Wildcat-Sonderheft Krieg 2003 - März 2003 - S. 65-67 [wk3muenk.htm]


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Frieden stiften, Krieg verstaatlichen

Buchkritik

Herfried Münkler, Die neuen Kriege
Rowohlt Verlag, Reinbek 2003
ISBN: 3-498-04487-7, 285 Seiten, 19,90 Euro

Herfried Münklers Buch Die neuen Kriege findet sich in jeder größeren Buchhandlung, schlüssige Antworten auf den drohenden Krieg der USA gegen den Irak findet man in ihm jedoch nicht.

Münklers Kernthese ist, dass der klassische Staatenkrieg ein historisches Auslaufmodell sei, an seine Stelle haben sich die neuen Kriege gesetzt, die von Kriegsunternehmern, »Warlord-Figurationen«, geführt werden. Diese Kriege folgen einer eigenen ökonomischen Logik und können aufgrund einer gewandelten Finanzierungsform mit low budget über Jahrzehnte geführt werden. Sie zeigten jedoch, dass der Staat als Monopolist des Krieges ausgedient habe. Vielmehr hätten diese neuen Kriege viele Parallelen zur Konstellation des Dreißigjährigen Krieges. Münkler hat die Kriege im subsaharischen Afrika vor Augen, die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien und in Afghanistan von den 80er Jahren bis heute. Diese Kriege entwickelten sich an den Rändern und Bruchstellen einstiger Imperien und würden mit dem Scheitern der Staatsbildungsprozesse in der Dritten Welt und den Peripherien der Ersten und Zweiten Welt zusammenhängen. Nach Münkler handelt es sich nicht um Staatsbildungskriege, sondern um Kriege, die in failed states eine bestimmte Form der kriegerischen Ökonomie und Einkommensquelle darstellen. Die entstehenden Flüchtlingslager wären für diese Kriege Nachschubzentren, und die »humanitäre Hilfe« internationaler Organisationen dienten teilweise der Fortführung der Kriege - NGOs sind so also direkt an der Kriegsführung beteiligt. Diese Kriege würden nicht auf die Entscheidungsschlacht drängen, sondern köcheln vor sich hin - diesen Tatbestand nennt Münkler kennzeichnend für low intensity warfare.

Münkler ignoriert jedoch den Hintergrund dieses Begriffs: die Kriege niedriger Intensität wurden hauptsächlich von den USA als Folge des gescheiterten »großen Krieges« gegen Vietnam mit counter-insurgency-Programmen verbunden. Es ging darum, lokale Banden und Gruppen in Lateinamerika zu unterstützen, die wie in Nicaragua oder El Salvador Bestandteil eines umfassenden kapitalistischen Entwicklungs- und Zertrümmerungskriegs gegen die sozialistische und kommunistische Bedrohung von unten waren. Diese Kriege zielten nicht auf ein Territorium, sondern mittels militärischer, para-militärischer, wirtschaftlicher, politischer und psychologischer Aktionen auf die Bevölkerung. Daraus folgte eine eigenständige Kriegsökonomie, in die auch die Gegenseite gewollt oder ungewollt hineingezogen wurde: auch die nicaraguanische FSLN wirkte im Zuge dieses Krieges an der Zerstörung der indigenen Gemeinden durch Zwangsumsiedlungen mit.

Münkler bleibt jedoch sehr allgemein, wenn er die Kriegsökonomie der heutigen »neuen« Kriege beschreiben will: Raub und Plünderung, Sklavenarbeit, Entstehung von Schattenökonomien, Angstmanagement kennzeichnen diese. Dem stellt er die zivilisierende und den Kriegsverlauf einhegende Funktion des Staates entgegen, die es wieder zu installieren gelte. Dabei muss Münkler ignorieren, dass die neuen Kriege von Staaten durch Waffenlieferungen, Öl-, Opium- und Edelsteinökonomie am Laufen gehalten werden. Auch bei der besonderen Betonung der Funktion von Vergewaltigungen und organisierter Brutalitäten gegen Frauen, der er anhand der Kriege in Ex-Jugoslawien eine besondere Rolle einräumt, verschweigt Münkler, dass auch die staatlichen Kriege immer von Vergewaltigungen begleitet wurden.

Münkler hat schon Mitte der 80er Jahre in Diskussionen mit Ekkehart Krippendorff die Pazifizierungsfunktion des Staates gegen einen generellen antistaatlichen Antimilitarismus hochgehalten und drängt nun auf die Rückkehr des Staates als Monopolist des Krieges. Der Staat solle statt der Warlords die Märkte schützen, Gründe für die Zunahme von Kindersoldaten sieht er in der Abwesenheit der »Disziplinierungsmechanismen regelmäßiger Arbeit«.

Allgemein ist das Buch ein Handbuch für den europäischen Beitrag im »Kampf gegen den Terrorismus« und die neuen Kriege. Münkler macht eine Unterscheidung auf zwischen dem europäischen Weg, der symmetrische Politikvorstellungen befördere, und den USA (festgemacht an der Ideologie des »gerechten Krieges«, aber auch an der US-Kriegsführung), die sich auf den Spuren eines asymmetrischen Politikverständnisses befänden und einer imperialen Logik folgten (vgl.: Münklers Beitrag in der Frankfurter Rundschau vom 12.2.2003)

Aus dem Terrorismus sei ein »Terrorkrieg« geworden, schreibt Münkler, für den die »Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur zu einer entscheidenden Ressource des Krieges geworden ist«. In eine Fußnote verbannt er dann den Hinweis, dass diese Entwicklung schon in den großen massenindustriellen Kriegen begonnen hat. Doch genau diese Kriegsökonomie des Ersten und dann des Zweiten Weltkrieges, in denen bisherige soziale Strukturen zertrümmert wurden, beschreibt Münkler nicht. Die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, die massenhafte Bombardierung von Arbeiterquartieren, die Kriegswirtschaft - das waren gesellschaftliche Umwälzungen, zu denen der aktuelle Terrorismus gar nicht in der Lage ist. Doch Münklers Wunsch nach einer Re-Etatisierung des Krieges muss auch zu einer Kleinzeichnung der staatlichen Kriege führen, die er im Niedergang begriffen sieht.

Aufgrund der »dramatischen Verteuerung des Krieges« würden zwischenstaatliche Kriege immer unwahrscheinlicher werden. Hier blendet Münkler die Tatsache aus, dass sich ab dem Korea-Krieg 1950-53 die USA darauf stützen, mittels eines Militärkeynesianismus die eigene Ökonomie zu lenken. Den Materialismus, den Münkler auf die neuen Kriege anzuwenden versucht, vergisst er, wenn es um die großen geht: Imperialismusanalysen und Marxismus werden mit der Bemerkung abgekanzelt, dass sich besser in Friedenszeiten Handel treiben lässt, und der kriegerische Zugriff auf wichtige Ressourcen wie Öl wird in einer Fußnote nebenbei abgehandelt. Stattdessen meint Münkler, dass aktuelle Kriege, die als Interventionen fungieren, defensiven Charakter hätten, mit Imperialismus nichts zu tun hätten, den er als »Raubökonomie« vereinfacht. Vielmehr ginge es den heutigen Interventionen um die Verhinderung von Raubökonomie.

Bei dem von den USA angestrebten Krieg gegen den Irak handelt es sich nun aber nicht um eine »Intervention«, sondern um einen angedrohten Präventivkrieg. Münkler nutzte die Möglichkeit, in der Frankfurter Rundschau vom 29.11.2002 eine Analyse der amerikanischen Motive für einen weiteren Golfkrieg zu liefern. Massenvernichtungswaffen, aber auch Ölinteressen, würden als Gründe ausfallen, es ginge um die Etablierung eines Entwicklungsprojekts im Nahen Osten, die USA wollten die notorische Entwicklungsblockade der muslimischen Welt dadurch aufbrechen, dass ein Staat, der ökonomische Prosperität und politische Stabilität verkörpere, aufgebaut wird - ein solches Projekt müsste Parallelen zu den Aufbauplänen für Westeuropa nach 1945 haben. Sollten sich diese Erwartungen als unrealistisch erweisen, so Münklers Politikberatung, solle die deutsche Regierung »mit eigenen Alternativen aufwarten«. Hier liegt Münkler auf der Linie US-amerikanischer think tanks, die den Krieg mit der Idee von Fortschritt und Entwicklung für die Region zu legitimieren versuchen (unterstützt hierzulande von den lächerlichen antideutschen Fußtrupps, die für einen US-Krieg trommeln und für eine ihn begleitende »bürgerliche Revolution« schwärmen). Doch der Kapitalismus hat nichts mehr zu versprechen. Auch die idealistische Behauptung, man könne einen Marshallplan für den Irak austüfteln, reflektiert nicht auf die einmalige historische Situation nach 1945: die USA mussten angesichts von Streiks in Frankreich und Hungermärschen in Deutschland Westeuropa davor bewahren, kommunistisch zu werden und wollten Europa als Absatzmarkt gewinnen - deshalb floss das Geld. Heutzutage blockieren aber nicht islamistische Bewegungen oder steckengebliebene Modernisierungsdiktaturen wie der Irak die Entwicklung, sondern die Entwicklung des Kapitalismus allgemein wie auch in den USA als bisherigem Hegemon des kapitalistischen Weltsystems ist in einer Sackgasse.

Gegen die Intention des Autors kann eine radikale Antikriegsbewegung von Münklers Kriegsanalyse folgendes mitnehmen:

  • Die »postheroischen Gesellschaften« im Westen halten Kriege nicht lange aus, es lässt sich nicht mehr so leicht ein fahnenschwenkender Patriotismus entfachen, der auch viele eigene Tote in Kauf nimmt.
     
  • NGOs sind Bestandteil des Krieges. Das lässt sich deutlich an den Versuchen erkennen, eine unkontrollierbare Fluchtbewegung aus dem Irak einzudämmen.
     
  • Die Entwicklung eines asymmetrischen Bombenkriegs unter Vermeidung eigener Opfer zieht sich vom Zweiten Weltkrieg über die B-52-Bomber-Einsätze in Vietnam bis zu den Bombardements während des Kosovo-Krieges 1999 und zum Afghanistankrieg 2001 durch. Das ist ein Faktum, das diejenigen Linken vergessen wollen, die meinen, man könne sich aus ideologischen Gründen mal negativ und mal positiv auf den Krieg beziehen.

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