Wildcat-Zirkular Nr. 26 - Juli 1996 [z26buen2.htm]


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Bericht und Referate zu einer Veranstaltung in Köln am 6. Mai 1996:

Bündnis für Arbeit?? Das hat uns gerade noch gefehlt!
(Eine neue »Deutsche Arbeitsfront«?)

Im Frühjahr hielten wir es einfach nicht mehr aus. Das tägliche, ja stündliche Gewinsel um Arbeit, das aus allen Lautsprechern quoll, die »Bündnisse für Arbeit«, die in jeder Klitsche geschlossen wurden, wollten wir nicht länger so stehen lassen. Zumal fast die gesamte »Linke« bis hin zu den antinationalen Trampert/Ebermann nur rumjammerten, das eigentliche Ziel, die Arbeitsplätze, würden doch gar nicht wirklich geschaffen. Mit ein paar anderen Leuten hier in Köln haben wir uns daher zusammengesetzt und überlegt, wie wir dazu eine Veranstaltung machen können. Dabei sind wir uns über den Charakter und die Funktion der Veranstaltung nicht ganz einig geworden: sollte es zunächst einmal darum gehen, grundlegende Positionen zu Arbeit, Kapitalismus und Kommunismus zu diskutieren, oder sollte die Veranstaltung ein Einstieg in praktische Mobilisierungen zu den Angriffen der Unternehmer und der Regierung sein. Zu letzterem gab es wenig konkrete Ansatzpunkte in dem Vorbereitungskreis, es blieb eigentlich nur die Diskussion um einen »revolutionären Block« auf der Demo, der aber auch nicht näher bestimmt wurde; andererseits sollte es auf der Veranstaltung aber auch nicht bei der politischen Diskussion bleiben. Das Ergebnis war, daß die Veranstaltung etwas zu überfrachtet war. Nach dem ersten Teil mit den grundlegenderen Referaten entwickelte sich eine Diskussion über Kapitalismus und Alternativen, über die Gründe der aktuellen Schwäche im Klassenkampf usw., die aber wegen der folgenden drei Teile zu betrieblichen Erfahrungen abgebrochen wurde.

Es herrschte auch nicht gerade Massenandrang zu der Veranstaltung. Wir hatten die Mobilisierung damit verbunden, daß wir sehr breit und kurz vor dem 1. Mai ein auffälliges Plakat, das sich gegen das Bündnis für Arbeit und gegen die Arbeit richtet, verklebten. Im Gegenzug hatten wir auf eine Mobilisierung über die üblichen linken Kanäle (Stadtzeitung, Flugblatt, Mailbox) verzichtet. Leute außerhalb der bekannten Politszene sind dadurch nicht gekommen, auch wenn das Plakat von anderen Leuten aufmerksam wahrgenommen wurde (u.a. von der MLPD, die wohl aus Wut über diese Diffamierung ihrer Liebe zur Arbeit alle Plakate am Auftaktort der 1.-Mai-Demo überklebte).

Im ersten Teil der Veranstaltung hielten wir drei Referate, die leicht überarbeitet und mit Angaben zum Weiterlesen im Folgenden abgedruckt sind. Im zweiten Teil wurde aus drei Betrieben berichtet. Die Berichte zu KHD und Toyota sind mittlerweile überholt, stattdessen könnt ihr in diesem Heft zwei ausführlichere Artikel dazu lesen, die den aktuellen Stand wiedergeben. Ein dritter Bericht handelte von einem kleinen Metallbetrieb in der Innenstadt, der alle Beschäftigten rausgeschmissen und dann zu mieseren Bedingungen wieder eingestellt hatte. Diesen Bericht haben wir leider noch nicht schriftlich bekommen.

Referate

1) Einleitung: Wann geht’s hier endlich los?

»Bündnis für Arbeit«, das heißt im Klartext: Mehr arbeiten. Noch mehr arbeiten, für weniger Lohn, und dabei als »Arbeitsplatzbesitzer« noch froh und glücklich darüber sein und Arbeitsfreude zeigen.

Was in letzter Zeit gegen ArbeiterInnen durchgesetzt wird, hätte noch vor ein paar Jahren wohl niemand von uns für möglich gehalten. Da werden Löhne gekürzt, Arbeitszeiten verlängert, die Arbeitshetze gesteigert und die Flexibilisierung auf immer neue Spitzen getrieben. Der Vorläufer dieses Angriffs, die sogenannte Prekarisierung in den 80er Jahren, sieht dagegen fast schon harmlos aus. Damals wurde mit der Ausweitung von befristeten Verträgen und Sklavenhändlerjobs ein Teil der ArbeiterInnen von bis dahin geltenden Garantien ausgeschlossen und verschärften Ausbeutungsbedingungen unterworfen. Diese Bedingungen betreffen heute schon längst nicht mehr nur einen ›Rand‹, sondern breiten sich rapide aus und dringen ins Zentrum vor.

Und die Leute lassen es sich gefallen. Warum?

Solche grundsätzliche Kritik ist fast völlig aus der politischen Landschaft verschwunden. Stattdessen macht sich wieder Hoffnung in die Gewerkschaften breit: daß die mit ihrem Reformismus uns vielleicht doch noch vor dem Schlimmsten bewahren könnten. Dieser Reformismus erfindet mittlerweile interessante Parolen: Engelen-Kefer vom DGB meinte vor kurzem bei einer vom Kölner Stadtanzeiger organisierten Veranstaltung unter dem Titel »Hauptsache Arbeit« in Köln-Mülheim, man müsse nun »ein Abgleiten des Kapitalismus verhindern«.

Wenn Linke heute die Gewerkschaften und ihr »Bündnis für Arbeit« kritisieren, dann mäkeln sie nur rum, daß doch so, durch solche Kniefälle, nicht wirklich Arbeitsplätze geschaffen würden. Das falsche Ziel »Hauptsache Arbeit« wird nicht mehr infrage gestellt, sondern mitgetragen.

Eine andere Verirrung linker Politik ist der Ruf nach dem Staat. Mit unserer Kampagne gegen die Razzien, gegen die Menschenjagd auf illegalisierte ArbeiterInnen, sind wir auch innerhalb der Szene oft auf Unverständnis gestoßen und auf die Frage: Ja aber wie wollt ihr denn dann verhindern, daß Leute für fünf Mark arbeiten, wenn ihr gegen die Razzien seid? Gegenfrage: Seit wann können wir auf Staat und Bullen hoffen, wenn wir gegen die Ausbeutung vorgehen wollen? Eine Ursache für den hilflosen Ruf nach dem Staat ist sicher der Frust über unsere eigene Schwäche und über das Ausbleiben von Kämpfen, an denen wir uns beteiligen könnten. Oder wie weit spielt dabei auch die Abhängigkeit der Linken von ABM-Geldern eine Rolle, die immer wieder zu ekelerregender Bettelei gegenüber dem Staat führt?

Wann, wenn nicht jetzt?

2) Das »Bündnis für Arbeit« ist die richtige Gewerkschaftspolitik

Das »Bündnis für Arbeit« wird heute von vielen als Verrat der Gewerkschaften gegenüber ihren eigentlichen Aufgaben kritisiert. Damit wird die Hoffnung darauf gerichtet, die Gewerkschaften wieder zu den Kampf- und Widerstandsorganisationen zu machen, die sie eigentlich sein sollten. Daß der DGB jetzt mit Streik droht, da seine Wünsche in der aktuellen Sparpolitik zu wenig Berücksichtigung finden, nährt solche Hoffnungen. Wir wollen vor solchen Illusionen warnen. Den Kampf um bessere Bedingungen und gegen die zunehmende Ausbeutung müssen wir selber in die Hand nehmen. Gewerkschaften werden uns dabei wie immer im Weg stehen.

Von vielen Linken werden Gewerkschaften als ein freiwilliger Zusammenschluß von Arbeiterinnen und Arbeitern betrachtet, deren Aufgabe es sei, sich gegen die Ausbeutung zur Wehr zu setzen und die Konkurrenz unter den ArbeiterInnen auszuschalten. »Solidarität« sei das grundlegende Prinzip gewerkschaftlicher Organisierung.

Mit der Wirklichkeit hat dieses Idealbild wenig zu tun, und es ist müßig, die real existierenden Gewerkschaften mit diesem Ideal zu konfrontieren. Im Gegenteil, es sichert ihnen ihre Legitimation – schließlich berufen sie sich selber gerne auf diese Vorstellungen.

Vier Thesen zu Gewerkschaft:
  1. Freiwillige Zusammenschlüsse von ArbeiterInnen zur Durchführung von Streiks oder anderen Kämpfen waren und sind immer sehr instabile Gebilde. Sie zerfielen wieder, wenn die Bewegung und der Aufruhr vorüber war.

    Regelrechte Organisationen, die über eine kurze Phase des Kampfes hinaus Bestand hatten, entstanden auch früher nur in besonderen Bereichen, vor allem bei Handwerkern und Facharbeitern, die schon durch ihre Qualifikation vor Konkurrenz geschützt waren, und diese nicht erst über die Organisation verhindern mußten. Zur Ausschaltung der Konkurrenz war es daher nötig, die Beachtung der Qualifikation oder anderer Merkmale bei der Einstellungspraxis zu fordern: z.B. den Ausschluß von Ungelernten, von Frauen oder von zugewanderten ArbeiterInnen. Im letzten Jahrhundert forderten die in den handwerklichen Bereichen entstehenden Gewerkschaften immer wieder solche Abschottungen der Arbeitsmärkte, wobei es teilweise fließende Übergänge vom traditionellen Zunftwesen gibt.

  2. Für die dauerhafte und massenhafte Organisierung auch der ungelernten ArbeiterInnen war es erforderlich, daß die Unternehmer und der Staat diese Organisationen anerkannten, d.h. ihnen die Funktion der Regulierung des Arbeitsmarkts und der Lohn- und Arbeitsbedingung zuwiesen. Diese Anerkennung erfolgte historisch immer dann, wenn die Kämpfe und der Aufruhr ein solches Ausmaß angenommen hatten, daß die Herrschenden ihre Herrschaft und die Ausbeuter ihre Ausbeutung bedroht sahen; oder wenn sie z.B. in Kriegssituationen die Arbeitenden für ihre nationalen Interessen mobilisieren wollten.

    In Deutschland war der Erste Weltkrieg die entscheidende Phase: hier erfolgten die wichtigsten Weichenstellungen für die endgültige Anerkennung der Gewerkschaften und der Einrichtung des Sozialstaats. Wenn wir heute leichthin von den »sozialen Errungenschaften« sprechen, sollten wir nie vergessen, daß sie die Errungenschaft des ersten großen imperialistischen Gemetzels waren!

  3. Was bedeutet diese Anerkennung, die von Gewerkschaftern durchweg als etwas Positives und Erstrebenswertes betrachtet und gefordert wird? Sie bedeutet einen grundlegenden Funktionswandel der zunächst freiwilligen Zusammenschlüsse. Anerkennung heißt, der Unternehmer sagt: »O.k. Jungs, ihr seid von nun an die, mit denen ich Verträge darüber abschließe, zu welchem Preis Eure Leute sich an mich verkaufen und wie ich sie ausbeuten darf. Aber dafür müßt ihr jetzt dafür sorgen, daß keiner aus der Reihe tanzt, daß nach geschlossenem Vertrag alle so wie vereinbart arbeiten, daß es nicht zu wilden Streiks kommt usw.« Der Preis für die Anerkennung ist es, daß die Gewerkschaften den produktiven Frieden aufrechterhalten, daß sie weniger als Macht gegen den Unternehmer funktionieren (mit dem haben sie sich ja geeinigt), sondern als Kontrollmacht gegen die ArbeiterInnen. Politisch und ideologisch heißt es, daß sie sich zum positiven Wert der Arbeit bekennen, denn nach dem Vertragsabschluß darf das regelmäßige Arbeiten nicht mehr in Frage gestellt werden.

    Für die ArbeiterInnen hingegen ist der Konflikt mit dem Tarifvertrag nicht erledigt, sondern er geht jeden Tag auf der Arbeit weiter. Dort stehen ihnen dann die Gewerkschaften als Kontrolleure gegenüber, da sie den spontanen Haß auf die Arbeit nicht ausbrechen lassen dürfen.

  4. Auf sich allein gestellt, als bloß freiwilliger Zusammenschluß von ArbeiterInnen wären die Gewerkschaften aber nicht in der Lage, diese Funktion zu erfüllen. Daher werden sie bei ihren Bemühungen vom Unternehmer und vor allem vom Staat unterstützt. Da sie vom Staat in allgemeiner Weise unterstützt werden, ergeben sich auch Gegensätze zwischen den staatlichen Regelungen und den Interessen einzelner Unternehmer, die es nicht für nötig halten, gerade in ihrem Betrieb die Gewerkschaften anzuerkennen (z.B. aktuell in Köln McDonalds). Dies ändert aber nichts daran, welche Funktion den Gewerkschaften insgesamt zukommt. (Als vor einigen Jahren die Unruhe unter den McDonalds-Beschäftigten zugenommen hatte, war die Firma schnell bereit, einen Vertrag mit der NGG über die Einrichtung von Betriebsräten zu schließen. Denn sobald die ArbeiterInnen sich selbst in Bewegung setzen, spürt auch der Unternehmer das Bedürfnis, auf eine kontrollierende und regulierende Instanz zurückgreifen zu können.)

    Diese staatliche Unterstützung besteht in einer Vielzahl von arbeitsrechtlichen Regelungen, in der staatlichen Zuweisung eines Streikmonopols für die Gewerkschaften (jeder andere Streik ist illegal!) und in ihrer Einbeziehung in die sozialstaatlichen Verwaltungsgremien. Auch auf dieser allgemeinen staatlichen und gesellschaftlichen Ebene haben sie dafür den Preis zu bezahlen, die produktive Ordnung in der Nation aufrechtzuerhalten.

Zusammenfassend: die Organisierungsfähigkeit der Gewerkschaften hängt wesentlich davon ab, wie weit sie von Staat und Unternehmern anerkannt werden und von ihnen mit Funktionen beauftragt werden (Extrembeispiel Belgien: Auszahlung der Arbeitslosengelder durch die Gewerkschaftsbüros). Das erklärt, warum es für sie oberste Priorität hat, an Entscheidungen beteiligt zu werden, mit am Tisch der Herrschenden zu sitzen, selbst dann, wenn dort nur noch über die Verschlechterung der Lebensbedingungen geredet wird (die folgenden Hinweise auf die Gewerkschaftspolitik vor 1933 stellt nur einen Extremfall dieses allgemeinen Verhaltensmusters dar). Da der Staat sich der Treue der Gewerkschaften versichern will, wird er ihnen dabei die Gelegenheit geben, sich auch gegenüber den ArbeiterInnen als »ihre« Organisation zu profilieren (z.B. gab's dann nur 3 statt 5 Prozent Kürzung bei der Arbeitslosenhilfe, das Gerangel um die Lohnfortzahlung ist möglicherweise ein abgekartertes Spiel, ein Scheinangriff, dessen Abwehr sich die Gewerkschaften dann auf ihre Fahnen schreiben können).

Es ist also kein böser Wille der Funktionäre, kein Verrat der gewerkschaftlichen Ideale, wenn sie solche Bündnisse wie jetzt eingehen. Es ist ihr nüchternes Wissen darum, worauf die sogenannte »Stärke« der Gewerkschaften beruht – nämlich auf ihre Anerkennung durch Staat und Unternehmer, also werden sie diese nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

[Hier folgte noch ein Teil zu den Mobilisierungen der IG BAU, die sich an der Darstellung und Dokumentation im Zirkular 25 orientierte.]

3) ADGB-Politik in den 20er und 30er Jahren

Es geht in diesem Teil darum zu zeigen, daß dieses aktuelle widerliche Gewinsel nach Arbeit (und zwar eben nicht nur als notwendiges Übel, weil man hier sonst nix zu fressen kriegt, sondern als völlige Überhöhung im Sinne von: wir sind alle scharf darauf, uns in euren Betrieben kaputtzumachen, unser Leben wird ohne Arbeit völlig leer) prinzipiell nichts DGB-spezifisches ist.

Bei den folgenden kurzen Hinweisen auf die Weimarer Republik und den ADGB3 geht es uns nicht darum, einen neuen Faschismus an die Wand zu malen oder auszumachen, ob wir uns jetzt im historischen Vergleich im Jahr 1931 oder 1932 befinden.

Wir wollen an einigen Punkten Parallelen zwischen ADGB- und DGB-Politik aufzeigen. Das Hauptziel beider Organisationen war und ist es, immer dabei zu sein und sich positiv auf den Staat zu beziehen, so daß sie mitreden und die Arbeit bzw. die Arbeitskraft mitverwalten dürfen und von Staat und Unternehmen als Verhandlungspartner anerkannt bleiben.

Für diese Grundhaltung ein paar Beispiele:

Das so akzeptierte und geförderte »kleinere Übel« ging dann (wie fast immer in der Geschichte) problemlos in das »größere Übel« über: ab Juni 1935 in Gestalt der Arbeitsdienstpflicht für alle Jugendlichen von 18 bis 25.

Nach dem 30. Januar 1933 suchte der ADGB das Gespräch mit NSDAP-Organisationen, um auszuloten, wie man eine nützliche Rolle unter der neuen Regierung spielen könne, so z.B. im April 1933 mit der NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation) über eine zukünftige gemeinsame Organisationsform.

ADGB-Chef Leipart in einem Brief an Hitler am 21. März: »Die sozialen Aufgaben der Gewerkschaften müssen erfüllt werden, gleichviel welcher Art das Staatsregime ist.«

Zitat aus der »Arbeit«, März 1933, Erdmann: »Wir sind Sozialisten, weil wir Deutsche sind. Und eben deshalb ist für uns nicht das Ziel ›der‹ Sozialismus, sondern das sozialistische Deutschland .. «

Zitat aus der letzten Ausgabe der »Gewerkschaftszeitung«, 29. April 1933, Walter Pahl: »Wir brauchen wahrhaftig nicht ›umzufallen‹, um zu bekennen, daß der Sieg des Nationalsozialismus, obwohl er im Kampf gegen eine Partei errungen wurde, die uns als Träger der sozialistischen Idee galt, auch unser Sieg ist, insofern die sozialistische Aufgabe heute der ganzen Nation gestellt ist.« (Pahl war auch Leiter der Zentralstelle für den Freiwilligen Arbeitsdienst beim ADGB und wurde nach 1945 der erste Chefredakteur des DGB-Theorieorgans »Gewerkschaftlichen Monatshefte«.)

Programmatisch und praktisch hatte sich der ADGB in der Weimarer Republik mit jeder Regierung angefreundet und auf jeden ernsthaften Widerstand verzichtet, entsprechend verhielt sich der ADGB zur »Machtergreifung« wie zu einem ganz normalen Regierungswechsel und nicht wie zu dem Bruch, wie in der Geschichtsschreibung immer behauptet wird.

Einige Zitate aus Gewerkschaftszeitungen können dies illustrieren: »Wir lassen uns die Stunde des Handelns von Gegnern der Gewerkschaften nicht vorschreiben« (Juli 1932), »Laßt euch nicht zu voreiligen und darum schädlichen Einzelaktionen verleiten« (Anfang Februar 1933), »Der deutsche Arbeiter soll am 1. Mai standesbewußt demonstrieren, soll ein vollberechtigtes Mitglied der deutschen Volksgemeinschaft werden« (April 1933).

Der 2. Mai 1933, in der Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung das Datum, das für die Zerschlagung der Arbeiterorganisationen steht, war dann von den Faschisten aus gesehen in Wirklichkeit eher eine radikale Scheinaktion zur Beruhigung ihrer aufgeputschten Anhänger und zur Einschüchterung der Bevölkerung, während die Gewerkschaften vorher eine Politik der Selbstgleichschaltung betrieben hatten.4 Ganze ADGB-Ortskartelle konnten ab Mai 1933 in die DAF übernommen werden, die alle Betriebsmitglieder entsprechend der Volksgemeinschaftsideologie in einer zentralen Einheitsorganisation zwangsweise zusammenfaßte.

Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) - Modell für den gewerkschaftlichen Wiederaufbau?

[Der folgende Teil zur Kontinuität von Strukturen der DAF im Aufbauprozeß des DGB wurde auf der Veranstaltung nicht mehr ausgeführt. Er beruht im wesentlichen auf dem Aufsatz von Mielke / Rütters, siehe Literaturhinweise.]

Interessanterweise hat der zentralistischen Aufbau der DAF mit territorial gegliederten Organisationseinheiten, organisatorisch unselbständigen und untergeordneten Reichsbetriebsgemeinschaften sowie Zwangsmitgliedschaft und Zwangsbeiträgen auf die Diskussionen zur Neugründung von »freien Gewerkschaften« nach Ende des Faschismus starken Einfluß gehabt. Dabei ging es im wesentlichen um die Struktur der zentrale Einheitsorganisation, welche als Ziel bereits während der Weimarer Republik intensiv diskutiert worden war. Die Zerschlagung des ADGB schaffte für die anstehenden Entscheidungen neue Voraussetzungen.

In verschiedenen Exilländern wurde unter deutschen Gewerkschaftsfunktionären diskutiert, ob das organisatorische Gerippe der DAF zur Überwindung der Richtungsgewerkschaften (›Schluß mit den Splitterorganisationen!‹) und zur Einführung von Zwangsmitgliedschaft nicht (zumindest zeitweise) zu erhalten sei. Typisch z.B. Tarnow, ein altgedienter ADGB-Spitzenmann: »Die Zusammenhaltung aller Arbeitnehmer in einer Einheitsorganisation zur besseren Aufrechterhaltung der Ordnung während der schicksalentscheidenden Übergangszeit und zu Schulungs- und Erziehungszwecken entspricht ebenso dem gewerkschaftlichen als auch dem Staatsinteresse.«

Nach Mai 1945 stellte sich aber schnell heraus, daß es nichts von der DAF zu übernehmen gab: Sie war von den Alliierten verboten worden, und ihre Funktionäre hatten Organisations- und Verwaltungsunterlagen weitgehend vernichtet. Die Anordnungen der Militärregierungen betonten die Notwendigkeit eines demokratischen Neuaufbaus der Gewerkschaften von unten (also nicht zentralistisch) und einer demokratischen inneren Willensbildung. Lohn- und Arbeitszeitfragen durften aber zunächst nicht Gegenstand von Kollektivverhandlungen sein! Faktisch trugen die komplizierten Genehmigungsverfahren und die ständigen Eingriffe der Militärregierungen zur Hemmung derjenigen Gründungsmodelle bei, die in Anlehnung an die DAF Zwangsmitgliedschaft und -beiträge sowie zentralistische Strukturen bevorzugten.

Viele lokale Gewerkschaftsgründungen verstanden sich sowieso eher als Teile einer zukünftigen Gesamtorganisation, während regionale Initiativen sich eher als maßgebliche Kerne einer neuen gesamtdeutschen Gewerkschaft sahen. Letztere bewiesen in ihren Debatten 1945/46 durchaus strukturelle Nähe zur DAF. Der angestrebte Zentralismus wurde von Leuten wie Hans Böckler hauptsächlich mit zwei Argumenten begründet: 1. müßten Gewerkschaften die Ressourcen bündeln, um nach 12 Jahren Faschismus eine Erziehungsfunktion wahrzunehmen (»die geistige Umstellung der arbeitenden Masse entschieden in Angriff zu nehmen«, Originalton Böckler); 2. hätten die Gewerkschaften in der neuen Wirtschaftsordnung und dem neuen Staat nicht mehr den alten Klassengegner gegenüber und würden eine maßgebliche Kontrolle der ganzen Wirtschaft erreichen, eine Funktion, die nur eine zentralistisch organisierte Gewerkschaft wahrnehmen könnte.


Fußnoten:

[1] Siehe: Bodo Zeuner, Muße für alle als gewerkschaftliche Utopie, in: Gewerkschaftliche Monatshefte Nr. 7/95. Seine Überlegungen zu Muße werden aber letztendlich zur philosophischen Flankendeckung einer gewerkschaftlichen Politik der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, statt den vorhanden Reichtum als konkrete Möglichkeit von wesentlich weniger Arbeit zu thematisieren!

[2] Siehe den Bericht in Wildcat-Zirkular Nr. 8.

[3] Verwendete und weiterführende Literatur zu diesem Teil:

[4] Siehe die Mason-Zusammenfassung in Zirkular Nr. 17.


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