich verringert), wird die Situation immer schlechter. Andererseits muß trotzdem mal gesagt werden, daß die Krise der Staatsfinanzen nicht unmittelbar bevorsteht. Und wenn sie näherrückt, dann deshalb, weil es eine Entscheidung gab, die Kapitalien zu liberalisieren und sich bei bestimmten Gläubigern zu verschulden, und weil eine restriktive Politik dazu beigetragen hat, die Verpflichtungen überhaupt erst zu schaffen, die gleich darauf als Naturkatastrophe dargestellt werden. Und weil die wirklich dringende Frage, die sich der Linken stellt, die nach der Qualität der Ausgaben und nach der gerechten Verteilung der Einnahmen [Steuerlast] ist.

Die grundlegende Veränderung des Kräfteverhältnisses im italienischen Kapitalismus in den letzten 15 Jahren läßt sich nur über die Staatsausgaben und dann über die Abwertung der Lira verstehen. Hinter den steigenden Defiziten der achtziger Jahre stehen die damals gefahrene Währungspolitik in Verbindung mit der Zugehörigkeit zum Europäischen Währungssystem und die großzügige Unterstützung für Großunternehmen - allen voran Olivetti und Fiat - ohne Gegenleistungen. Daß dieses Modell sich aus inneren und äußeren Gründen nicht halten ließ (wie dann durch das reichlich späte Eingreifen der Justiz offensichtlich wurde), war für die Großunternehmen (eher als für die kleinen) ein riesiges Problem. Den Großunternehmen hat die Abwertung der Lira das Leben gerettet und teilweise sogar erlaubt, die Umstrukturierung ihrer Produktion und Finanzen erfolgreich zuende zu bringen. Die politisch der Lega verbundenen kleinen und mittelständischen Unternehmen waren - vielleicht mehr aus Arroganz denn aus Realitätssinn - überzeugt, keinen Kurssturz zu brauchen, aber sie haben offensichtlich am meisten von ihm profitiert. Nach drei Jahren Abwertung, nach dem Meteor Berlusconi und mitten in der Reorganisation des Bankensystems polarisiert sich der Kampf um das Kommando ganz deutlich auf die alten Produktions- und Familienbetriebe einerseits und den Kapitalismus, wie er im Telekommunikations-, Gesundheits- und Bausektor herrscht, andererseits. Während der erste wenigstens teilweise und mit auffälligen Ausnahmen weniger auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, lebt der zweite von politischen Entscheidungen und muß einerseits die Senkung der Sozialausgaben, von denen er indirekt profitiert, und andererseits ständige Finanzspritzen fordern. Diese ganze Galaxis von innerkapitalistischen Konflikten kommt in Appunti di fine secolo kaum vor.

6. Auf der Suche nach dem Phönix: der Postfordismus

Stattdessen ist im Buch viel die Rede vom Postfordismus. Das ist seit einiger Zeit ein Modewort. Es wird nicht recht klar, was gemeint ist, und leider klärt auch der Aufsatz von Ingrao/Rossanda nicht, was diesen Phönix eigentlich ausmachen soll. Glücklicherweise macht der Aufsatz von Revelli da eine Ausnahme, obwohl er ein merkwürdiges Gefühl hinterläßt. Vor allem, weil der Postfordismus hier durch Gegenüberstellung zum oben besprochenen Fordismus im weitesten Sinne definiert wird. Während der Fordismus sich angeblich auf unbegrenztes Wachstum, auf economies of scale [Mengenökonomie], auf den Kampf in der Fabrik, auf einen Territorialstaat und ein territoriales Kapital gründet, gibt es im Postfordismus begrenzte Weltmärkte, eine schlanke und hegemoniale Fabrik, eine Loslösung der Firmen von festen Standorten und die Krise des Nationalstaates. Ich habe schon Zweifel an einigen dieser Definitionsmerkmale geäußert: Ich will hier nur an meine Skepsis erinnern, ob es sinnvoll ist, den Postfordismus einfach als Gegensatz zum keynesianischen Zeitalter zu definieren, ohne einen größeren und vielleicht aussagekräftigeren Zeitraum zu betrachten. Läuft man sonst nicht Gefahr, Merkmale des Präfordismus dem Postfordismus zuzuschreiben? Dieser Zweifel scheint ehrlich gesagt auch Ingrao / Rossanda zu kommen {S. 43 f.}, und er läßt sich nicht einfach dadurch lösen, daß man das eine mit dem anderen gleichsetzt, wie es bei Revelli durchscheint (S. 192 f.).

Der mitreißendste Teil in Revellis Text ist auf jeden Fall der über die Veränderungen in der Arbeitsorganisation: Wir können ihm hier leider nicht den Raum geben, den er verdient. Ehrlich gesagt fällt ins Auge, daß er bei der Beschreibung des Postfordismus so massiv auf Marketing-Handbücher zurückgreift, eine Quelle, bei der der Ideologieverdacht nicht weit liegt. Dagegen fehlt jeglicher Bezug auf die reichliche Literatur zum Thema, die zum großen Teil und mit Vorliebe der Erneuerung gerade im Automobilsektor gewidmet ist, dem Revellis Hauptaugenmerk gehört: Ich verweise hier nur auf die Monographien von Parker/Slaughter, Jacot, Kern/Schumann, Pollert, Jürgens/Malsch/Dohse, Kenney/Florida, Appelbaum/Batt; daraus ergibt sich ein Bild, das an einigen Punkten zu dem im Buch vorgeschlagenen in Widerspruch steht. Ich denke, typisch für die gegenwärtige Phase ist, daß jede kapitalistische Strategie heute versucht, einen Neuformierungsprozeß der Arbeiterklasse zum Abschluß zu bringen, der vielleicht Flexibilität, Prekarisierung und qualifizierte Arbeit miteinander in Einklang bringt, der den Konflikt nicht beseitigt, auch wenn er ihn schwieriger macht (andererseits wurde auch seinerzeit beim Taylorismus und beim Fordismus behauptet, nun stehe das Verschwinden des Konfliktes unmittelbar bevor), der den einzelnen Arbeitsplatz flexibler macht, indem er die globale Produktionskette starrer und damit zerbrechlicher macht.

Es kommt mir so vor, als habe die ganze Linke, die sich in den letzten 30 Jahren für die Analyse und die Zukunft der Arbeit interessiert hat, den gleichen Kardinalfehler gemacht - einen Fehler, der leider in den jüngsten Schriften von Bruno Trentin durchscheint. Diesen Fehler würde ich als Primat des Taylorismus bezeichnen. Man nehme das tayloristisch/fordistisch/keynesianische Modell, von dem wir ausgegangen sind. Die geläufige Interpretation betrachtet den Keynesianismus durch die Linse von Ford, und Ford durch die Linse von Taylor. In dieser Sichtweise erschöpft sich die kapitalistische Ausbeutung der Arbeit restlos im »Druck« auf die Arbeit: Der Postfordismus wäre im Grunde nur die Ausweitung dieses Drucks vom Körper auf das Gehirn - oder, noch spiritualistischer ausgedrückt, auf die »Seele« - der ArbeiterInnen.

Ich glaube, es gibt einen ernsthaften historischen Grund für diesen Kardinalfehler. Beim Kampfzyklus Ende der 60er Jahre standen die Kämpfe um die Arbeitsverausgabung und die Arbeitsorganisation im Mittelpunkt. Dieser Kampfzyklus folgte auf eine seit Mitte der 60er Jahre laufende Phase echter tayloristischer Regression in der italienischen Industrie. Das einheimische Kapital reagierte damals mit einer Akkumulation ohne Investitionen und einer Intensivierung der Arbeit bei gegebener Technik auf die Lohnkämpfe am Anfang des Jahrzehnts - noch ein Beispiel dafür, daß tayloristische Phasen fast unvermeidlich zu Konflikten führen. Die in der Linken gängige Interpretation hingegen stellte den wirklichen Ablauf der kapitalistischen Entwicklung, wie Marx selbst sie verstand, auf den Kopf. Tatsächlich besitzt das Kapital einen inneren Antrieb zum technologischen Wandel, zur Kontrolle und Abpressung von Arbeit über die Revolution im Maschinensystem. Die direkte und persönliche Kontrolle über die Arbeit, wie sie für die absolute Mehrwertabpressung typisch ist, wird »beherrscht« von der indirekten und unpersönlichen Kontrolle, wie sie für die relative Mehrwertabpressung typisch ist.

Marx hat die Hypothese aufgestellt, daß die Revolution in der Arbeitsorganisation der Innovation des Prozesses nicht vorangeht, sondern folgt und daß sie dem Einzelunternehmen durch die von außen auf sie einwirkende Dynamik der Konkurrenz aufgezwungen wird. Wenn man vom umgekehrten Ablauf ausgeht und sich nicht den Zwang bewußt macht, den das System auf die einzelnen Abschnitte der Akkumulationsprozesse ausübt, dann kann man den Bruch mit den tayloristischen Methoden mit der Eröffnung von selbständigen Spielräumen für die (wie Trentin meint, heute weniger auf ausführende Rollen beschränkte) abhängige Arbeit verwechseln. Von ähnlichen Grundannahmen geht die Analyse von Revelli aus, wenn sie auch die Situation ganz anders beschreibt und zu entgegengesetzten politischen Schlußfolgerungen kommt. Revelli sieht im Toyotismus die Zuspitzung des Taylorismus, einen potenzierten Fordismus: »wieder eine Form von zugespitzterem Druck auf die eigene Arbeitskraft, auf Einteilung der Arbeitszeit, auf die Arbeitsleistung« (S. 182)

Der epochale »Bruch« besteht für den Turiner Autor in der vollendeten Reduzierung des Arbeiters selbst auf eine Sache, auf eine Ware unter Waren. Da wird wieder einmal der unmögliche Traum des Kapitals mit der Wirklichkeit verwechselt. Wenn man von Marx ausgeht, stellt sich vielmehr die Frage, ob die postfordistischen Arbeitstechniken jetzt nicht dazu dienen, die Restrukturierung der Arbeitsprozesse und Arbeitsmärkte zu besiegeln, die während der totalen Automatisierung in der Großindustrie und der Zerstreuung der Arbeitskraft in alle Winde stattgefunden haben. Und wenn das, wie beim eigentlichen Fordismus, nicht funktioniert, sollte man sich fragen, wo die Bruchpunkte dieses scheinbar so allmächtigen Mechanismus liegen.

7. Was gibt es für uns zu tun?

Unsere Entgegnung auf einige der Aufsätze in Appuntamenti di fine secolo wird sicherlich, je nachdem, des Operaismus, Industrialismus und Produktivismus bezichtigt werden. Sicher, meine Analyse ist Lichtjahre entfernt von der, die dem Essay von Ingrao/Rossanda zugrundeliegt. Paradoxerweise schrumpft die Entfernung, wenn man sich einige der praktischen Schlußfolgerungen ansieht, zu denen die beiden Autoren am Ende ihres vierhändig geschriebenen Essays kommen, wo sie sich - genau wie ich oben - fragen, ob es nicht verfrüht ist, sich von der Arbeit und dem Staat als Orten der gesellschaftlichen und politischen Aktion zu verabschieden. In diesem Punkt scheinen Ingrao und Rossanda zum Glück weniger konsequent zu sein als Autoren wie Gorz, Aznar und Latouche, aber auch Revelli und Lunghini, Mazzetti und Ravaioli, die alle - jeder auf seine Art - meinen, sowohl die »Arbeitsgesellschaft« als auch die »Staatsorientierung« des »kurzen Jahrhunderts« gingen zu Ende.

Ich kann insbesondere die Beobachtungen von Rossana Rossanda im Briefwechsel teilen. »Ich habe nie gedacht«, schreibt sie, »daß der Mensch sich in seinem Verhältnis in und zu der Produktion erschöpft. Außerhalb davon gibt es radikale Erfahrungen, angefangen von der Wahrnehmung des Lebens und des Todes, anderer Menschen, der eigenen Sexualität und der von anderen, der Liebe, der Angst, des Wachsens, des Verfalls, des Bösen und des Guten, des durch Erfahrungen verletzten oder gereiften Sinnes der eigenen Existenz. Der Literatur, der Geschichte, der Erinnerung, der Kunst, des Denkens und Rechnens, des Spiel, die in gewissem Maße das Leben jedes und jeder Einzelnen durchziehen.« (S. 100 f.) Auch wenn es fragwürdiger ist, was Rossanda danach schreibt, nämlich daß die aus dem Marxismus hervorgegangene Bewegung niemals einen Arbeiterkult betrieben habe. Marx selbst hat gewiß keinen Arbeiterkult betrieben, wenn er in der Heiligen Familie feststellte: »Wenn das Proletariat siegt, wird es nicht die absolute Seite der Gesellschaft; es siegt nämlich nur, indem es sich selbst und sein Gegenteil aufhebt.« Aber es besteht wohl kein Zweifel, daß nicht nur der Marxismus der Zweiten und Dritten Internationale, sondern auch der viel nähere der alten und neuen Linken, die bis in die ganzen siebziger Jahre an den Orten der Arbeit präsent waren, immer von der Überzeugung der Zentralität der Produktion ausgegangen ist - auch dann noch, als die Arbeiterkämpfe sich gegen das Primat der Produktion wendeten und trotzdem eine höhere Würde als die anderen Konflikte beanspruchten. Auch deshalb ist die Arbeiterbewegung von den sogenannten neuen Bewegungen, vor allem der feministischen und der grünen, auf die Anklagebank gesetzt worden.

Meiner Ansicht nach liegt hier ein gewissermaßen zwangsläufiges Mißverständnis vor, das den gegenwärtigen Schwierigkeiten der Politik der Linken zugrundeliegt. Wer (wie Ingrao / Rossanda und in aller Bescheidenheit auch ich) immer noch glaubt, daß die »Stellung im System der Güter- oder Dienstleistungsproduktion und der Zugang zum Austauschsystem« gegenwärtig »Bedingung für die Lebensautonomie« ist (S. 101), für den kann der Konflikt um die und in der Arbeit nur im Zentrum bleiben - um noch einmal diesen Ausdruck zu gebrauchen, den Rossanda nicht mag. Aber diese gesellschaftliche Zentralität der Arbeit im kapitalistischen Akkumulationsmechanismus, der wiederum das Herz dieser Gesellschaft ist, kann nicht in eine politische Zentralität der Arbeit übersetzt werden: im Sinne einer Hierarchie zwischen den verschiedenen Subjekten, die einer arbeitenden Klasse (und ihrer noch dazu besonderen und vergänglichen Bestimmung) mehr Gewicht gibt. Oder im Sinne der Definition von Merkmalen der zukünftigen Gesellschaft gemäß dem Vorwurf von Hannah Arendt an Marx: der Kommunismus als eine Gesellschaft von Arbeitern ohne Lohnarbeit. Die Herausforderung, eine antikapitalistische Bewegung aufzubauen, in der die verschiedenen Subjekte einander von sich aus Aufmerksamkeit schenken und einander die gleiche Würde zuerkennen, ist zugegebenermaßen tatsächlich noch unbeantwortet, wie Rossanda im Grunde selbst erkennt, wenn sie bemerkt, »wie stark in den neuen Subjekten die Versuchung ist, eine Totalisierung durch eine neue zu ersetzen« {S. 145}. Dieses Mißverständnis ist zwangsläufig, weil die verschiedenen »Kommunen«, die sich im Kampf gegen das Kapital - jene Kraft, die »alles, was fest ist, in Luft auflöst« - gebildet haben, von Natur aus dazu neigen, sich für dauerhaft zu halten. Vielleicht ist diese »subjektive« Schwierigkeit die materiellste von allen, und ihre Überwindung der Prüfstein für eine authentische Theorie und Praxis des »Übergangs«, die sich wirklich mit den von den Grünen und vor allem von der Frauenbewegung aufgeworfenen Fragen auseinandersetzt.

Die Dichotomie zwischen der Analyse von Ingrao/Rossanda und ihren praktischen Vorschlägen hat jedenfalls ihren Preis: So nämlich bekommt ihr Beharren auf dem Thema Arbeit, ohne jeden Bezug auf die authentischen Dynamiken der alltäglichen Explosion der Arbeit, eine idealistische Färbung (»Kann die Arbeit noch ein Wert sein«, S. 71), und ihr Ruf nach einer alternativen Staatlichkeit und einer alternativen Öffentlichkeit, mit denen sie den Dingen von oben eine neue Wendung geben wollen, kann nur politizistisch wirken.

Andererseits, auch wenn meine Überlegungen sich als richtig herausstellen sollten - daß die kapitalistische Akkumulation sich ganz und gar nicht auf die Verringerung der Arbeit zubewegt und daß die Intervention in die Arbeit über die Wirtschaftspolitik laufen muß -, bliebe natürlich die unglaubliche Schwierigkeit bestehen, um die dieser Band sich dreht: Wie läßt sich eine Umstrukturierung des Kapitals organisieren? Was auch immer die Antwort ist, ich glaube nicht, daß fehlerhafte Analysen und folglich illusorische Antworten dabei hilfreich sein können. Wer weiß, ob nicht einer meiner Freunde recht hat, der behauptet, bis jetzt hätten die Marxisten die Welt verändert: Jetzt sei es nötig, umzukehren und sie zu interpretieren.


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