Wildcat-Zirkular Nr. 16 - Juni 1995 - S. 49 [z16matsu.htm]


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Streik bei Matsushita

aus: China Labour Bulletin, Nr. 12, März 95

Über tausend Arbeiter der Matsushita Co. Ltd (National/Panasonic) in Zhuhai City, Provinz Guangdong, veranstalteten ab 15. Januar einen zweitägigen Streik. Die Arbeiter verlangten Lohnerhöhungen und Verbesserungen der Sozialleistungen und protestierten dagegen, daß die Firma den jährlichen Urlaub zum Besuch der Familien entschädigungslos gestrichen hatte.Matsushita Co. Ltd, die völlig in japanischem Besitz ist, befindet sich im Norddistrikt des Xiangzhou-Industriegebiets in Zhuhai City. Über 2000 Arbeiter hat die Fabrik. Am 15. Januar um 8.30 Uhr gingen mehr als 800 Arbeiter der Frühschicht in den Streik. Im Verlauf des Tages stieg die Zahl auf 1000. Die Arbeiter versammelten sich vor der Fabrik und forderten Verbesserungen bei Löhnen und Sozialleistungen. Einige Arbeiter verteilten Flugblätter in der Fabrik, um die anderen Arbeiter zur Teilnahme aufzufordern.

In einem Interview mit den Medien sagten Arbeitervertreter, daß ihre Löhne niedriger seien als der Durchschnitt in Zhuhai City. Sie bekämen durchschnittlich RMB 750 im Monat, während die Arbeiter in anderen großen ausländischen Unternehmen in Zhuhai bis zu RMB 1000 im Monat bekommen. Auch waren sie mit den schlechten und überfüllten Unterkünften unzufrieden. Die Arbeitervertreter erwähnten auch, daß das Management den 20tägigen Urlaub zum Chinesischen Neujahr entschädigungslos gestrichen hatte, damit die Produktionsziele erreicht werden können. Die Arbeiter sagten, daß sie eine unabhängige Gewerkschaft gründen und ihren Kampf fortsetzen wollen.

Außer gegen die niedrigen Löhne und die schlechten Sozialleistungen sind sie auch gegen das strenge Regime des Managements. Ein Wachmann wurde mit einer Geldstrafe von RMB 50 belegt, weil er auf Wache seinen Hut abgesetzt hatte; er verdiente RMB 500 im Monat.

Andere Arbeiter sagten, daß sie das System der »Gelben Karten« (ein Strafsystem) für geringe Verstöße nicht mehr dulden wollen. Z.B. kann man eine »Gelbe Karte« bekommen, wenn man sein Namensschild nicht trägt oder nicht ordentlich angezogen ist. Die erste Gelbe Karte bedeutet ein Bußgeld von RMB 20, die zweite RMB 40, die dritte RMB 80. Diese Belastung sei zu groß für sie.

Eine Arbeiterbäuerin aus Anhui sagte, daß ihre Schwester um drei Tage Urlaub gebeten hatte, um zwecks Heirat nach Hause fahren zu können. Das Management lehnte das ab, so war sie zur Kündigung gezwungen.

Am zweiten Tag des Streiks versuchte die städtische Arbeitsbehörde zu vermitteln. Das Management verlangte die Arbeitsaufnahme vor Beginn der Verhandlungen. Sie drohten mit der Kündigung aller Streikenden. Nach der Vermittlung stimmten die Arbeiter der Arbeitsaufnahme zu. Am Nachmittag des 16. Januar fingen einige wieder an zu arbeiten, aber als es um 18.30 Uhr immer noch keine Einigung gab, gingen manche wieder in den Streik.

Am 17. Januar veranstaltete eine beträchtliche Zahl von Arbeitern einen Slow-Down, während die Verhandlungen immer noch andauerten. Schließlich erklärte sich das Management zur Rückgabe des 20tägigen Neujahrsurlaubs bereit, aber es gab keine Übereinkunft bei den anderen Forderungen.

Bei diesem Zwischenfall demonstrierten die Streikorganisatoren ihre Taktiken und Strategien. Eine Woche vorher hatten sie einen »Offenen Brief an die Kollegen bei Matsushita« verteilt, welcher die Arbeiter psychologisch auf die Aktion vorbereiten sollte. Sie bezogen sich auf das neue Arbeitsgesetz, das gab ihren Forderungen einen starken legalen Anstrich. Der offene Brief appellierte sowohl an das Gefühl als auch an den Verstand. Die Autoren des offenen Briefes blieben im Dunkeln, um Strafaktionen von Management und Regierung vorzubeugen. So hatte die Kampagne eine Chance, erhalten zu bleiben und zu wachsen. Außerdem verständigten sie während des Streiks die Medien in Hong Kong und Macau und erregten das Interesse verschiedener Sektoren. Dies übte Druck auf Regierung und Management aus, und brachte die Streikenden in eine günstige Position.


Aufruf der Streikorganisatoren

Auf Wiedersehen '94 und ein warmes Willkommen dem Neuen Jahr! Im vergangenen Jahr haben wir so eng zusammen gearbeitet, daß wir zehn Millionen Geräte in bloß zwei Monaten produziert haben. Das ist eigentlich das Produktionsziel für zehn Monate. Unsere Firma hat sich rasant entwickelt und trotzdem sinken Löhne und Sozialleistungen.Mit dem Beginn des Neuen Jahres haben unsere Partei und Regierung uns ein neues Arbeitsgesetz gegeben. Wenn wir das Arbeitsgesetz mit den Praktiken unserer Firma vergleichen, fühlen wir uns indigniert. Vereinigen wir uns und kämpfen wir für unsere nach dem Arbeitsgesetz legitimen Rechte.

Die Arbeitsbehörde von Zhuhai hat der Firma bereits Kopien des Arbeitsgesetzes zur Verteilung an die Arbeiter geschickt, aber die Firma hält diese zurück. Warum? Warum ist Matsushita nicht offen zu uns? Auch sind wir mit folgenden Punkten unzufrieden:

A. Löhne und Sozialleistungen

1. Löhne: Die Löhne bei unserer Firma sind niedriger als das durchschnittliche Lohnniveau in Zhuhai. Wir bekommen durchschnittlich RMB 750 im Monat, während bei anderen großen ausländischen Firmen wie Canon der Durchschnitt bei RMB 1000 liegt.

2. Preisniveau: Dem Staatlichen Amt für Statistik zufolge lag die Inflationsrate 1994 bei 27,4 Prozent. Da unsere Lohnerhöhung der Inflationsrate nicht entspricht, wird unser Lebensstandard nicht erhöht, sondern sinkt beträchtlich. Viele Firmen haben höhere Löhne und Sozialleistungen in Übereinstimmung mit der Inflationsrate angeboten.

3. Überstunden und Bezahlung: Absatz 44 des Arbeitsgesetzes setzt fest, daß die Überstundenbezahlung an Ruhetagen mindestens doppelt so hoch sein muß, wie der normale Lohn. Die Bestimmungen zur Überstundenbezahlung, die die Arbeitsbehörde in Zhuhai im Mai '94 herausgab, bestimmt, daß »Überstundenbezahlung an Ruhetagen den normalen Lohn wenigstens verdoppeln sollte«. Warum hat die Firma ganz offen die Bezahlung auf 150 Prozent verringert?

4. Wohnprobleme: Unser Wohnheim ist völlig überfüllt, mehr als zehn Personen werden in einen Raum gequetscht. Außerdem ist die Miete sehr hoch. Das steht in totalem Widerspruch zu den Versprechungen der Firma auf freie Kost und Logis. Canon stellt seinen Arbeitern wesentlich bessere Unterkünfte zur Verfügung. Das Wohnungsbeihilfeprogramm der Firma bietet zu wenig, um das Problem zu lösen. Dies zeigt, daß die Firma nicht die Absicht hat, unsere Probleme zu lösen.

B. Schutz der gesetzlichen Arbeitsrechte

1. Verteilung des Arbeitsgesetzes: Wir fordern, daß die Firma die Arbeitsrechtbroschüre verteilt, die sie jetzt schon seit Monaten zurückhält. Die Arbeitsbehörde hat erklärt, daß die Unternehmen die Pflicht haben, Unterrichtssitzungen zum Arbeitsgesetz vor dessen Einführung zu organisieren und das jeder Arbeiter ein Exemplar erhält. Falls die Firma nicht erklären kann, warum sie diese Broschüren zurückhält, soll sie diese verteilen, damit wir ein besseres Verständnis unserer gesetzlichen Rechte gewinnen.

2. Neujahrsurlaub: Das Arbeits- und das Wirtschaftsministerium haben »Vorschriften für den Umgang mit Arbeitern in ausländischen Firmen« verfaßt, die zusammen mit dem Arbeitsgesetz herauskommen. Es wird festgelegt, daß alle Beschäftigten in ausländischen Firmen das Recht auf bezahlten Urlaub, wie Neujahrsurlaub zum Besuch der Familien und Jahresurlaub, haben.
Warum hat die Firma unseren Neujahrsurlaub gestrichen? Die Streichung des Urlaubs bedeutet, daß wir einen Monat lang Überstunden arbeiten. Warum bietet die Firma den betroffenen Arbeitern keine Entschädigung an?

3. Entlassung von Arbeitern und die Behandlung kranker Arbeiter: Absatz 29.2 des Arbeitsgesetzes legt fest, daß die Firma keinen Arbeiter entlassen kann, der wegen Krankheit oder Verletzung behandelt wird. Zusätzlich bestimmen die Absätze 19 und 20 der »Vorschriften für den Umgang mit Arbeitern in ausländischen Firmen«, daß auch wenn der Arbeitsvertrag in gegenseitigem Einverständnis beendet wird, der Arbeitgeber den Arbeitern Unterhaltsgeld und Krankengeld zur Verfügung stellen muß. Angesichts dieser Kündigungsvorschriften im Arbeitsgesetz, wie wird uns die Firma behandeln, wenn wir krank werden oder bei der ärztlichen Untersuchung durchfallen?

Einige von uns werden vielleicht nach Neujahr nicht mehr zurückkommen, aber warum versuchen wir nicht unser Bestes und kämpfen um die Vergünstigungen, die wir verdienen, und nehmen sie mit nach Hause.

Denken wir gut darüber nach, was wir tun wollen. Das Frühlingsfest naht. Vereinen wir uns und kämpfen für unseren gerechten Anteil.

9. Januar 1995


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