Wildcat Nr. 92, Frühjahr 2012 [w92_bb_seidman.html]



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Buchbesprechung

Gegen die Arbeit

Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38*

Lange zirkulierte der Text auf Englisch im Netz, erst in den letzten Jahren wurde er von kleinen linken Gruppen in andere Sprachen übersetzt und veröffentlicht. 20 Jahre nach Erscheinen der englischsprachigen Ausgabe ist Workers against Work von Michael Seidman im letzten Herbst nun auf Deutsch erschienen. Andreas Förster hat aus einer wilden Rohübersetzung von wildcat- und FAU-Leuten, die in einem Moment von Euphorie über die Entdeckung eines solchen Buches entstanden war und dann jahrelang brach lag, einen gut lesbaren und durch viele Hinweise ergänzten Text gemacht, der diskutiert werden kann.

Seidman versuchte in seiner 1982 fertig gestellten Dissertation eine Sozialgeschichte des Kampfs gegen die Arbeit zu schreiben, wie er sich in zwei bedeutenden Bezugspunkten der Linken darstellte: der Revolution in Spanien 1936/1938 und den Fabrikbesetzungen im Mai/Juni 1936 in Frankreich, die zur Volksfront-Regierung führten. Er beschreibt ein massenhaftes und kollektives Arbeiterverhalten, das die »Lockerungen« des Fabrikregimes dazu benutzt, das Arbeitstempo zu reduzieren, sich mehr freie Zeit zu nehmen, gegen Akkordarbeit und Überstunden zu kämpfen. Darin wurden die ArbeiterInnen zum Teil von »ihren« Gewerkschaften unterstützt, zum Teil unterliefen sie deren Ziele durch ihr Verhalten. Ein Großteil der ArbeiterInnen in Barcelona war laut Seidmans Untersuchung nicht zu Opfern in Form von Mehrarbeit und Lohnverzicht bereit, um die Republik zu verteidigen; Fehlzeiten, Krankmachen, Sabotage nahmen zu. In Paris führte die von der Volksfront-Regierung eingeführte Verkürzung der Arbeitszeit (freies Wochenende und bezahlter Urlaub) und Umverteilung der Arbeit an die Arbeitslosen nicht dazu, dass die ArbeiterInnen sich aus Dank dafür mehr anstrengten: Die Produktivität sank just in den Jahren, als Frankreich gegen Deutschland aufrüsten wollte. Doch der letzte Generalstreik 1938 ging verloren, die Arbeitszeit wurde wieder erhöht, die aufrührerischen ArbeiterInnen entlassen.

Seidman stützte sich bei seiner Untersuchung der materiellen Bedingungen in der Produktion vor allem auf Archivmaterial: Zeitungsartikel, Propaganda-Plakate, interne Wirtschaftsberichte, Unternehmerpresse usw. Er belegt damit, dass der Widerstand gegen die Arbeit die gesamten 30er Jahre hindurch anhielt. Unter Linksregierungen verstärkte er sich, während die Repression der auf sie folgenden Regierungen ihn eindämmte, aber nie beseitigen konnte. Er gehörte zur Kultur der Arbeiterklasse. Seidman bezeichnet diese eher individuellen und verborgenen Kampfformen als Klassenkampf.

Sein Fazit ist, dass die Revolution bzw. Volksfront in Spanien wie in Frankreich nicht an äußeren Umständen oder Auseinandersetzungen innerhalb der Volksfront gescheitert sind, sondern schlicht und einfach am Unwillen der Arbeiter zu arbeiten. Die Schuld für die Diskrepanz zwischen den ArbeiterInnen und »ihren« Gewerkschaften gibt er dem »Produktivismus« der Arbeiterparteien an der Macht.

Kritik des Produktivismus

Im ersten Teil des Buches über Barcelona wird dargestellt, wie sich die Regierung und insbesondere die Gewerkschaften ugt und cnt dem Problem stellen, in der Situation des Bürgerkriegs die Produktion aufrechtzuerhalten und die Betriebe weiterzuführen, die zum Teil von ihren Besitzern verlassen wurden. Hier bewegen sie sich im Widerspruch, einerseits materielle Verbesserungen für die ArbeiterInnen zu erwirken, andererseits aber von denselben ArbeiterInnen angesichts der verheerenden Versorgungslage Mehrarbeit zu fordern. Der Autor übt insbesondere Kritik an den gesellschaftlichen Utopien des Anarcho-Syndikalismus, die sich in den städtischen Agglomerationen in ihrer Technikbegeisterung kaum von kommunistischen oder sozialdemokratischen der damaligen Zeit unterscheiden: die Vision einer Arbeitsgesellschaft, in der die ArbeiterInnen ein geachtetes und auskömmliches Leben führen, in der sie in guten Wohnungen leben und sich von ihrem Lohn ein privates Auto kaufen können.

Dass ausgerechnet die CNT in diese Rolle kam, führt Seidman auf die »Rückständigkeit« der Bourgeoisie in Spanien zurück, die »ihrer Aufgabe«, der Entwicklung des Kapitalismus durch Investitionen und Rationalisierung der Produktion, nicht nachgekommen war, sondern in einem autoritär und mit der katholischen Kirche stark verquickten Staat von ihrer Rente lebte. Die »modernen« Industrien waren sämtlich in der Hand von ausländischen Kapitalisten – was auch das Beharren der Anarchosyndikalisten auf einer »nationalen« industriellen Basis erklärt. So machte sich auch die CNT oder Teile davon zum Fürsprecher moderner Produktionsmethoden und einer »wissenschaftlichen Betriebsführung«, sprich Taylorismus. Sie sahen darin die einzige Möglichkeit, in Spanien eine moderne Ökonomie zu entwickeln, die die Versorgung der ­Bevölkerung sicherstellt und verbessert. Erstes Anliegen war aber natürlich, den Bürgerkrieg zu gewinnen. Die Akkord-Arbeit war abgeschafft worden, aber die Mehrheit der ArbeiterInnen arbeitete nicht freiwillig mehr. Als Appelle allein nicht halfen, um das Produktionsniveau aufrechtzuerhalten, griffen die Gewerkschafter in der Rolle der Betriebsleiter bald zu finanziellen Anreizen, wie sie auch in der Sowjetunion üblich geworden waren.

Frankreich war aber im Gegensatz dazu kein rückständiger Kapitalismus, hier gab es eine entwickelte Industrie, u.a. Fahrzeug- und Flugzeugbau. Die spontane Bewegung der Betriebsbesetzungen im Mai/Juni 1936 hatte Millionen von ArbeiterInnen erfasst, die die Arbeit niederlegten und aus ihren Produktionshallen für mehrere Wochen Festsäle machten, in denen gegessen, getrunken und getanzt wurde.

Am 4. Juni trat die erste Regierung Blum an – ein Bündnis der linken Parteien mit der aufgeklärten Bourgeoisie – und leitete eine Reform der Arbeitsbeziehungen ein: sie gestand den ArbeiterInnen das Recht auf Streik und die Wahl von Gewerkschaftsvertretern in den Betrieben zu. Die Arbeitszeit wurde auf 40 Stunden verkürzt, um Arbeitslosen Arbeit zu verschaffen. Gleichzeitig wurden Betriebe verstaatlicht, um in größeren Einheiten und mit staatlichen Geldern eine effektive Rüstungsindustrie aufzubauen.

Die Einführung des langen Wochenendes und von bezahlten zwei Wochen Urlaub machte­ »Produzenten« zu »Konsumenten«. Als »produktivistisch« kritisiert hier Seidman, dass die offizielle gesellschaftliche Utopie dennoch auf die Arbeit ausgerichtet blieb – und die Gewerkschaft cgt dies mittrug: die autogerechte Stadt, die räumliche Trennung von Produktion und Reproduktion und von »Freizeit« als bewusst gestaltete Zeit, die der körperlichen und geistigen Ertüchtigung dienen soll.

Die Hoffnungen des liberalen Bürgertums auf die Delegierten als stabilisierende Kraft in den Fabriken wurden jedoch zerstört. Die »Grundeinstellung« der Pariser Fabrikarbeiter war »gegen die Chefs«, wer das Arbeitstempo erhöhte und die Fabrikdisziplin durchsetzte, galt als Faschist. Statt unter den verbesserten Bedingungen auch besser zu arbeiten, führten zahlreiche ArbeiterInnen einen – wie Seidman es nennt – »Guerilla-Krieg gegen die Arbeit«: Boss napping, Fernbleiben von der Arbeit, früher nach Hause gehen, Krankmachen, Sabotage-Aktionen. Die Arbeitsproduktivität ging zurück – während zahlreiche ArbeiterInnen zusätzlich eingestellt wurden. Der symbolische Gipfel dieses Arbeiter­unmuts war zweifellos die nicht rechtzeitige Fertigstellung des Arbeiterpavillons für die Weltausstellung 1937, der das fortschrittliche Bündnis ­feiern sollte.

Die politischen Auseinandersetzungen waren laut Seidman den meisten ArbeiterInnen ziemlich egal. In Barcelona zeigten sie wenig Engagement an der Front wie im Hinterland, in Paris nutzten sie die entspanntere Situation und arbeiteten weniger. In beiden Ländern traten sie zwar massenhaft den Gewerkschaften bei, um ihre neuerworbenen Rechte abzusichern. An den Versammlungen nahm aber immer nur eine Minderheit teil. Es etablierte sich eine Macht der Delegierten, die die Personalpolitik der Betriebe kontrollierten. Während diese in Frankreich ihre erste Priorität in der Verteidigung der 40-Stunden-Woche statt der Aufrüstung gegen Deutschland sahen und mit ihrer Führung in Konflikt gerieten, sah sich die cnt in Barcelona schließlich genötigt, Kampagnen gegen »Parasitentum« und Trunkenheit zu führen.

»Arbeit ist der Fluch der trinkenden Klasse«

In einem Text von 2011 über die »Wechselfälle« seines Buches

[1] erzählt der Autor, wie er als junger Wissenschaftler durch seinen Studienaufenthalt in Paris 1979-82 mit der linksradikalen Szene in Kontakt kam, die die Arbeitsverweigerung kultivierte. Über sie bekam er Zugang zu klassischen französischen Texten, die die Arbeiter nicht als potentiell perfekte Produzenten sehen, sondern als widerständisch, die das Recht auf Faulheit propagierten. Erst 1968 wurde diese Haltung in der Parole der Situationisten »Arbeitet niemals!« wieder offensiv vertreten und fiel auf fruchtbaren Boden. Dies veränderte nachhaltig Seidmans Blick auf die Arbeiterklasse. Mit dem neu gewonnenen Schlüssel untersuchte er nun die Jahre 1936-38 in Barcelona und Paris – und zwar nicht als Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Fraktionen der Linken, sondern im Hinblick auf die Verhältnisse in der Arbeit bzw. das Verhalten der ArbeiterInnen.

Sein Resümee legt nahe, dass er eine »Arbeiterdemokratie« am Arbeitsplatz (Arbeiterkontrolle der Produktion) nicht für möglich hält und dass Industriegesellschaften eines starken und repressiven Staates bedürfen, der die ArbeiterInnen zum ­Arbeiten bringt.

Damit setzte er sich zwischen alle Stühle der akademischen und marxistischen Labour History. Er widersprach sowohl denen, die behaupteten, die ArbeiterInnen hätten sich mit dem Fabriksystem ausgesöhnt, als auch einer Arbeitergeschichtsschreibung, die den anhaltenden Widerstand gegen die Arbeit gerne ignoriert oder auf »Rückständige« oder »Parasiten« reduziert hatte – weil sie ihn nicht erklären konnte. Denn er widersprach ja ihrer Sichtweise von einer Arbeiterklasse, die sich selbst neu erschafft durch Arbeit. Ebenso handelten und handeln die Organisationen der Arbeiterbewegung, wenn sie einerseits Reduzierung der Arbeitszeit, der Vorgaben usw. fordern, andererseits den gesellschaftlichen Konsens zur Arbeit nicht antasten oder gar eine Verherrlichung der Arbeit betreiben, die die Menschen adle. Damit konnten sie sich lange Zeit zum Vermittler zwischen einer materialistisch handelnden Arbeiterklasse, die vor allem weniger arbeiten und ihren Konsum ausweiten wollte, und einer auf industriellen Fortschritt ausgerichteten Bourgeoisie machen. Seidman belegt in seiner Untersuchung, dass die wirklich in den Parteien oder Gewerkschaften Engagierten eine Minderheit waren, die sich mit der Gleichgültigkeit der großen Masse und ihrem »falschen Bewusstsein« auseinandersetzen musste. Diese Gleichgültigkeit stärkte aber auch die Tendenz zur Zentralisierung und Bürokratisierung der Apparate.

Im Vorwort zur ersten Ausgabe des Buches 1991 fasst Seidman seine Erkenntnisse zusammen. Er wendet sich nicht nur explizit gegen jeden fortschrittszentrierten (»marxistischen«) Blick auf die Geschichte, die den Übergang von der »Klasse an sich« zur »Klasse für sich« postuliert oder ein sich entwickelndes einheitliches »Klassenbewusstsein« am Werk sieht. Darüber hinaus wirft er auch den Anarchosyndikalisten, die diese Sichtweise nicht teilen, eine Ideologie der Arbeit und der wirtschaftlichen Entwicklung vor.

Dem »Arbeitsplatz-Utopismus« (bei dieser Formulierung ist unklar, ob er meint, dass die Arbeiter einen Arbeitsplatz wollen, also ein sicheres Einkommen, und auf die Arbeit gerne verzichten, oder eine Utopie, die auf der Arbeit beruht) stellt er eine utopische Dimension des Widerstandes entgegen, die zwar über keine klare Zukunftsvision des Arbeitsplatzes oder der Geschichte verfügte, aber die Reduzierung der Lohnarbeit auf ein Minimum. wollte. Er sagt, der Widerstand der Arbeiter könne nicht durch die Arbeiterkontrolle der Produktion beseitigt werden, sondern nur duch Abschaffung der Lohnarbeit selbst.

Eigenleben eines Buchs

Nachdem die offizielle Wissenschaft mit seinem Werk nicht viel anzufangen wusste, fand das Buch in Kopien und Netz-Versionen im linken Milieu Verbreitung – und zwar vor allem außerhalb der usa (die erste Übersetzung war eine ins Japanische!). Dort hat es unabhängig von seinem Autor ein Eigenleben entfaltet.2 Diese Leute hätten eben besser als die Akademiker begriffen, dass die »Arbeiterbewegung« häufig eine Anstrengung der Basis war, um dem Arbeitsplatz und einer verhassten Arbeit zu entkommen, kommentiert Seidman heute. Im kurzen Vorwort zur deutschen Ausgabe von 2011 weist er darauf hin, dass die Kritik des »Produktivismus« auch helfe, den Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa oder den Übergang der chinesischen Regierung zu intensiveren Ausbeutungsformen zu verstehen.

Befreiung von der Arbeit statt Befreiung der Arbeit

Zugleich distanziert er sich aber auch ein Stück weit von seiner damaligen Herangehensweise. Es sei ihm in seinem Buch nicht gelungen, die ­»Geschichte von unten« auf eine solidere Grundlage zu stellen. Gegen die damals vorherrschende Sozialgeschichtsschreibung habe er »den kollektiven Charakter des Widerstands gegen die Arbeit« überbetont und dabei die »individualistische Grundlage vieler dieser Verweigerungen« vernachlässigt. Verstärkt worden sei dieser »blinde Fleck« durch die »utopische Perspektive«, aus der heraus er das Thema behandelt habe.

Statt auf eine kollektive Utopie setzt Seidman heute eher auf den Individualismus oder die »gesunde Skepsis der einzelnen (!) Lohnabhängigen« gegenüber Ideologien, die sie überzeugen wollen, sich für eine Sache zu plagen – wobei er in einer Reihe »Nationalismus, Faschismus, Sozialismus, Kommunismus und Anarchosyndikalismus« anführt. Der einzig unbesiegbare Widerstand gegen Diktatur liege beim Individuum.4

So fällt das Buch, das fast 30 Jahre nach seiner Abfassung nun auf Deutsch vorliegt, ein wenig aus der Zeit. Geschrieben mit dem drive der 1970er und 1980er Jahre, ist es auch ein Rückblick auf die damalige linksradikale Diskussion. Vom rebellierenden Individuum auszugehen, hat gut funktioniert gegen starke Parteiapparate, die den Arbeiterkampf eingeschlossen haben, oder gegen einen dominanten Arbeiterreformismus. Aus der Addition von tatsächlich verbreiteten »subversiven« Verhaltensweisen versuchte man, ein kollektives Klassenverhalten zu konstruieren – wobei die Gefahren, die darin lagen, schon früh sichtbar waren. Nach dem Zusammenbruch des Gegners standen dann die Individuen alleine da, von ehemals »subversiven« Verhaltensweisen blieb häufig nur Rückzug ins Private und manchmal Abzockermentalität übrig. Der Neoliberalismus konnte mit seinen »Angeboten« direkt an dieser Vereinzelung ansetzen und die kapitalistische Restrukturierung einleiten: Wenn Ihr nicht arbeiten wollte, könnt Ihr Euch ja selbständig machen, mit Aktien spekulieren...

Seidmann sieht das Problem durchaus, wenn er heute schreibt, dass die kollektive Interpretation des Widerstands gegen die Arbeit in den 1990er Jahren neu überdacht worden sei. Mit der Zerstörung der auf Arbeit basierenden Solidarität habe der Kapitalismus aus dem Lohnarbeiter ein konsumeristisches Individuum in einer kapitalistischen Gesellschaft gemacht. Aber wie kann vom Individuum aus Solidarität entwickelt werden?

Diese Frage stellen sich Gilles Dauvé und Karl Nesic in ihrem Text Arbeiter verlassen die Fabrik.3 Auch wenn uns ihre Lösung nicht überzeugt, halten sie zumindest am zentralen Problem fest: wie kann sich in der heutigen Situation ein kollektives Projekt entwickeln?

Lesen!

Gegen die Arbeit enthält eine Fülle von interessantem Material – vor allem zu den Betriebsbesetzungen in Paris gibt es nichts Vergleichbares in deutscher Sprache. Es zerstört Mythen – das ist immer gut! – und provoziert bis heute alle diejenigen, die sich einbilden, »man« könne den Kommunismus errichten und die Arbeiter würden einfach weiter arbeiten und die Dinge produzieren, die die Gesellschaft angeblich benötigt. Aus Fabrikarbeit wird nicht einfach »selbstbestimmte Tätigkeit«, wenn sie »selbst verwaltet« wird. Für ArbeiterInnen bedeutet »Revolution«, sich vom ewigen Druck der verhassten Arbeit zu befreien. Alle Projekte von Arbeiterkontrolle der Fabrik, Selbstverwaltung der Produktion usw. mussten und müssen sich diesem Problem stellen.5

Das Buch behandelt eine Schlüsselepoche der linken Geschichte und stellt Fragen, die wieder hochaktuell sind. Seine Stärke liegt darin, dass er tatsächlich eine historische Untersuchung angestellt hat. Die Antwort darauf, wie eine soziale Revolution aussieht, in der die Abschaffung der Arbeit und die Entfaltung der Persönlichkeit im Vordergrund steht, sollten wir uns nicht von Michael Seidman erwarten. Wie es zu einem kollektiven Widerstand kommen kann, ist nicht (mehr) seine Fragestellung. Das müssen wir schon selbst ­diskutieren.

Fußnoten:

[*] Michael Seidman: Gegen die Arbeit.Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38. Mit einem Vorwort von Karl Heinz Roth und Marcel van der Linden. Verlag Graswurzelrevolution, Münster 2011. 477 Seiten, 24,90 Euro.
Michael Seidmans Redemanuskript von den Veranstaltungen im November, in: Graswurzelrevolution 363

[1] Michael Seidman, The Strange History of »Workers against Work«. The Vicissitudes of a Book, Échanges, September 2011. In diesem Text zählt er auch die gesamte akademische und linke Kritik an seinem Buch seit seinem Erscheinen auf.

[2] ... worüber Seidman allerdings nicht nur glücklich war. Von einer sich als »kommunistisch« bezeichnenden Gruppe in Frankreich verlangte er, sich als »Kommunisten« ernst zu nehmen und den ins Französische übersetzten Text kostenlos zu verteilen. Andernfalls wolle er die Rechte einem anderen »weniger ausbeuterischen« Verlage geben... (a.a.O.)

[3] Gilles Dauvé /Karl Nesic, Arbeiter verlassen die Fabrik, Beilage zu Wildcat 88. Schon in der Broschüre Lieben die Arbeiter die Arbeit? hatten sie thematisiert, dass mit der Zersetzung der sozialistischen Arbeitsethik durch die Arbeiterkämpfe in den 1960er/70er Jahren mit der »Arbeiteridentität« auch das Verständnis vom unversöhnlichen Gegensatz zwischen Arbeitern und Kapital gefallen sei. Es habe zwar keinen Sinn, Bewusstsein vor dem Handeln zu schaffen, aber für den wirklichen Durchbruch brauche es ein Mindestmaß an Glauben daran, dass die beteiligten Menschen in der Lage sind, die Welt verändern, dass sich die Menschen selbst als Akteure der geschichtlichen Veränderungen begreifen und danach zu handeln versuchen. (Gilles Dauvé/ Karl Nesic, Lieben die ArbeiterInnen die Arbeit?, Beilage zu Zirkular 65 – noch lieferbar, alternativ auf www.wildcat-www.de).

[4] Bisher wurde wenig über das Buch diskutiert. In der syndikalisischen Website Barrikade aus Hamburg gab es einen aufbrausenden Aufruf zur Kritik von Seidmans Buch. Die Beiträge dazu versuchen aber v.a., die eigene Strömung in Schutz zu nehmen.

[5] Ganz aktuell gibt es den Vorschlag, die pleite gegangene Drogeriekette Schlecker in eine Kooperative überzuführen. Vgl. auch die Begeisterung über die Fabrikation des »Strike Bike« vor fünf Jahren.



aus: Wildcat 92, Frühjahr 2012



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