Wildcat-Sonderheft Krieg 2003 - März 2003 - S. 68-69 [wk3faile.htm]


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Legionäre und Piraten

Zur Diskussion um den Zusammenbruch der »Zivilisation«, Schurkenstaaten, Staatskollaps und »Neue Kriege«

Glauben wir den Vertretern der »Zivilisation«, so leben wir derzeit in einer historischen Phase, die in ihren Merkmalen die Zeit des Dreißigjährigen Krieges mit der Umkreisung des römischen Imperiums durch Barbaren und Piraten verbindet. Die liberaleren Vertreter der Zivilgesellschaft hoffen, den Kollaps des kapitalistischen Staatensystems durch eine Stärkung der zivilen internationalen Institutionen zu verhindern. Gleichwohl weisen sie darauf hin, dass in der Vergangenheit Entwicklungshilfe und NGOs keinesfalls geholfen haben, Konflikte zu entschärfen. Eher ist das Gegenteil zutreffend.

Die Falken der »Zivilisation«, wie der CIAler Huntington, der amerikanische Kriegsminister Rumsfeld und in Deutschland ihre linken Fußtruppen, arbeiten an einem »Limes« gegen die Wilden. Dieser Limes kann die Gestalt des neuen israelischen Grenzzaunes annehmen oder die Gestalt der Zäune und Soldaten, die die algerischen und angolanischen Ölförderanlagen vom Rest des Landes trennen. Werden die Menschen außerhalb des Imperiums zu unruhig, folgen Polizeiaktionen der globalen Schutztruppe .

Uns kann es natürlich nicht um die Diskussion dieser Positionen gehen; gleichwohl stellt sich die Frage der Krise des Kapitalismus auch als Frage, was sich daraus entwickelt. Und das scheint momentan weltweit nicht der friedliche Übergang zum Kommunismus zu sein, sondern eine chaotische Zeit brutaler Verteilungs- und Überlebenskämpfe. Das bedeutet nicht, dass diese Tendenz unumkehrbar ist. Im Gegenteil - die Reproduktion der Menschen innnerhalb der Kriegsgebiete hängt stärker als jemals zuvor vom Funktionieren der Weltwirtschaft ab. Der Krieg dauert nur solange an, wie in ihn investiert wird, um die Ausbeutung von Rohstoffen abzusichern. Deutlich wird nur, dass er wahrscheinlich vor dem Zusammenbruch des Kapitalismus nicht aufhören wird.

Seit Ende der 80er Jahre haben sich in vielen Regionen der Welt Konflikte gewaltsam zugespitzt. Afrika war der erste »verlorene Kontinent«. Aber auch in Teilen von Asien lösten sich staatliche Strukturen auf. Jugoslawien war das erste Land in Europa, wo die Umwandlung der »sozialistischen« Gesellschaft in einem langandauernden Bürgerkrieg mündete. Wirklich neu ist die Erscheinung eines »Bürgerkriegs« natürlich nicht - der Guerillakrieg in Kolumbien bspw. fing schon 1948 an. Zunehmend Sorge bereitet den herrschenden Ökonomen und sonstigen Wissenschaftlern allerdings, dass diese Konflikte nur mehr bedingt steuerbar sind und sich tendenziell ausbreiten. Vor einigen Jahren tauchte in ihren Debatten der Begriff der failing states auf. Damit ist der völlige Zusammenbruch des staatlichen Gewaltmonopols gemeint. Symbol für diese »Versagerstaaten« wurde 1995 Somalia, als dort nach dem gescheitertem Interventionsversuch der USA tote GIs durch die Straßen von Mogadischu geschleift wurden.

Aufgrund solcher Erfahrungen begann sich eine neue Sicht auf diese gesellschaftlichen Entwicklungen durchzusetzen; wurde bis dahin das Bild von politisch begründeten Konflikten gepflegt, so begriff man nun die Mechanismen als ökonomische. Mit dem Zusammenbruch der SU fiel bspw. die Erklärung für den Krieg in Afghanistan als machtpolitischer Stellvertreterkrieg weg. Oder, als anderes Beispiel, Algerien, wo mit den zunehmenden Massakern gerade unter der muslimischen Bevölkerung die Erklärung von Islamismus gegen Moderne nicht mehr haltbar war.

Die »Bürgerkriegsökonomie« hat sich als »Forschungsfeld« offiziell etabliert. Das reicht von der Weltbank, die eine eigene Forschungsgruppe dazu unterhält, bis hin zu liberalen Zivilgesellschaftlern, Entwicklungshelfern und NGOs. Mittlerweile herrscht ein Erklärungsmuster vor, das von einem Ende der Entwicklungsdiktaturen spricht. Diese Diktaturen sind nicht an ihrer militärisch-polizeilichen Schwäche gescheitert, sondern vor allem am Zusammenbruch ihrer Legitimität. Diese war für die Masse der Menschen in den meisten Ländern sowieso nur beschränkt gegeben; aber die Entwicklungsdiktaturen hatten immerhin einem (wenn auch kleinen) Teil der Bevölkerung trotz politischer Repression eine ökonomische Perspektive bieten können. Doch in dem Maße, wie der zunehmende Schuldendienst und sinkende Rohstoffpreise den Verteilungsspielraum einschränkten, wurde auch der Verteilungskampf innerhalb der Eliten härter. Der normale bürgerliche Weg, sich durch Bildung den Weg nach oben zu ebnen, wurde zunehmend versperrt. Wo vorher schon eine gewisse »Korruption« geherrscht hatte, also ein Herrschaftssystem, das sich in einem bestimmten Maße auf persönlichen Abhängigkeiten gründet, verstärkte sich das mit dem Ergebnis, dass die Gesellschaft zunehmend in unterschiedliche Teile von Klientelsystemen zerfällt, die gewaltsam miteinander konkurrieren. Die Legitimation dieser Klientelsysteme gründet sich auf ethnische und/oder religiöse Unterschiede, die gezielt konstruiert und verstärkt werden.

Somit wird aber auch die Elite zunehmend unfähig, komplexere Formen der Ausbeutung zu organisieren. Allenfalls Formen einer Raubwirtschaft sind möglich. Die Diamantenkriege in Zentralafrika sind dafür das beste Beispiel, ebenso wie die Drogenökonomien Afghanistans und Kolumbiens.

Aber natürlich ist es nicht allein und nicht zuallererst ein Problem der Eliten. In dem Maße, wie sich die Arbeiter gerade in den städtischen Zentren den vom IWF geforderten Umstrukturierungen verweigert haben, wurden sie nach und nach an die Wand gedrückt; der Rückzug internationaler Konzerne und der Abbau der Staatsbeschäftigung (auch bei den staatlichen Armeen) hat zu einem enormen Anstieg der Zahl von Arbeits- und Einkommenslosen geführt. Dieser Prozess der Demobilisierung ergriff auch die von außen finanzierten Rebellen- und Guerillagruppen. In Mozamik und Angola führte z.B. der Entzug der finanziellen Zuwendungen seitens Südafrikas nach der »Wende« zum ANC dazu, dass sich die vorher relativ gut bezahlten Söldner der RENAMO und der UNITA zu vagabundierenden Räuberbanden entwickelten. Die von ihnen betriebene Zerstörung der Subsistenzmöglichkeiten der bäuerlichen Bevölkerung und deren Vertreibung in die Städte verschärfte die Situation weiter. Für viele männliche Jugendliche ist der Söldnerdienst mittlerweile die einzige Möglichkeit, Geld für sich und ihre Familien zu verdienen. In Mozambik sind heute an die 80 professionelle Söldneragenturen tätig - ihre »Belegschaften« bestehen zum großen Teil aus Jugendlichen, die, wenn sie mal keinen Job haben, auf eigene Faust plündern oder sonstwie ihre Nachbarschaft terrorisieren.

Unter politischen Gesichtspunkten kann man es auch so formulieren, dass die sozialen Aufstandsbewegungen, die in weiten Teilen der Welt seit den 80er Jahren gegen den IWF und die von ihm gestützten Eliten revoltiert hatten, durch einen von außen finanzierten »Bürger«krieg erstickt wurden; stillschweigend wurde hier daran gearbeitet, mit Teilen der alten Eliten wenigstens die Ausbeutung der vorhandenen Rohstoffe sicherzustellen. Allerdings hat sich dadurch auch eine zerstörerische Dynamik in Gang gesetzt, die es fraglich erscheinen lässt, ob in diesen Regionen auf absehbare Zeit überhaupt wieder produktive Formen der Ausbeutung denkbar sind. Und was den Chefökonomen vor allem Angst macht, ist die Tendenz dieser gewaltsamen Auseinandersetzungen, sich auch auf die industriellen Zentren auszuweiten. Je mehr Waffen in eine Gesellschaft gepumpt werden, desto schwieriger wird es auch, diese zu kontrollieren. Jede »Befriedung« einer Region ohne wirtschaftliche Perspektive führt dazu, dass die arbeitslosen Söldner entweder ihre Waffen billig verkaufen und/oder sich gleich mit dazu. Der Frieden in Mozambik führte denn auch ziemlich bald zu zunehmender Gewalt in Südafrika selber.

Die anderen Sorgenkinder der internationalen Staatengemeinschaften sind die sog. »Schurkenstaaten«. Definiert werden sie als Staaten, die mangels Kapital zu einer »asymmetrischen« Kriegsführung greifen könnten. Das heißt, sie fechten keinen offenen Krieg mehr aus, wo sie hoffnungslos unterlegen wären, sondern greifen zu Terroranschlägen.

Letztlich drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass diese Schurken gar nicht so weit von dem Zustand eines failed state entfernt sind. Die Herrschenden im Irak z.B. konnten sich in den letzten zwanzig Jahren nur durch permanenten Krieg an der Macht halten. Gleichzeitig scheint sich innerhalb der Eliten eine pure, allerdings brüchige, Clanloyalität zu halten - Mafia eben. Alle wichtigen Posten sind mit Verwandten von Saddam Hussein besetzt. Trotzdem muss dann zwischendurch mal der halbe Generalstab erschossen werden, samt Schwiegersohn von Saddam. Das scheint nicht das Klima zu sein, wo sich eine kapitalistisch lohnende Dynamik in Gang setzen lässt, wo es Anreize gibt, als studierter »Fachmann« in entscheidende Posten nachzurücken. Der angestrebte Krieg gegen den Irak muss auch in diesem Zusammenhang gesehen werden: Durchsetzung von »normaler« bürgerlicher Staatlichkeit, um das Öl und die Arbeitskraft ausbeuten zu können.

Alle Instrumente der Steuerung, wie Entwicklungshilfe und Sanktionen in den 90er Jahren, haben die Tendenzen eher verstärkt. Entwicklungshilfeorganisationen diskutieren das als ihr »Versagen«. Auch ehemalige Vertretern einer Sanktionspolitik gestehen mittlerweile ein, dass die Sanktionen immer nur dazu geführt haben, dass sich die Macht einerseits weiter zentralisiert hat und andererseits die Schattenwirtschaft gestärkt wurde. In Ländern wie dem Irak konnte sich die politische Gewalt dadurch halten, dass sie selber die Schattenwirtschaft beherrscht, in anderen Ländern mussten sie ihre Macht komplett an die Mafiosi und Warlords abgeben. In keinem Fall konnte mit dem Instrument der Sanktionen die Rückkehr zu »normalen« Verhältnissen erreicht werden.

Die Frage nach den »Schurken« ist also für die »Internationale Gemeinschaft« keine moralische: dass etwa Saddam Hussein besonders böse und antisemitisch wäre. Im Gegenteil, solange er in der Lage war, die gesellschaftliche Ordnung irgendwie zu garantieren, wurde er gestützt - während der letzten zehn Jahre eben durch das Sanktionsregime. Seine Gefährlichkeit besteht darin, dass er dazu nicht mehr in der Lage ist. Fraglich ist aber, ob ein Kolonialregime oder eine Besatzungsarmee dazu fähig wäre. Auch in den Protektoratsgebieten des ehemaligen Jugoslawiens ist nicht mehr erreicht worden, als die gewaltsame Eindämmung der Gewalt - von einem nation rebuilding sind sie weiter entfernt als je zuvor.


Quellen und Material:

Papiere der Failed States Conference

The World Bank Development Research Group, Economy of Civil War, (www.worldbank.org) - zu finden auf der Website von Peter Lock, linksliberaler Konfliktforscher.

Artikelsammlung beim Friedensratschlag Uni Kassel


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