Wildcat-Sonderheft Krieg 2003 - März 2003 - S. 31-37 [wk3paper.htm]


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Die USA als Papiertiger

André Gunder Frank

Worauf beruht die weltweite Stellung und Macht der USA? Auf zwei Säulen: dem Dollar und dem Pentagon. Der Dollar ist ein Papiertiger - im Wortsinne, viel mehr als zu der Zeit, als Mao die USA so nannte. Die Stärke und Beweglichkeit des Pentagon beruht auf dem Dollar und stützt ihn umgekehrt auch. Aber diese beiden Türme sind nicht nur das Fundament der USA, sondern auch ihre beiden Achillesfersen. Wie die beiden Türme des World Trade Center in New York kann das gesamte Gebäude der USA an einem einzigen Morgen einstürzen - nicht durch einen Terror-Anschlag, sondern durch das Wirken der weltwirtschaftlichen Finanzmärkte und die schlecht beratene Politik der US-Regierung selbst.

Die neue Weltordnung ...

Die USA besitzen immer noch die größte Ökonomie der Welt, die in den 90er Jahre die meiste Zeit geboomt hat, und eine konkurrenzlose militärische Macht, die größer ist als die der nächsten zwölf oder mehr militärischen Mächte zusammen. Außerdem benutzt die gegenwärtige Bush-Administration in ihrer unilateralen Politik beides, um ihren Willen gegen den Rest der Welt durchzusetzen, gleichermaßen gegen Freund und Feind: Bush hat ihnen allen den Fehdehandschuh des »entweder ihr seid mit uns oder ihr seid gegen uns« hingeworfen. »Mit« heißt, ihr tut, was wir sagen, und »gegen« heißt, wir drohen euch damit, euch, wenn wir wollen, wirtschaftlich und politisch und auch militärisch zu zerstören. Falls an unseren Absichten und Fähigkeiten irgendwelche Zweifel bestehen, sind Russland und Argentinien hervorragende Beispiele an der wirtschaftlichen Front, so wie Irak durch den Boykott und Serbien und Afghanistan an der militärischen Front. Letzteres - aber eigentlich beides - war gemeint, als Präsident Bush der Vater 1991 bei der Bombardierung des Irak Die neue Weltordnung ausrief. Ich nannte das den Dritten Weltkrieg - in doppeltem Sinne: erstens findet er in der Dritten Welt statt, und zweitens bedeutet dieser Krieg gegen die Dritte Welt einen Dritten Weltkrieg.

... und ihre Achillesfersen

Wohlstand und soziale Absicherung des amerikanischen Volks beruhen in erster Linie auf der heutigen Weltstellung der USA, so wie bei Britannien im 19. Jahrhundert. Diese Beobachtung widerspricht diametral den von Politik und Medien verbreiteten Mythen über die Gründe der amerikanischen Ausnahmestellung (angeblich seien dies nämlich sein Genius, seine Moral, seine Produktivität und andere Eigenschaften, die Amerika vom Rest der Welt unterschieden). In Wirklichkeit stützt sich Amerika auf zwei - vielleicht drei - Säulen: 1. den Dollar als Weltwährung, auf die die USA das Druckmonopolprivileg haben, 2. das Pentagon mit seinen konkurrenzlosen militärischen Fähigkeiten. 3. Eine dritte Säule ist vielleicht die von der Regierung, dem Bildungssystem und den Medien verbreitete Ideologie, die diese einfachen Tatsachen vor den Augen der Öffentlichkeit verschleiert. Im übrigen stützen diese Säulen sich gegenseitig: Um das Pentagon, seine Stützpunkte in 80 Ländern auf der ganzen Welt und den Einsatz seiner Truppen auf dem ganzen Globus am Laufen zu halten, braucht man Dollars. Die Militärausgaben sind die Hauptursache für die beiden Defizite der USA: im Bundeshaushalt und in der Handelsbilanz. Im Gegenzug trägt die Stärke des Pentagon zur Stärkung des weltweiten Vertrauens in den Dollar bei.

Aber eben diese gegenseitige Abhängigkeit stellt auch zwei miteinander verbundene Achillesfersen der USA dar. Der Dollar ist buchstäblich ein Papiertiger. Er ist nämlich auf Papier gedruckt, dessen Wert einzig darauf beruht, dass er auf der ganzen Welt akzeptiert wird und man auf der ganzen Welt darauf vertraut, dass er akzeptiert wird. Dieses Vertrauen kann schwinden oder dem Dollar von einem Tag auf den anderen völlig entzogen werden, wodurch er die Hälfte oder mehr seines Wertes verlieren könnte. Jeder Wertverlust des Dollars hätte nicht nur einschneidende Folgen für Konsum und Investitionen in den USA und für Dollarvermögen, sondern er würde auch die Fähigkeit der USA beeinträchtigen, ihren militärischen Apparat aufrechtzuerhalten und einzusetzen. Umgekehrt würde auch jedes militärische Desaster das Vertrauen in den Dollar und damit seinen Wert schwächen. Tatsächlich äußerten die versammelten politischen und geschäftlichen Eliten der Welt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2003 ernsthafte Befürchtungen, dass der bloße Einsatz des US-Militärs, z.B. gegen den Irak, zu einer weltweiten Depression führen könnte. Das Time-Magazine berichtet diese Woche von einer umfassenden Studie über die amerikanischen Airlines und kommt zu dem Schluss, dass ein Krieg gegen den Irak die Hälfte von ihnen unmittelbar in die Pleite treiben würde. Wenn das stimmt, was ist dann mit den noch schwächeren nicht-amerikanischen Airlines? Die mit dem amerikanischen Säbelrasseln und Drohen verbundene Unsicherheit untergräbt das Vertrauen in den Dollar und bremst die Investitionstätigkeit. Und keine Ideologie kann diese wirtschaftliche Situation völlig verschleiern.

Dollar-Hegemonie und Deflation

Tatsächlich befindet sich die Welt bereits in einer Depression. Nur sind die USA davon bisher ganz und Kanada und Westeuropa teilweise ausgenommen. Und dies liegt an der privilegierten Stellung besonders der amerikanischen Wirtschaft innerhalb der Weltwirtschaft, was wie gesagt im wesentlichen aus dem Privileg herrührt, die Weltwährung zu drucken, mit der die Amerikaner erst die Produktion der restlichen Welt zu bodenlosen deflationären Preisen aufkaufen können und dann dieselben Dollars aus dem Ausland in Form von Investitionen an der Wall Street oder US-Schatzbriefen zurückbekommen, weil sie dort sicher aufbewahrt sind oder mehr Profit bringen als irgendwo anders.

James Tobin (der Erfinder der Tobin-Steuer auf Finanztransaktionen) und ich waren meines Wissens die einzigen, die schon Mitte der 80er Jahre öffentlich vorhersagten, dass die kommende Gefahr für die Weltwirtschaft in der Deflation bestehen würde. Die Wirtschaftspolitiker gaben aber nichts auf diese Warnungen und dieses Risiko (genaugenommen kein Risiko, sondern eine notwendige Folge) und betrieben weiter ihre Politik der Inflationsbekämpfung. Trotzdem sind die Warenpreise seitdem stark und pausenlos gefallen, und in jüngster Zeit fallen auch die Industriepreise. Dazu kommt, dass die hohe Inflation der nationalen Währungen in der übrigen Welt (Peso, Rubel usw.) und deren starke Abwertung gegenüber der Weltwährung Dollar weltwirtschaftlich gesehen faktisch eine starke Deflation bedeutet, die die Preise dieser Länder senkt und ihre Exporte für diejenigen, die ihre Währungen mit Dollar kaufen, billiger macht. Das betrifft in erster Linie natürlich Konsumenten, Produzenten und Investoren in - und aus (!) - den USA. Es wird kaum erwähnt (!), dass diese den Rest der Welt aufkaufen können und tatsächlich aufkaufen und dafür mit Dollars bezahlen, die nur den Druck und die Distribution »kosten«, also für die Amerikaner praktisch kostenlos sind. (Die 100-Dollar-Note ist das meistbenutzte Bargeld auf der Welt. Damit läuft die gesamte russische Wirtschaft, und es zirkulieren doppelt oder dreimal so viele davon außerhalb der USA wie im Lande.) Es war reiner Zufall, dass die Amtsdauer der Clinton-Regierung von 1992 bis 2000 und ihr »ausgeglichener« Haushalt mit diesem Boom und Wohlergehen der US-Ökonomie zusammenfielen. Die gleichzeitige acht Jahre lange Prosperität der USA fand vollständig auf dem Rücken der schrecklichen Depression, Deflation und dadurch hervorgerufenen merklichen Zunahme der Armut in der übrigen Welt statt. In diesem einen Jahrzehnt ging die Produktion in Russland und Osteuropa um über die Hälfte zurück, und die Lebenserwartung in Russland nahm um zehn Jahre ab, Kindersterblichkeit, Alkoholismus, Kriminalität und Selbstmord nahmen zu wie noch nie zuvor in Friedenszeiten. Seit 1998 ging das Einkommen in Indonesien um über die Hälfte zurück und führte zu der längst nicht überwundenen politischen Krise. Die in den USA erzeugte Entropie wird also ins Ausland an diejenigen exportiert, die sie in noch größerer Unordnung absorbieren müssen. Es wäre schwierig, bessere Beispiele zu finden - außer der Zerstörung ganzer Gesellschaften in Argentinien, Ruanda, Kongo, Sierra Leone, der bisher reichen und stabilen Elfenbeinküste - ganz zu schweigen von den Ländern, die durch die militärische Macht der USA zerstört wurden.

Kapitalströme in die USA

All dies hat unter anderem folgende Konsequenzen: Die USA können die inländische Inflation, die sonst von diesem hohen Angebot an Währung erzeugt würde, exportieren. Dass die Inflationsrate in den 90er Jahren so niedrig war, war also kein Wunder und hatte nichts mit einer »richtigen« Binnen-Geldpolitik der Fed zu tun. Die USA konnten ihr Handelsbilanz- und Haushaltsdefizit mit billigem Geld und Waren aus dem Ausland decken. Das Handelsbilanzdefizit der USA beläuft sich inzwischen auf ca. 400 Milliarden Dollar im Jahr und steigt weiter. Davon werden 100 Milliarden von Japanern gedeckt, die ihre eigenen Ersparnisse in den USA investieren. Die USA sparen aber nichts. Vielleicht müssen die Japaner dieses Geld bald zurückholen, um ihre eigene Banken- und Wirtschaftskrise zu bewältigen - vor allem, wenn ein amerikanischer Krieg gegen den Irak zu einem auch nur vorübergehenden Anstieg des Ölpreises führt, von dem Japan so abhängig ist. Weitere 100 Milliarden Dollar kommen aus Europa in Form von verschiedenen Arten von Investitionen, darunter realen Direktinvestitionen, die austrocknen könnten, falls die Rezession in Europa weitergeht, die Europäer über die Politik der USA verzweifeln oder aus irgendwelchen anderen Gründen ihre Dollar-Reserven abbauen und in ihre eigene Euro-Währung umschichten. Ein dritter 100-Milliarden-Posten kommt aus China, das erst seine billigen Industrieerzeugnisse für Dollars an die USA verkauft und dann diese Dollars als ausländische Währungsreserven akkumuliert. China ist damit letztlich ein armer Produzent, der seine Waren an die reichen Amerikaner verschenkt. China tut dies, um seine Exporte und damit seine Industrien am Laufen zu halten, aber wenn es sich entschiede, mit diesen Waren seinen inneren Markt stärker auszudehnen, würden Einkommen und Wohlstand seiner Menschen steigen, und die USA säßen auf dem Trockenen. Die letzten 100 Milliarden Dollar des Defizits werden von anderen Kapitalzuflüssen wie dem Schuldendienst der armen Lateinamerikaner und Afrikaner gedeckt, die ihre ursprünglichen Schulden schon mehrmals abgezahlt haben und dennoch durch permanente Umschuldung zu höheren Zinssätzen auf einer immer höheren Gesamtschuldensumme sitzen. Allerdings setzt sich langsam die Idee durch, Zahlungsunfähigkeit nach chapter 9 oder 11 amerikanischen Rechts zu erklären.

Die Deflation/Abwertung woanders auf der Welt zieht also wie ein Magnet spekulatives Finanzkapital - amerikanischer wie ausländischer Besitzer - aus der übrigen Welt in US-Schatzbriefe (mit denen das Haushaltsdefizit der USA gestopft wird) und zur Wall Street. Damit wurde die Hausse an der Wall Street angeheizt und in Gang gehalten, die ihrerseits auf spekulative und illusorische Weise den Reichtum der amerikanischen und ausländischen Anleger vergrößerte und durch diesen ebenfalls illusionären »Reichtumseffekt« auch höheren Konsum und höhere Investitionen förderte. Für die Firmen, die ihre Aktien während der Hausse bei hohen und steigenden Kursen ausgegeben und verkauft haben, lohnt sich aber auch der darauffolgende Kursverfall in der gegenwärtigen Baisse, da sie jetzt ihre eigenen Aktien zu extrem günstigen Kursen zurückkaufen, d.h. einen riesigen Profit auf Kosten der Kleinaktionäre machen, die diese Aktien jetzt bei niedrigen und fallenden Kursen verkaufen. Über dem »Wohlstand« der USA hängt nun auch das Damoklesschwert einer instabilen riesigen Inlandsverschuldung im Firmen- wie im privaten Bereich (Kreditkarten, Hypotheken usw).

Zusätzlich sind die USA stark überschuldet bei ausländischen Besitzern von US-Schatzbriefen, Aktien und anderen Anlagen an der Wall Street. Diese Schulden könnten von ausländischen Zentralbanken, die Reserven in US-Dollar halten, und anderen ausländischen Gläubigern fällig gestellt werden. Dieselbe Politik der USA, die so viel zur Destabilisierung woanders auf der Welt beigetragen hat (z.B. durch die Destabilisierung Südostasiens, die die Wirtschaft und das Finanzsystem Japans noch zusätzlich untergraben hat), gefährdet jetzt die USA, indem sie die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass besonders japanische und europäische Gläubiger ihre Außenstände in den USA bald zurückfordern müssen, um ihre eigenen immer instabileren Wirtschafts- und Finanzsysteme aufzufangen. Die Auslandsverpflichtungen der USA betragen inzwischen zwei Drittel ihres BIP - und können und werden daher niemals abgezahlt werden. Aber jede Stockung bei der permanenten Umwälzung dieser Schulden kann dazu führen, dass die ausländischen Gläubiger versuchen, so viel Geld wie möglich herauszuziehen, - was einen Crash des Dollar zur Folge hätte.

Rüstungskeynesianismus?

Das führt außerdem dazu, dass die US-Wirtschaft (und die Weltwirtschaft!) inzwischen in einer Klemme steckt, aus der sie sich höchstwahrscheinlich nicht durch einen Rückgriff auf keynesianische Ankurbelung der Wirtschaft durch staatliche Investitionen oder gar eine ausgewachsene makroökonomische Politik zur Stützung der amerikanischen und westlichen/japanischen Wirtschaft befreien kann, wie es die Carter- und Reagan-Administration getan hatten. Der als Friedman/Volcker'scher Monetarismus und Laffer-Kurven-Angebotsökonomie getarnte Militärkeynesianismus wurde 1977 von Carter begonnen und 1979 einen Gang höher geschaltet. Im Oktober 1979 stellte der von Carter ernannte Fed-Chef Paul Volcker die Geldpolitik der Fed von hoher Geldschöpfung und niedrigen Zinsen auf den Versuch niedriger Geldschöpfung und hoher Zinsen um (bis zu 20 Prozent auf Geld!), um den in den 70er Jahren abgestürzten Dollar zu retten und ausländisches Kapital in die armen USA zu locken. Gleichzeitig begann Carter im Juni 1979 den Militärkeynesianismus, der dann von Präsident Reagan [ab 1981] weiter eskaliert wurde. Damit hatten sie letztlich Erfolg.

Es ist aber äußerst unwahrscheinlich, dass eine derartige Politik heute wieder Erfolg haben könnte. Die USA müssten dann heute für sich und ihre Verbündeten wieder dieselbe reflationäre Politik machen, aber das können sie nicht! Die Fed hat die Zinsen schon so weit gesenkt, dass sie kaum noch weiter heruntergehen kann, und es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sie dadurch Investitionen fördern würde. Andererseits würde eine Erhöhung der Zinsen zur Anlockung von Mitteln aus dem Ausland das Risiko bergen, alle Inlandsinvestitionen und produktives Kapital abzuwürgen. Als Brasilien - mit extravaganten Zinssätzen um die 60 Prozent - versuchte, ausländisches Kapital anzulocken, ruinierte es seine inländische Wirtschaft.

USA: Consumer in last resort

Vielleicht werden (sollten? müssen??) die USA jetzt versuchen, wie in den 80er Jahren sich selbst und ihre Verbündeten (inzwischen minus Japan, aber plus Russland?) mit Ausgaben aus der weltweiten Rezession herauszuholen. Die Rezession ist heute aber viel tiefer, gleichzeitig weltweit und droht in eine weltumspannende Depression überzugehen. Die USA müssten wieder eine massive keynesianische reflationäre defizitfinanzierte Ausgabenpolitik (wahrscheinlich Militärausgaben mit dem 11. September als Vorwand) als Lokomotive benutzen, um den Rest der Welt aus seiner ökonomischen Krise herauszuziehen. Die USA sind aber schon für die gesamte Welt der Konsument in letzter Instanz [ironische Anspielung auf den lender in last resort; eine Rolle, die den Zentralbanken oder international lange Zeit den USA zukam], aber nur aufgrund der Ersparnisse, Investitionen und billigen Importe aus dem Ausland, die selbst einen Teil des weltwirtschaftlichen Problems darstellen.

Außerdem könnten die USA zu einer inflationären Politk Zuflucht nehmen, um ihre riesigen und immer weiter wachsenden Auslandsschulden loszuwerden. Aber selbst das könnte - anders als in der oben zusammengefassten vorherigen Phase - nicht verhindern, dass das Handelsbilanzdefizit weiter wächst, besonders, wenn die Marktnachfrage weiter sinkt und im Ausland der Druck steigt, in die USA als Nachfrage(r) der letzten Instanz zu exportieren. Diesmal werden aber keine Kapitalzuflüsse von außen die US-Wirtschaft retten. Im Gegenteil würde der jetzige Abwertungsdruck auf den US-Dollar gegenüber anderen Währungen eine Kapitalflucht aus den USA auslösen: sowohl aus US-Staatsanleihen als auch aus der Wall Street, wo große Kursverluste zu weiteren Preisverlusten und einer Deflation im Weltmaßstab führen, selbst wenn die USA den Versuch einer Inlandsinflation unternimmt.

Politische Ökonomie des Öls

Der Preis des Öls ist noch ein weiteres Haar in der Suppe, dessen Länge und Bedeutung im umgekehrten Verhältnis zum guten oder schlechten Geschmack der Suppe steht. Und die Suppe schmeckt schon schlecht und immer schlechter. Der Weltpreis des Öls war schon immer ein zweischneidiges Schwert, dessen beide Schneiden sich durch eine erfolgreiche alternative Wirtschafts- und Preispolitik entschärfen ließen. Einerseits sind die erdölproduzierenden Volkswirtschaften und Staaten und ihre Interessen auf einen Mindestpreis angewiesen, damit sie ihr Öl produzieren und verkaufen, statt es unter der Erde zu lassen und Investitionen in die Ölproduktion auf bessere Zeiten zu verschieben. Die USA produzieren ihr Öl zu hohen Kosten. Auch wichtige Staaten wie Russland, Iran und besonders Saudi-Arabien brauchen aus wirtschaftlichen und politischen Gründen einen hohen Ölpreis, genau wie die Ölindustrie in den USA. Andererseits ist ein niedriger Ölpreis gut für erdölimportierende Länder, ihre Konsumenten einschließlich ölverbrauchender Produzenten von anderen Produkten, und macht eine staatliche makroökonomische Politik z.B. in den USA möglich, wo niedrige Ölpreise eine gute Politik darstellen und gut für die Wirtschaft sind. Heutzutage scheint die Linie zwischen hohen und niedrigen Preisen bei etwa 20 US-Dollar pro Barrel zu liegen - zum gegenwärtigen Wertpreis des Dollar! Aber anscheinend ist niemand in der Lage, den Ölpreis auf dieses Niveau hochzuschrauben. Der gegenwärtige Konflikt findet schon lange nicht mehr innerhalb der OPEC statt, sondern vorrangig zwischen der OPEC, die heute nur noch etwa 30 bis 40 Prozent des weltweiten Angebots verkauft, und anderen Produzenten, die 60 Prozent liefern, heute vor allem Russland, aber auch die USA selbst, die gleichzeitig ein wichtiger Produzent als auch als einer der größten Märkte sind, obwohl sich das zunehmend nach Ostasien verlagert. Die Rezession sowohl in den USA wie in Asien und die daraus folgende sinkende Nachfrage nach Öl drückt den Preis nach unten. Die Strategie der USA in den Kriegen gegen Afghanistan und Irak besteht darin, möglichst viel Kontrolle über das Öl zu gewinnen und diese in den Regionen Zentralasien, Kaspisches Meer und Persischer Golf möglichst wenig mit Russland zu teilen. Und selbst wenn sich damit nicht der Ölpreis kontrollieren lässt, dient diese Kontrolle als wichtiger geopolitischer Hebel für Manipulationen gegen die vom US-Öl-Import abhängigen Verbündeten in Europa und Japan und letzlich gegen den strategischen Feind der USA in China.

Die USA können den heute und morgen benötigten Mindestpreis des Öls nämlich weder mit keynesianischer reflationärer noch mit inflationärer Ausgabenpolitik weiter stabilisieren. Keine Politik kann langfristig einen Mindestpreis für das Öl garantieren und einen weiteren Preisverfall und damit eine deflationäre Sogwirkung auf andere Preise verhindern. Dies könnte nur eine gesteigerte Weltmarktnachfrage aufgrund einer wirtschaftlichen Erholung - und/oder Begrenzungen des Öl-Angebots. Und eine weitere Deflation wird wiederum die Schuldenlast der schon jetzt stark überschuldeten Wirtschaften der USA, Russlands und Ostasiens, ganz zu schweigen von einigen Ländern Europas und der Dritten Welt erhöhen.

Die politische Ökonomie des Öls wird den Deflationsdruck also wahrscheinlich weiter steigen lassen. Das wiederum würde das vom Ölexport abhängige Russland weiter stark schwächen - was ja heute schon der Fall ist. Diesmal aber würde es auch die Ölindustrie in den USA und ihre ausländischen Partner vor allem in Saudi-Arabien und am Persischen Golf schwächen. Tatsächlich hat der niedrige Ölpreis in den 90er Jahren die einst boomende saudische Wirtschaft schon jetzt in die Krise gedrückt. Die daraus resultierenden spürbaren Einkommensverluste und Arbeitslosigkeit in der Mittelschicht haben breite Unzufriedenheit ausgelöst, die noch zu wachsen droht, und das genau zu einem Zeitpunkt, an dem die saudische Monarchie sowieso mit destabilisierenden Problemen durch ihren eigenen Generationswechsel zu tun hat. Außerdem würde ein niedriger Ölpreis auch neue Investitionen unattraktiv machen, neue Ölproduktion verschieben und potentielle Profite aus dem Verlegen neuer Pipelines in Zentralasien zunichte machen.

Tatsächlich gibt es noch einen dringenderen Grund, warum die USA die irakischen Ölreserven kontrollieren müssen. Diese sind nämlich die zweitgrößten und am wenigsten ausgeschöpften in der Region und bieten ein großes Potential, die Ölproduktion zu erhöhen und die Preise zu drücken. Aber das ist nicht alles und noch nicht einmal der Kern der Sache. Viele waren überrascht, als Präsident Bush Iran und Nordkorea in seine »Achse des Bösen« aufnahm, wenn auch vielleicht nicht ganz so überrascht über den Versuch der USA, einen Putsch und Regimewechsel in Venezuela zu betreiben, das etwa 15 Prozent der US-Ölimporte liefert. Viele fragen sich also, was diese Länder miteinander gemeinsam haben. Gut, drei von ihnen haben Öl, Nordkorea aber nicht. Worin liegt also die Bedrohung, die es für Bushs Achse qualifiziert? Sicher sind weder Geographie noch Bündnisse der Grund (Irak und Iran waren Todfeinde, und Nordkorea spielt nicht in der gleichen Liga). Die Antwort ist einfach und erklärt nicht nur dieses Rätsel, sondern auch die ansonsten ziemlich wirr und verwirrend wirkende Außenpolitik der USA: 1. Irak hat im Jahr 2000 den Preis seines Öls von Dollar auf Euro umgestellt. 2. Iran droht damit, dasselbe zu tun. 3. Nordkorea hat seinen gesamten Außenhandel auf Euro umgestellt. 4. Venezuela hat einen Teil seines Öls aus der Preisfestsetzung in Dollar herausgenomomen und tauscht es stattdessen gegen Waren aus anderen Dritte-Welt-Ländern. Außerdem hat ein alter Freund von mir, der Venezolaner Francisco Mires in der OPEC-Zentrale in Wien, vorgeschlagen, die gesamte OPEC sollte ihre Ölpreise von Dollar auf Euro umstellen! Nichts anderes, kein Terrorismus der Welt, könnte eine größere Bedrohung für die USA darstellen; all diese Maßnahmen und jede einzelne von ihnen würde dem Dollar jede Basis entziehen, denn die Ölimporteure würden nicht mehr Dollar, sondern Euro kaufen, um damit ihr Öl zu bezahlen. Dann würden sie wohl auch ihre Reserven aus dem Dollar herausziehen und in den Euro transferieren. Irak hat an der Umstellung schon etwa 15 Prozent verdient, die der Euro gegenüber dem Dollar gestiegen ist. Außerdem würden die arabischen Ölstaaten, die ihr Öl heute für Papierdollars verkaufen, kaum weiter ihr Geld für militärische Hardware aus den USA ausgeben. Genau dieses Horrorszenario soll durch die amerikanische Besetzung des Irak verhindert werden, und der Iran ist als nächstes dran. Seltsamerweise wird dieses »Detail« über den Öl-Dollar bzw. -Euro von der Regierung oder den Medien in den USA nie erwähnt. Kein Wunder, dass die großen europäischen Staaten gegen Bushs Irak-Politik sind. Diese wird nur von Britannien unterstützt, das selbst ein Nordseeölproduzent ist. Wie doch eine einzige kleine zufällige Information dazu führen kann, dass die anderen Stücke des gesamten Puzzles plötzlich zusammenpassen!

Papiertiger

All diese heute vorhandenen Probleme und Entwicklungen könnten (werden?) der Binnen- und Außen-Wirtschafts- und Geldpolitik der USA den Boden entziehen. Die USA können sich nur noch mit den beiden bekannten Säulen der von Präsident Bush dem Vater nach »Bushs Golfkrieg« gegen den Irak und der Auflösung der Sowjetunion 1991 etablierten »Neuen Weltordnung« schützen. Präsident Bush der Sohn versucht jetzt, die neue Weltordnung seines Vaters (der zweifellos immer noch als eigentliche Macht hinter dem Thron steht) zu konsolidieren, vom Krieg gegen Afghanistan bis zur erneuten Drohung gegen den Irak und dem Versuch von Bush und Putin, eine amerikanisch-russische Entente - oder Achse? - zu etablieren.

Die Dollar-Säule bröckelt. Das tat sie schon nach dem Vietnamkrieg, aber drei Jahrzehnte Flickwerk haben sie bisher stabilisiert. Wie wir aber gesehen haben, bleibt den USA kein ökonomisches Mittel mehr, um die Dollar-Säule aufrechtzuerhalten. Man könnte sie zwar kurzfristig durch eine starke Inflation schützen, indem man noch mehr US-Dollars druckt, um die Schulden der USA zu bedienen, aber damit würde man ihre Stärke erst recht untergraben.

Damit bliebe den USA zur Aufrechterhaltung ihrer politischen Ökonomie und Gesellschaft nur die militärische Säule. Aber sich auf diese zu verlassen, birgt selbst wieder Gefahren. Ganz offensichtlich betrifft das Länder wie Irak, Jugoslawien und Afghanistan und natürlich alle anderen, denen damit unmissverständlich klargemacht wird, dass sie in der neuen Weltordnung der USA nach deren Regeln spielen müssen, wenn sie nicht das gleiche Schicksal erleiden wollen. Aber die politische Erpressung, sich zu den Bedingungen der USA an der neuen Weltordnung zu beteiligen, betrifft auch die Verbündeten der USA - vor allem in der NATO - und Japan. Ausgeübt wurde sie im Golfkrieg (die anderen Staaten zahlten die Ausgaben der USA, so dass diese am Krieg einen Nettogewinn machten), im Krieg der USA gegen Jugoslawien, wo die NATO und ihre Mitgliedstaaten zur Teilnahme genötigt wurden, und im Krieg der USA gegen Afghanistan als Teil der Verkündung von Präsident Bushs neuer Politik. Er benutzte die Terminologie des Kalten Krieges von John Foster Dulles (»Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid gegen uns«). Aber die militärisch-politische Erpressung als einzige Strategie, die den USA noch bleibt, könnte auch zum Bankrott der USA führen, wenn die bröckelnde Dollar-Säule nämlich nicht mehr als Stütze funktioniert. Sie könnte auch zu einer »Überdehnung«, wie Paul Kennedy [1] sagen würde, und zu einem »Blowback« der USA, wie die CIA und Chalmers Johnson [2] sagen würden, führen.

Zusammengefasst und schlicht gesagt haben die USA nur noch zwei Stützen, die zugegeben zwar von Weltbedeutung sind, aber möglicherweise trotzdem nicht ausreichen. Es handelt sich um den Dollar und um ihre militärpolitischen Druckmittel. Was den Dollar angeht, bricht das Kartenhaus der spekulativen US-Wirtschaft jetzt schon in den USA selbst zusammen.

Jetzt wird zur weltweiten Aufrechterhaltung der neuen Ordnung die zweite Säule benutzt. Am wichtigsten ist dabei heute vielleicht die vorgeschlagene Entente USA/Russland gegen China statt einer (oder zum Zweck einer?) Verteidigung der USA gegen eine Entente Russland/China (und Indien?). Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien bewegte sich in Richtung der letzteren, und der Krieg der USA gegen Afghanistan fördert die erstere. Gott/Allah verhüte, dass irgendeine davon oder ihr heiliger Krieg gegen den Islam uns alle in die Luft jagt oder andere dazu provoziert, dies zu tun.

In jedem Fall kann die imperiale politisch-militärische Erpressungsstrategie der USA immer noch auf diese selbst zurückschlagen, was zeigt, dass diese nicht aus Stärke erwächst, sondern aus der Schwäche eines echten Papiertigers.

 

(Der hier übersetzte Artikel ist die erste Hälfte des Papiers »Paper Tiger, Fiery Dragon« auf der Webseite von A.G.Frank. Auf die Brüchigkeit der US-Ökonomie im Weltsystem hatte Frank schon lange hingewiesen - z.B. in dem Buch: »Widerstand im Weltsystem«, das 1990 im Promedia Verlag erschienen ist.)

Fußnoten:

[1] Anm.d.Ü.: Von Paul Kennedy stammt die These des »imperial overstretch«, der »imperialen Überdehnung«. Alle großen Weltmächte sind bisher daran zugrunde gegangen, dass sie mit zunehmender imperialer Macht die daraus entstehenden Lasten ökonomisch nicht mehr tragen konnten. Sein Buch erschien 1987 und sah den Niedergang der USA kommen. Angesichts des Booms der 90er Jahre revidierte er seine These ... Auf deutsch: Paul Kennedy: Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt 1500-2000, Fischer-Taschenbuch, 14,90 Euro.

[2] Anm.d.Ü.: »Blowback, The Costs and Consequences of American Empire« ist der Titel eines Buchs von Chalmers Johnson, das in den USA im Jahr 2000 erschien und den 11.9. oder ähnliches voraussah. Er beschreibt detailliert, wie sich die USA mit ihren weltweiten Stützpunkten und ihrem dominierenden Verhalten überall auf der Welt so unbeliebt gemacht haben, das es zu »Rückschlägen« kommen muß. Auf deutsch: Chalmers Johnson, Ein Imperium verfällt. Ist die Weltmacht USA am Ende? Goldmann-TB, 10 Euro.


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