Wildcat Nr. 80, Winter 2006/2007



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»New Labour« – »New Gewerkschaft«.

      Kritik am Organizing, Teil II


Teil I: Gewerkschaften auf neuen Wegen: Wenn der Kollege zum Kunden wird

(Ehemalige) Linksradikale und Gewerkschaften arbeiten nicht nur bündnispolitisch in Kampagnen zusammen (clean clothes, Kampagne für globale soziale Rechte u.ä.). In der Wildcat 78 haben wir den »Organizing«-Ansatz dargestellt und kritisiert, der vor allem bei Linken, die seit einigen Jahren über »Prekarität« diskutieren, zu Illusionen über eine »Gewerkschaft neuen Typs« geführt hat. Wenn wir von einer allgemeinen Kritik der Gewerkschaft als Arbeiter-Vertretungsorganisation ausgehen, müssen wir feststellen, dass »Organizing« nicht besser, sondern allenfalls eine Fortschreibung traditioneller Gewerkschaftsarbeit ist. Keineswegs handelt es sich dabei etwa um einen Bruch mit Vertretungsanspruch und Sozialpartnerschaft.

Eine solche Kritik läuft allerdings ins Leere, wenn aktuell Beispiele von Arbeiterautonomie fehlen. Dann scheint ein Versuch innerhalb der Gewerkschaften »besser als nichts« zu sein. Und angesichts der üblichen oberflächlichen Gewerkschaftskritik, die nur deren bürokratischen, schwerfälligen und unspontanen Apparat bemängelt, verspricht »Organizing« Freiräume für neue Aktionsformen.

Überraschenderweise gibt es bereits nach kurzer Zeit ein Auseinanderklaffen zwischen öffentlich vertretenen Standpunkten und der eigenen Realität als Organizer, wo eine überaus hohe Kündigungsrate dafür spricht, dass die Beteiligten sehr wohl Widersprüche empfinden. Dass diese bisher politisch nicht artikuliert werden, mag zum einen daran liegen, dass für diesen Teil der Linken eine politische Beschäftigung mit Arbeit relativ neu ist und sie selber aus ihren prekären Dienstleistungsjobs heraus kaum eigene Erfahrungen mit dem Vertretungsmechanismus von Gewerkschaften haben. Selbst gewählte, individualisierte »Prekarität« lässt eine Perspektive kollektiven Handelns nicht zu.

Wie reagieren die Organizer auf den Widerspruch, einen Job zu machen, der gemeinsames Handeln zum Ziel hat, und selber Arbeitsstrukturen vorzufinden, die sie als sehr prekär und »neoliberal« bezeichnen? In einer ersten Phase individuell: aufsteigen oder kündigen. Die Auslesemechanismen funktionieren, die meisten hören auf – und manche erleben dies auch noch als persönliches Unvermögen – andere werden »Lead-Organizer«, d.h. Chefs.1 Parallelen zu ähnlich gelagerten Jobs im sozialen Bereich drängen sich auf (siehe »Arbeiten fürs Jobcenter?«, Wildcat 79). Inzwischen sind aber erste Ansätze von kollektiver Aufarbeitung und Pflänzchen von Selbst-Organisierung entstanden. Eine Kritik an dem Prinzip »Gewerkschaft« wird sich darüber entwickeln, wenn die Aktiven sich als Handelnde ernst nehmen. Mal sehen, wie das weiter geht und ob wir mithelfen können!

Das folgende Interview haben wir mit A. gemacht, der ein Jahr bei Verdi Hamburg im Organizing-Projekt »Sicherheitsgewerbe« gearbeitet hat.

Hast Du Dich vor Deinem Engagement für Verdi politisch mit der Frage der (auch eigenen) »materiellen Reproduktion« beschäftigt?

Politik hat für mich eigentlich immer außerhalb der Lohnarbeit stattgefunden. Das liegt vielleicht an den Jobs, die ich gemacht habe, meistens im sozialen Bereich, zudem immer befristet. Und wenn ich weiß, dass ich spätestens in einem Jahr wieder weg bin, warum sollte ich mich da verbindlich engagieren?

Aber so ganz fern war mir das Thema nie. Im Gegensatz zu den meisten anderen radikalen Linken habe ich familiär eher einen »Arbeiterhintergrund«. Die meisten in der radikalen Linken kennen das nicht und wissen auch nicht, was das bedeutet, z.B. wenn man studiert, dass sich dann Fragen nach der eigenen Finanzierung stellen.

Kam das Angebot der Gewerkschaft an einem Punkt, wo für Dich eh Fragen der Lohnarbeit auf der politischen Tagesordnung standen, oder gab es das interessante Angebot und Du brauchtest gerade einen Job?

Beides. Zum einen hatten wir als Hamburg Umsonst mit anderen Gruppierungen zusammen den Hamburger Euromayday durchgeführt, wo das Thema »prekäre Arbeitsverhältnisse« im Mittelpunkt stand und wir uns auch mit historischen Erfahrungen von Militanter Untersuchung und Organizing beschäftigt haben. Insofern fand ich es interessant, in Bereichen was zu machen, wo Prekäre zu schlechten Bedingungen arbeiten, wo es wenig Organisierung gibt. Ich habe das Angebot als Chance gesehen, auszuprobieren, was die Gewerkschaft dort bietet. Zum anderen brauchte ich gerade einen neuen Job; klar, das passte ganz gut.

Wie sah Euer Arbeitsvertrag aus?

Verdi hat seit einiger Zeit einen Einstellungsstopp. Deshalb haben wir keinen Arbeitsvertrag mit Verdi bekommen, sondern einen Werkvertrag mit der Tochterfirma »ver.di-innotec«2. Wie ich gehört habe, war der BR der Verdi-Beschäftigten gegen diese Konstruktion, weil sie die Arbeitsbedingungen der Gewerkschaftsangestellten grundsätzlich angreift; aber was sollten wir machen? Das Projekt war zunächst auf ein halbes Jahr angelegt – solange liefen die Werkverträge, deren »Werk« diffus definiert war, »Organisierung von Sicherheitsleuten in Hamburg«. Anfangs war 2000 Euro monatliches Honorar vorgesehen. Für das Geld wollte das Team – das hatte sich schon gebildet, bevor der Vertrag in trockenen Tüchern war – die Arbeit aber nicht machen. Schließlich hat man sich auf 2200 Euro geeinigt – plus sechs Wochen Jahresurlaub und eine Richtstundenzahl von 40 Wochenstunden. Ich glaube, der Jahresurlaub war im Vertrag geregelt und die Begrenzung der Arbeitszeit wurde mündlich zugesichert. Besonders die Angst vor einer ausufernden Arbeitszeit war für einige ein Problem, aber im Endeffekt war klar, dass sich diese Art Arbeit nicht eindeutig begrenzen lassen würde. Die Flexibilität, manchmal auch abends oder am Wochenende rauszugehen, hat keinen sehr gestört.

Wie sah Dein Arbeitsalltag aus?

Insgesamt waren wir im Schnitt die Hälfte der Arbeitszeit draußen bei den Sicherheitsleuten, die andere Hälfte im Verdi-Haus. Wir haben Teamsitzungen gemacht, Aktiventreffen, Verabredungen mit einzelnen Arbeitern oder Weiterbildungen, z.B. Arbeitsrecht, da hatten wir ja vorher relativ wenig Ahnung von.

Beschreib' mal eine typische Woche!

Montags haben wir meistens Teamsitzung gemacht. Da sind wir zunächst die letzte Woche durchgegangen und haben uns dann einen Plan für die Woche gemacht. Etwa, dass ansteht, eine öffentliche Aktion zu machen. Wie viel Leute müssen dahin kommen, damit es ein Erfolg wird? Dann hat jeder für sich einen persönlichen Wochenplan gemacht und ihn einzeln mit der Teamleiterin besprochen. Die hat dann u. U. noch eine Schippe draufgelegt und sich alles notiert. Die Woche drauf wurde dann Bilanz gezogen – für das Team, aber auch für jeden einzelnen. Das konnte ziemlichen Druck bedeuten; zum einen direkt und manchmal laut von der Teamleiterin, aber auch untereinander. Selbst, wenn man es nicht will, baut es Druck auf, wenn du siehst, dass der eine ständig neue Leute anschleppt und du nicht! Da kann schnell eine Art latenter Rivalität entstehen. Das ist durchaus gewollt; in gewisser Weise funktioniert Organizing nach innen so, dass die Karotte immer etwas weiter hängt, als dass man sie fassen kann. Nach außen, bei den politischen Zielen der Kampagne, ist es genau umgekehrt: Da wird die Möhre so tief gehängt, dass sie auch der Kleinste kriegen wird.

Gab es Sanktionen, wenn Ihr das Ziel nicht erreicht habt?

Nein, in dem Sinne nicht. Mal ein bisschen Geschrei, aber das war es. Gut, es konnte auch vorkommen, dass sich rausstellte, dass du für eine bestimmte Tätigkeit nicht so gut geeignet bist, dann wurde im »gegenseitigen Einvernehmen« eine Lösung gefunden, was du stattdessen tun konntest.

Gab es innerhalb des Teams eine Arbeitsteilung?

Insofern schon, als dass wir z.T. getrennt gearbeitet haben. Jeder hat eine Tabelle über »seine« Stammkontakte geführt. Die hast du teils von deiner Vorgängerin übernommen, teils laufend überarbeitet. Dein Wochenplan konnte z.B. darin bestehen, dass du von deinen Kontakten mindestens 20 neue Leute zur nächsten Aktion mitbringst. Oder es hinkriegst, dass Leute mit 2er-Rating selber Kollegen mobilisieren.

Was war das für ein »Rating«?

Jeder Kontakt wird in die Liste eingetragen und bewertet. »1« hieß, das ist ein »Top-Leader«, der ist hoch motiviert, selbstständig und kann Leute mitreißen, eine Art Alpha-Tier. »2er« sind Leute, die zwar zuverlässig sind, aber nicht die Führungsqualität haben. Ab »3« wurde es für uns eher uninteressant. Und »5« sind Leute, die aktiv gegen uns arbeiten, auf Seiten des Unternehmens sind. Ziel war natürlich, das Ranking ständig zu verbessern, aus einem »2er« einen »1er« zu machen. Es kam auch vor, dass Leute runter gerutscht sind, dann musstest du dem Team erklären, wieso ein »2er«, der immer regelmäßig gekommen war, auf einmal weggeblieben ist.

Haben die »Top-Leader« eingefordert, Teil des Teams zu werden?

Nein. Erst gegen Ende, als klar war, das Projekt läuft aus und es müssen sich selbst tragende Strukturen her. Wir haben sie angesprochen, mit ihnen methodische Schulungen gemacht und ihnen langsam das Projekt übergeben. Die Haltung, etwas einzufordern, war bei denen nicht da.

Welche Funktion hatte die Teamleiterin?

Die Team-/Projektleiterin hatte die Funktion einer Anleiterin… Lehrerin. Sie sollte uns beibringen, wie »man Organizing methodisch macht«. Uns sollte beigebracht werden, wie es funktioniert, und wir konnten es dann gut oder schlecht machen – je nach »persönlichen Fähigkeiten«.

Hat die Projektleiterin Euch freie Hand gelassen, war sie immer bei den Sitzungen dabei?

Sie war immer dabei. Sie hat auch immer letzten Endes die Entscheidung getroffen. Organizing ist nicht: »freie Hand haben«, die Arbeitsschritte, die wir gemacht haben, wurden im Team diskutiert. Und wie das bei Arbeitsverhältnissen halt oft so ist: Ein Team ist nicht nur ein Team, sondern es gibt einen Chef und der Chef sagt letztendlich, was gemacht wird.

Wie sah die Zusammenarbeit mit der für den Sicherheitsbereich zuständigen Tarifkommission (TK) aus, wer hat da vermittelt?

Es gab ein Aktiventreffen, das sich etwa einmal im Monat getroffen hat. In der TK waren dagegen die Leute, die klassischerweise so etwas bilden: Betriebsräte und Hauptamtliche. Die haben sich schon vor unserem Projekt im so genannten Arbeitskreis Sicherheit getroffen. Wir haben dann versucht, das Gewicht dieses AK Sicherheit, d.h. der Betriebsräte, zugunsten der Mitbestimmung des Aktiventreffens zu verringern. Letzteres war für uns ein legitimes Gremium der Basis, das über Tarifverträge bestimmen sollte. Tatsächlich waren viele Sicherheitsleute unzufrieden mit der Arbeit »ihrer« Betriebsräte. Das heißt in der Praxis, dass wir die Positionen der TK 3 in den Aktiventreffen diskutiert haben.

Habt Ihr über die Projektleiterin und die Tarifkommission hinaus mit anderen Gewerkschaftsgremien zu tun gehabt?

Nein, wir waren nicht in die gewerkschaftliche Struktur eingebunden und relativ »frei fliegend«. Ich hab das Gefühl gehabt, wir haben unser Team, wir haben unsere zwei Räume, da machen wir unsere Sachen. Vermittelt wird das, was wir machen, auf einer anderen Ebene. Wir waren immer etwas abgekoppelt, auf Gremientreffen sind wir nicht gegangen. Eine »abgekoppelte Spielwiese«…

Hat es Grenzen dieser »Spielwiese« gegeben?

Ja, z.B. wenn es um ein etwas konfrontativeres Vorgehen gegen einzelne Unternehmer ging. In diesen Fällen musste jedes Flugblatt von der Verdi-Zentrale in Berlin rechtlich und politisch abgesegnet werden. Da hat man gemerkt: »Aha, wir haben eine Grenze erreicht!« Hier wurden uns auf jeden Fall Grenzen unserer Handlungsfähigkeit aufgezeigt. Aber als einen wirklichen »Bruch« würde ich das nicht bezeichnen - es gab keinen Protest, keinen »Aufstand« von unserer Seite. Wir haben nicht kollektiv diskutiert, wie wir mit dieser Situation umgehen. Wenn wir von der Autonomie des Teams reden, dann bewegt sich diese Autonomie natürlich im Rahmen des Organizing-Modells.

Hätte bei der Befragung der Sicherheitsleute auch rauskommen können, dass sie ganz andere Probleme und Wünsche haben, die sich tariflich nicht fassen lassen? Wie weit gingen die inhaltlichen Vorgaben?

Abgesehen von dem Kernziel des Tarifvertrages muss ich sagen, dass es eine Freiheit der Aktiven gab, zu sagen, was ihnen wichtig ist und dass es dann auch umgesetzt wurde. Das konnten tatsächlich Alltagsprobleme sein, die aus Sicht der Gewerkschaft komplett irrelevant sind. Nur weil jemand wo arbeitet, heißt das nicht, dass er immer die wichtigen Forderungen entwickelt, aus unserer Sicht zumindest. Legitim allemal, klar. Wir haben versucht, solche Forderungen aufzugreifen und in die Tarifverhandlungen einzubringen. Aber ganz ehrlich, das Kräfteverhältnis, das durchzubringen, hatten wir nicht. Keine Frage, ein neuer Tarif und eine Lohnerhöhung war schon sehr zentral - für die Gewerkschaft, aber auch für die Sicherheitsleute. Zu viel arbeiten und zu wenig verdienen, das war immer ein zentrales Problem, das die Leute geschildert haben. Dazu kam dann häufig so etwas wie Repressalien am Arbeitsplatz und das sehr arbeitnehmerfeindliche Klima im Sicherheitsbereich. Das haben wir z.B. bei den Auseinandersetzungen an der S-Bahn4 auch aufgenommen.

Hast Du Dich als eine Art »Dienstleister« verstanden oder hast Du Dich mit Deinen politischen Maßstäben selber eingebracht – bspw. durch Kritik an der Funktion der Sicherheitsleute?

Die Aktiven, die sich von uns ansprechen ließen, waren sowieso eher die Leute, die ihren Job kritisch sehen. Aber auch für die ist es eine Arbeit, mit der sie Geld verdienen und die sie mit unterschiedlich viel Gehorsam machen können. Wir haben z.B. Wachleute, von denen wir wussten, dass sie im Abschiebeknast gearbeitet hatten, drauf angesprochen, wie sie das empfunden haben. Die waren nicht ausländerfeindlich, aber eine wirkliche Problematisierung und Reflektion war auch nicht da, eher so eine neutrale Haltung, »Job machen« halt. Vereinzelt gab es bei Leuten auf dem Aktiventreffen auch rechtes Gedankengut, das haben wir auch angesprochen. Es war nicht immer ein Widerspruch, rassistisches Gedankengut zu haben und sich gewerkschaftlich organisieren zu wollen.

Haben die Aktiven in dem Organizingprojekt eine Art Demokratieversprechen gesehen, aus dem ihr Recht folgt, die Verhandlungen selber zu führen?

Vielleicht haben es einzelne so gesehen. Die meisten haben darin aber kaum etwas neues gesehen. Viele hatten noch gar keine Erfahrung mit Gewerkschaftsarbeit. Andere kamen bspw. aus Metallbetrieben, wo sie ähnliche Strukturen kannten. Ein Selbstverständnis, dass sie etwas mitbestimmen können, nein, kann ich nicht sagen, dass das eingefordert wurde. Die meisten sind zu den Treffen gekommen und haben erstmal abgewartet, was passiert. Ihnen war auch oft schon fremd, mit 30 Leuten in einem Raum zu sitzen und gemeinsam strukturiert zu diskutieren. Wir mussten solche Gedanken oft erst reinbringen, rein praktisch – moderieren usw.

Was waren denn dann die Motive für die Leute, bei den Aktiventreffen mitzumachen?

Kollegen treffen, über ihre Arbeit reden… – und im Bedarfsfall u.U. dort einen neuen Job finden, wenn sie gerade irgendwo rausgeflogen sind. Das ist tatsächlich auch passiert. Weitergehend hatten sie eine ungefähre Vorstellung, was sie wollen oder nicht, und das konnten sie auch deutlich formulieren.

Was sind Deine positiven Erfahrungen aus der Mitarbeit in dem Organizing-Projekt?

Es war auf jeden Fall eine sehr spannende Arbeit. Ich bin mit Sektoren in Kontakt gekommen, zu denen ich normalerweise im Alltag keine Berührungspunkte hab. Das ist äußerst interessant. Das ist vor allem eine sehr wertvolle persönliche Erfahrung. Politisch hat es mir gezeigt, dass es auch in Bereichen, die sehr schlecht organisiert sind, wo die Leute sehr vereinzelt arbeiten und oftmals »unsichtbar« sind, durchaus möglich ist, erfolgreich zu organisieren. Auf einer anderen Ebene ist mein Bild von der Gewerkschaft verändert worden. Es gibt eine Reihe von fitten Leuten dort, die aber auch vereinzelt sind. Aber es gibt sie.

Warum bist du ausgestiegen; was waren die negativen Erfahrungen?

Unbehagen über das Konzept Organizing insgesamt hab ich schon länger gespürt; so z.B. über mein sehr stark neoliberal geprägtes Arbeitsverhältnis, auch vom Modell des Arbeitens her. Damit meine ich die Überprüfung von Zielen, Zahlen auflisten usw. Da sind ganz ganz viele Elemente aus der normalen Wirtschaft übernommen worden, wie Teamarbeit funktioniert, wie eine Erfolgskontrolle durchgeführt wird usw. Für mich und auch für andere hat das sehr viel Stress bedeutet; z.B. wie definiere ich Erfolg? In der normalen politischen Arbeit kaum an Kennziffern. Man darf ja nicht vergessen, dass es um ein Lohnarbeitsverhältnis geht und da gibt es die persönliche Zuschreibung, wer (Miss-)Erfolg zu verantworten hat und wo Druck aufgebaut wird. Wenn du nicht entsprechend funktionierst, wirst du im Laufe der Zeit u.U. kalt gestellt oder fliegst früher oder später raus. Und da hängt dein Geld zum Leben dran. Da werden auch Leute verheizt – nach einem Jahr war ich schon der Dienstälteste. Der Druck wird durch die Hierarchie weitergegeben, die bei uns existiert hat. Auch innerhalb unseres Teams war es oft schwierig zu diskutieren, weil immer die Projektleiterin dabei saß - sie war schließlich Teil des Teams.

Ich sehe das sehr kritisch, eine Methode wird als richtig angenommen – wenn dann u.U. was falsch ist, ist das höchstens der Arbeitende, der an der Umsetzung scheitert. Es gibt Methoden, mit denen kann man nicht das Richtige oder Falsche machen, die sind selber falsch. Das würde ich bei dem Organizing so sagen. das ist eine Methode, die ich eigentlich in der Gewerkschaft nicht sehen will.




Fußnoten:

[1] »Zusammen mit der Gewerkschaft der SEIU-Angestellten schufen wir die Position eines »Organizer-Azubis« als Eingangsbeschäftigungsmerkmal. Erst nach Absolvierung des einjährigen Programmes konnte man Organizer werden und damit zum fest angestellten Personal der Gewerkschaft gehören. Mindestens die Hälfte der Eingestellten schaffte es nicht, das Programm vollständig abzuschließen. Manche verließen die Gewerkschaft freiwillig, weil sie sich nicht an die Uhrzeiten und die Arbeitslast gewöhnen konnten. Andere wurden gebeten, das Programm abzubrechen, da sie den Anforderungen an die neue Arbeit nicht gerecht wurden.«
Tom Woodruff: Gewerkschaftsaufbau in schwierigen Zeiten. In: Peter Bremme u.a.: Never work alone. Organizing - ein Zukunftsmodell für Gewerkschaften. Hamburg: VSA, 2007, S.101

[2] »Unser Leitbild« ver.di-innotec schafft stabile Brücken für eine humane Arbeitswelt, zwischen: Innovation & Humanität,Technik & Mensch,Wissenschaft & Praxis,Betrieb & Interessen vertretungen, Ratsuchenden & Ratgebern, Gesellschaftern & Gesellschaft. ver.di-innotec tritt in einer durch Innovationen, neue Technologien und Techniken veränderten Arbeitswelt ein für Schutz, Teilhabe und soziale Integration, Beschäftigung, Qualifizierung, Nachhaltigkeit, Schutz der Persönlichkeitsrechte, Chancenzuwachs und Stärkung der Geschlechterdemokratie. http://www.verdi-innotec.de

[3] Konflikt mit der TK
Die Aktiven lehnten einen Tarifentwurf ab, den die TK eigentlich annehmen wollte. Das hat intern für große Aufregung gesorgt, ob es schlau sei, das negative Votum der Aktiven zu akzeptieren. Viele Funktionäre, einschließlich unserer Projektleiterin, hatten große Befürchtungen, dass der Unternehmerverband die Tarifverhandlungen mit Verdi abbrechen und mit einer Christlichen Gewerkschaft weiterverhandeln würde. Das war die Drohkulisse einer Niederlage – für die Tarifverhandlungen, aber auch für die Akzeptanz unseres Projektes innerhalb der Gewerkschaft und somit für den Weitergang unseres Projektes. Letzten Endes haben wir aber Erfolg gehabt und ein paar Cent mehr raus geholt.
Als es um den endgültigen Abschluss ging, sind erstmals einige von der Tarifkommission zu dem Aktiventreffen gekommen. Sie hatten gemerkt, dass sie nicht darum herum kommen – und sei es auch nur, um das, was sie ausgehandelt hatten, möglichst gut zu verkaufen.

[4] Konflikt bei der S-Bahnwache:
Wegen der Streichung von Zuschlägen haben wir Sachen gemacht, die nicht dem üblichen Gewerkschaftsrepertoire entsprachen, also etwa Flugblätter in der S-Bahn verteilen, was man so eigentlich nicht machen darf und die bei dem Arbeitgeber zu großer Verstimmung gegenüber Verdi geführt haben. Danach mussten wir alles, Flyer oder das weitere Vorgehen, von oben absegnen lassen.
Konflikt um Betriebsratswahl
In einer Firma hatten Leute versucht, einen Betriebsrat zu gründen und sind allesamt entlassen worden. Wir sind zum einen juristisch dagegen vorgegangen. Zum anderen haben wir versucht, mittels Öffentlichkeitsaktionen über die Kunden des Sicherheitsunternehmens Druck aufzubauen. Das hat in dem Fall geklappt, weil der Betriebsrat des Kundenunternehmens, eines großen Verlages, eine sehr starke Position hat. Gut, relativierend muss man vielleicht sagen, dass die Sicherheitsfirma zwar dazu gebracht werden konnte, einen Betriebsrat zuzulassen, aber unsere Bemühungen dadurch unterlaufen hat, dass sie eine eigene Liste aufgestellt haben, die im Endeffekt erfolgreicher als die Verdi-Liste war. Die Kündigungen sind zum Teil zurück genommen worden, z.T. sind Leute mit Abfindung raus gegangen.



aus: Wildcat 80, Winter 2007/2008



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