Wildcat Nr. 80, Winter 2006/2007, S. 34–35 [w80_auto5000.htm]



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»Montag bis Samstag Auto 5000 –
am Sonntag haben wir Freigang!«

Der Artikel über Auto 5000 in der Wildcat 79 hat vor allem die Mythen um dieses »Zukunftsmodell« auf den Boden der Fabrikrealität geholt. Er endete mit der etwas lapidaren Feststellung, »dass die Belegschaft es überhaupt übernommen hat, die Tarifauseinandersetzungen in die eigenen Hände zu nehmen, spricht gegen das Bild der durch neue Arbeitsstrukturen und die entsprechende Ideologie eingelullten und entwaffneten Belegschaft.« In Gesprächen mit zwei ArbeiterInnen sind wir dem weiter nachgegangen.
In den Konflikten haben sich Organisierungsformen entwickelt, die teils »organisch« aus der Arbeitsorganisation, teils in spannungsvoller Beziehung zur Gewerkschaft entstehen. Letztere hat sich erst dadurch institutionell im Betrieb festigen können, dass sie die Organisierung der Basis aufgriff und in entscheidenden Situationen unter ihre Kontrolle brachte.
Gewerkschaftshierarchie und Betriebsrat konnten sich durch ein geschicktes Wechselspiel mit der Geschäftsleitung selber aus der Schusslinie der ArbeiterInnen nehmen, deren Hoffnungen enttäuscht worden waren. Aber die Auseinandersetzungen gehen weiter und brechen an scheinbar neuen Punkten nach einiger Zeit wieder auf. Elementare Auseinandersetzungen wie der Kampf gegen die ausufernde Arbeitszeit konnten 2006 zunächst durch Lohnzugeständnisse zurückgedrängt werden, tauchten aber ein Jahr später wieder auf. Und sie werden sich in Zukunft zuspitzen, denn die per »Mitbestimmung« abgesicherten Zumutungen in puncto Arbeitszeitverlängerung und -flexibilisierung werden weitergetrieben – mittlerweile wird über die Einführung einer vierten Schicht zur regelmäßigen Wochenendarbeit nachgedacht. Die Möglichkeit dazu ist im neuen Tarifvertrag festgeschrieben.
Nachfolgend der Zusammenschnitt eines Gesprächs mit den beiden ArbeiterInnen. Es schlägt den Bogen von der Tarifauseinandersetzung im Frühjahr 2006 bis zum Konflikt um zusätzliche Wochenendschichten im Herbst 2007. Zum besseren Verständnis haben wir zwischendurch zusammenfassende Kommentare eingefügt.

Ende März 2006 lief der bisherige Projekttarifvertrag aus, die Verhandlung eines »normalen« Manteltarifvertrages stand an. Bis dahin war die Produktion immer weiter angezogen, das Arbeitstempo gesteigert und Wochenendschichten ausgeweitet worden. In dieser ganzen Plackerei blieb den Kollegen ein Mittel: »Krankheit«. In der Wildcat 79 haben wir beschrieben, wie die KollegInnen innerhalb der Teams versuchen, solidarisch mit chronisch Kranken zu sein und ihnen leichtere Jobs zu überlassen. Da dies jedoch an Grenzen stößt, liegt der Krankenstand mittlerweile bei 12 bis 13 Prozent. Dafür wird allen im Team Geld für »Fehltage« abgezogen.

Achim: Neben dem an die Unternehmensrendite gebundenen Bonus kriegen wir auch einen Leistungsbonus; der wird individuell berechnet. Dafür haben die vor den letzten Verhandlungen einen Irrsinnskatalog an Berechnungskriterien aufgestellt, mit bestimmt 20, 30 Unterpunkten. Die Nennwerte wurden in ein Computerprogramm eingegeben. Wichtig war der Geschäftsleitung vor allem Anwesenheit, Krankheitstage, Einschätzung vom Meister… und der Teamgesundheitsstand ist da auch mit eingeflossen. Ach ja, und die Kostenaufrechnung der einzelnen Gewerke. Du hast mehr bekommen, wenn die gesamten Kosten, die zum Beispiel durch Nacharbeit steigen, niedriger waren als die Kalkulation.

Ingrid: Das Team wurde mit dem Bonus gewissermaßen bestraft. Erst arbeitet es für die kranken Kollegen mit – dann wird dir beim Bonusunterpunkt Teamkrankenstand dafür Geld abgezogen. Da war natürlich der Ärger groß. Eigentlich hätten die sagen müssen: »Leute, super, trotz des Krankenstands habt ihr gut gearbeitet, ihr kriegt ein paar Euro mehr«. Aber das Team soll ja auf die Erkrankten einwirken, wieder zur Arbeit zu kommen. Es wird grundsätzlich nicht akzeptiert, dass Leute krank werden. Außerdem kannst du dir beim Betriebsarzt Medikamenten-Megapackungen abholen, dann hast du keinen Grund, zum Hausarzt zu gehen. Ich hole mir auch öfter Grippetabletten, wenn es mir nicht gut geht. Du bekommst Kopfschmerztabletten, Halsschmerztabletten, Nasentropfen, was weiß ich, so ne ganze Tüte voll.

»Wir mussten immer nur erbringen, erbringen, erbringen.«

Achim: Schon damals war die Stimmung in der Belegschaft so, dass die ihr Zeug sofort hingepfeffert hätten, egal was gewesen wäre. Alle sind fertig gewesen nach dieser Wahnsinns produktion 2005, wo wir irrsinnige Schichten gefahren haben: Samstag Frühschicht 6:30 Uhr bis 17:45 Uhr, dann Sonntag Anfahrschicht, wieder um 19:00 Uhr anfangen. Wir waren alle neu, hatten gleichzeitig angefangen, und wir mussten immer nur erbringen, erbringen, erbringen. Alles wurde immer mehr gesteigert: die Produktionszahlen, die Stückzahlen… Wir haben uns gefragt, wo das denn enden soll. Es hat nie jemand gesagt, bei 280 Autos pro Schicht ist Ende, sondern es war open end. Die Taktzeiten wurden immer kürzer. Und da dachten viele Kollegen, mit den Tarifverhandlungen würden sie für die ganze Maloche belohnt.

Um die Jahreswende herum wird viel über mögliche Forderungen diskutiert. Es geht um mehr Geld, die Abschaffung der Wochenendarbeit und indirekt die Arbeitsverdichtung und Arbeitshetze – Schluss mit der »Bestrafung von Krankheit« durch ein »ungerechtes« Prämiensystem. Die wenigsten kennen gewerkschaftliche Tarifrunden und sehen es als selbstverständlich an, die Verhandlungen selber zu führen. Auch wollen sie die Mitglieder der Tarifkommission (TK) wählen können. Nicht nur in den Gewerkschaftsgremien wird diskutiert, sondern direkt am Arbeitsplatz und auf den Teamsitzungen. Am 1. Januar tritt eine neu gebildete Tarifkommission zusammen.

Ingrid: Wir haben schon früh am Band darüber geredet, was wünschenswert wäre. Es waren auch viele Phantastereien dabei. Später ging es um konkrete Forderungen. Vor allem war es die unbeliebte Frühschicht am Samstag, sehr viele Kollegen sagten, dass sie die weg haben möchten. Viele kommen von weit her und wollen ihr Wochenende gern bei der Familie verbringen. Dieser Samstag ist ein Dorn im Auge.

Achim: Es war eine ganz heikle Zeit, es war ja unser erster richtiger Konflikt. Unser, d.h. der VW-Betriebsrat, hatte das Vorurteil, dass wir als ehemalige Arbeitslose und zusammengewürfelte Belegschaft nicht in der Lage wären, uns zusammenzurotten und für unsere Ziele zu kämpfen. Die haben gedacht, wir machen gar nichts, wir hocken uns hin und gucken zu, was passiert.

Ingrid: Ich habe am Band mitbekommen, dass sie untereinander geredet haben, was sie gerne hätten. Wir haben das in einer Teamrunde aufgeschrieben. Zu zwei anderen Teams bin ich hingegangen und wir haben abgemacht, uns vor der Schicht mal eine halbe Stunde zusammenzusetzen. Ich hab die Forderungen jeweils zu Papier gebracht und anschließend alles nach oben gegeben. Wobei ich mich nicht berufen fühle, Sachen zu zensieren. Da standen ganz witzige Dinge drin, also so Sachen, wo du wusstest, das klappt nicht. Eine Frau schrieb: »Leute ab 35 müssen Normalschicht arbeiten dürfen«.
Es gab Leute von uns, die in der Tarifkommission gewesen sind, obwohl mir die nicht von Anfang an bekannt waren, denn das Auswahlverfahren ist nicht ganz normal gelaufen. Die eine Schicht hatte Leute gewählt, die andere Schicht wollte welche wählen und hatte Kandidaten aufgestellt. Aber dann sollte die Wahl plötzlich ein anderes Mal stattfinden und schließlich sind die Namen aus Versehen beim Betriebsrat irgendwie abhanden gekommen. Einige durften in ihren Schichten gar nicht wählen. Im Endeffekt sind ganz andere Leute reingekommen. Die Interessenten durften sich melden und sind dann von der IGM ausgewählt worden. Ich weiß, dass in anderen Firmen die Leute gewählt werden. Das wusste ich damals nicht, für mich war das mein erster Tarifstreit. Ich war nur hinterher enttäuscht, weil wir die nicht selber bestimmen konnten. Damit fing es an. Die Tarifkommission hat die Zettel ausgewertet – oder auch nicht. Es kam ein Flugblatt raus mit fünf Hauptforderungen.

Am 16. Februar präsentiert die Tarifkommission ihre Forderungen. Sie haben kaum etwas mit dem zu tun, was die Leute haben wollten, im wesentlichen handelt es sich um eine Übernahme des niedersächsischen Flächentarifs, ergänzt um die unabdingbare Forderung nach Abschaffung der Samstagsarbeit. Alle anderen Punkte werden summarisch unter »Prämiengestaltung« verhandelt. Daraufhin beginnt ein Verzögerungsspiel, das sich vier Monate hinzieht. Ende Februar stellt der Unternehmer Gegenforderungen. Im wesentlichen werden die Forderungen der Belegschaft einfach umgedreht: Aus »Keinen Samstag arbeiten!« wird »Mehr Samstage arbeiten!«, aus »Krankheit nicht bestrafen!« wird »Urlaub mit Krankheit verrechnen!«, aus »Mehr Geld!« wird »Nullrunde!« usw.
Die Leute sind schockiert und total sauer. Von der Tarifkommission wird ihnen gesagt, dass ein Streik zum jetzigen Zeitpunkt unklug sei. Ab und an erscheinen Flugblätter der IGM, in denen die Unnachgiebigkeit der Geschäftsleitung betont wird. Ende Mai soll endlich »Druck gemacht« werden. Am 14. Juni ruft die IGM schließlich für den folgenden Tag zu einem ersten Warnstreik auf, dem ein zweiter am 20. Juni folgt. Völlig überraschend feiert die IGM einen »Durchbruch«, die Geschäftsleitung sei eingeknickt. Im wesentlichen bringt dieser Erfolg mehr Geld – Erhöhung des Grundentgeltes sowie einen »Rentenbaustein« und eine veränderte Prämienregelung bei Zusatzschichten. Die Regelung bei der Wochenendarbeit wird nicht angetastet. Das Arbeitszeitkonto wird von 200 Stunden auf 400 Stunden ausgeweitet!

Ingrid: Es wurden die Forderungen gestellt, und dann kam die Antwort von der Geschäftsführung: Acht Tage Urlaub streichen, verpflichtende PDCA1-Verbesserungsvorschläge, dafür gibt es bei uns keine Prämie. Die Spätschicht am Samstag nicht als Regelschicht, sondern weiterhin variabel mit verpflichtender Ansage – davon zukünftig 48 anstatt 30 – damit hättest du das ganze Jahr samstags arbeiten müssen; und noch x andere Sachen mehr. Ich hatte schon vorher auf einer VW-Betriebsversammlung ein paar Forderungen des Konzerns gehört und gedacht: »Oha, dort kriegen sie es nicht hin, dann versuchen sie es bei uns!« Die Kollegen haben mich erst für meine Skepsis belächelt. Und als dann diese ganze Scheiße auf den Tisch kam, sind die Leute echt vom Stuhl gekippt. Für uns war das so, wie wenn wir mit einer Wasserpistole kommen und die fahren gleich eine Haubitze auf. Du bist von Teams angesprochen worden: »Na, wann streiken wir denn? Lass uns auf die Straße gehen!« Ich habe gesagt: »Erstmal abwarten!« Weil wir gerade Autos auf Halde stehen hatten und ein Streik der Firma gerade recht gekommen wäre. Und da haben wir als Vertrauensleute gesagt, wir schauen erstmal, was bei den Verhandlungen rauskommt. Alle waren ein bisschen enttäuscht, aber man konnte es ihnen noch halbwegs deutlich machen. Das war blöde, weil sich die Aufregung gerne entladen hätte.

»Den Kollegen hat das immer alles zu lange gedauert«

Achim: Die Tarifkommission hat sich die ganze Zeit damit beschäftigt, die Erhöhung der Zahl der Samstagsschichten auf 48 abzuwenden, sich aber nicht drum gekümmert, dass der Samstag allgemein weg kommt. Darüber haben sich die Kollegen am meisten geärgert. Dabei war das auf den ersten fünf Punkten mit drauf gewesen. Alles andere wollte sie zwischendurch regeln, so dass sich da keiner weiter einen Kopf drum gemacht hat.
Die Gewerkschaft hat sich urlange Zeit gelassen. Im Zusammenhang mit der Einführung des Cross-Touran wollten sie den Zeitpunkt abwarten, wo sie die Geschäftsleitung am besten unter Druck setzten können: »Ihr wollt den Cross-Touran machen, also seht zu, dass ihr bei euren Forderungen an die Belegschaft zurücksteckt!«. Die ersten drei Verhandlungen haben immer einen Monat auseinander gelegen. Den Kollegen hat das immer alles zu lange gedauert. Mir kam es auch so vor. Warum verzögern die das alles? Aber niemand meinte: »Wir arbeiten jetzt nicht mehr.« Das war nie die Frage, die stellt sich auch bis heute nicht. Da sagt keiner: »Wir schmeißen das jetzt hin oder wir machen ein bisschen langsamer.« Das ist nicht gelaufen, obwohl die Leute sich böse aufgeregt haben.

Die Vertrauensleute treten zu diesem Zeitpunkt eigentlich das erste Mal im Betrieb auf – es gab sie zwar schon seit Ende 2005 als »Kommunikationsbeauftragte«, aber bis zu den Tarifverhandlungen wurden sie von der Belegschaft nicht richtig ernst genommen. Nun übernehmen sie die zunehmend undankbare Rolle eines Mittlers zwischen Belegschaft und Betriebsrat. Nach dem ersten Unmut über die Zusammensetzung der Tarifkommission steigt ihre Bedeutung.

Ingrid: Eine Vertrauensfrau hatte sich Motive für Buttons ausgedacht, und es wurde ein paar Wochen lang erfolglos versucht, die gedruckt zu kriegen, damit es auch mal so aussieht, als wenn was passiert. Auf einmal hieß es: »Die Button-Maschinen haben wir schon«. Ja cool, dann waren wir auch schon feste am Drucken. Teams haben Leute frei gespielt, um Buttons zu drucken und zu pressen. Da war im Büro richtig was los, da saßen immer drei bis sechs Leute. Die Kollegen haben die Buttons mit Begeisterung genommen, weil endlich mal was da war. Auch, um darzustellen, wo sie stehen. Es gab sechs, sieben verschiedene Buttons. Und es gab Leute, die hatten alle an ihren Jacken und Taschen hängen. Das war wie so ein kleiner Kult. Das hat Spaß gemacht. Das zieht sich bis heute noch hin. Später gab es auch T-Shirts. Die sind extrem beliebt. Die werden getragen, bis sie auseinander fallen. Vor allem die schwarzen, wo drauf steht: »Jetzt zeigen sie Flagge«, wo die Geschäftsführung als Piratenbande dargestellt ist. Die Kollegen finden das nach wie vor so. Es gibt Zeiten, da siehst du sie plötzlich alle mit diesen schwarzen T-Shirts rumlaufen. Gerade haben sie sich aufgeregt und gleich müssen sie es wieder anziehen. Das wirkt. Das waren so die ersten Sachen, zu denen sich der Betriebsrat hat breitschlagen lassen. Für mich war es so ein Gefühl von Breitschlagen.
Die Kollegen hat alles brennend interessiert, was mit den Verhandlungen passierte. Mein Team hat mich frei gespielt, damit ich von Team zu Team gehen und mit den Leuten reden konnte, wenn es was Neues gab. Ich konnte durch die Halle gehen, was erzählen und auch diskutieren. Das war unheimlich toll. Ich habe da das erste Mal das Gefühl gehabt, von der Belegschaft anerkannt zu sein. Dein Team muss das mittragen, für die Kollegen ist es wesentlich mehr Arbeit, wenn die so was machen, da müssen sie einen guten Grund für haben. Ich weiß noch, da habe ich mich abgehetzt wie irre und dann musste ich noch einmal über die Linie und meinte: »Ich bin noch nicht fertig.« Und die so: »Ohh, lass dir mal ruhig Zeit, geh mal langsamer!« Das funktioniert auch heute noch, aber man sollte das nicht ausnutzen. Das würde im Team schnell nach hinten los gehen. Du musst schon immer Einer unter Gleichen bleiben. Wenn du anfängst, in höheren Sphären zu schweben, bist du ganz schnell deinen Posten los.
Wenn der BI 2sieht, die können einen frei spielen, denkt der schnell: »Dem Team können wir ja locker mehr Arbeit aufdrücken!« Da musst du wahnsinnig aufpassen. Wenn du Ärger mit deinem BI hast, kannst du es vergessen. Der braucht dich nur erwischen, dann bist du angearscht.
Wichtig ist, dass wir viel kommunizieren, per Telefon. Da kriegst du mit, was in den anderen Abschnitten der Fabrik passiert. Wenn es ein Gerücht gibt, rufst du an und fragst nach. Wenn wir uns vernetzen, dann klappt das besser, dann merkst du auch, wie die Stimmung ist.

Achim: Die Geschäftsführung hat erstmal nicht damit gerechnet, dass »ihre Arbeiter« überhaupt was unternehmen. Die Geschäftsführung kennt uns genauso wenig wie der Betriebsrat oder die Gewerkschaft, weil die sich trotz der flachen Hierarchie kaum dort aufhalten, wo wir sind. Die Vertrauensleute haben sich nicht über das Maß hinaus engagiert; beim Transparente malen o.ä. wurden die Kollegen gebraucht, die die Ideen umsetzen. Unsere Vertrauensleute müssen aber mehr persönliches Engagement erbringen als die bei VW. Das einzige, was es gibt, ist die Vertrauensleutesitzung, die wird zu 50 Prozent bezahlt, die andere Hälfte tragen sie selber. Alles andere müssen sie in den 30 Minuten vor der Arbeit oder in den Pausen machen.

Wie hat die Belegschaft die Auseinandersetzung um den neuen Tarif verarbeitet? Auf der Plus-Seite steht ein gestiegenes Selbstbewusstsein, der vermeintlich übermächtigen Geschäftsleitung standgehalten zu haben. Vielleicht ist es nicht nur ein messbares Punkten gegen einen Gegner, sondern auch die Erfahrung, dass sie durch den Konflikt Strukturen umgedreht haben, die im Arbeitsalltag äußerst repressiv wirken. Auf der Minus-Seite steht, dass die Kernprobleme, um die es ursprünglich ging, nicht gelöst worden sind. Die gewerkschaftliche Logik, die Produktivität der Firma zu steigern und dafür vielleicht ein paar Euro mehr zu »erkämpfen«, haben sie nicht durchbrechen können.

Achim: Die Tarifkommission hat das super hinbekommen, da kann man schon begeistert sein. Dass mit einem Mal die ganze Scheiße, die die Firma gefordert hatte, zurückgenommen wurde, das hat mich schon erstaunt. Wir fanden das alle toll, in dem Sinn: »Wir haben das irgendwie gemeinsam gerockt«.
Ich denke, es ist ein Unterschied, wenn du die Möglichkeit hast, bei Tarifverhandlungen mit deinen eigenen Aktionen wirklich Sachen zu verändern. Wo du auf die Straße gehst oder Buttons, T-Shirts druckst und trägst. Ich denke, beim nächsten Tarifstreit stehen die Leute wieder auf der Matte. Die Stimmung hat sich auf jeden Fall verschärft, ganz klar. Aber die hätten mit Sicherheit nichts unternommen, was gegen den Arbeitsvertrag verstößt. Die wollen schon alle ihre Arbeit behalten und haben schon Respekt. Da ist man ja auch eindringlich vor gewarnt worden. Ich denke, dass sie auf die Barrikaden gehen, wenn sie mehr gereizt werden. Wahrscheinlich eher als andere Belegschaften. Die Auto-5000-Belegschaft sehe ich schon als was Besonderes an. Welche Belegschaft hat schon zum gleichen Zeitpunkt angefangen! Der Zusammenhalt ist dadurch bei uns sehr groß, die Leute hängen einfach dicke zusammen. Für Neue mag das manchmal auch schwierig sein. Ich würde meine Kollegen als sehr kritisch und unheimlich aktiv bezeichnen. Viele von denen kommen aus dem Osten. Am Anfang hatten wir noch Schwierigkeiten, weil die ja nur die Einheitsgewerkschaft kannten und auf die Gewerkschaft nicht viel Wert gelegt haben. Heute sehen sich viele darin bestätigt, dass Vertrauenskörper, Betriebsrat usw. sowieso nichts bringt. Aber du brauchst keinen überreden, selber aktiv zu werden. Die machen sich Gedanken und diskutieren in den Teams über das, was das Unternehmen unternimmt, weil viele das hier als Zumutung empfinden. Die meisten sind schwer mundtot zu kriegen. Ich fühle mich da recht wohl. Alle bekommen praktisch das gleiche Geld und haben die gleichen Voraussetzungen. Wir sind schon ganz unten im Betrieb, und schlimmer kann es hier nicht werden. Deswegen ist jeder bereit zu kämpfen.

Der nächste größere Konflikt bricht Ende Juni 2007 aus, als drei Schichten wegen eines Streiks des spanischen Zulieferers GDX ausfallen und deshalb kurz vor dem Urlaub die tariflich vereinbarte Flexibilität abgefordert wird. Aufgrund des Drucks der Belegschaft werden die Nachholschichten schließlich auf den Oktober verschoben. Da aber hier schon alle möglichen Schichten für das neue Modell – den Tiguan – verplant sind, ist das Maß voll. Der Konflikt bricht in der Montage aus. Aber der Kampf gegen die verhassten Wochenendschichten wird vertagt: Die VKL setzt gegenüber der Geschäftsleitung eine Umfrage durch, welche Wochenendschicht denn gerade noch akzeptabel ist. Gerade diese Mitbestimmung führt dazu, dass die Leute individuell überlegen, ob für sie Samstag oder Sonntag besser ist – aber am Grundsatz wird nicht gerüttelt.

»Hier planen ein paar Leute einen Aufstand«

Ingrid: Im Juni sind an einem Tag drei Schichten aufgrund des Streiks in Spanien ausgefallen. Das Unternehmen wollte natürlich nacharbeiten lassen. Es wollte uns kurz vor dem Urlaub eine Samstag-Spätschicht reindrücken. Daraufhin haben wir Vertrauensleute telefoniert und rumgefragt: »Wie ist denn die Stimmung bei euch?« Durchweg kam: »Ganz schlecht!«. Die wollten nicht so hingeordert werden. Ein Team hatte sich zusammen ein Haus gemietet und wollte dort ein langes Wochenende verbringen. Jedenfalls hat das eine kleine Welle gemacht. Dann habe ich gesagt: »Ok, Kollegen, seht zu, dass Ihr e-mails an den Betriebsrat schreibt, dass das so nicht läuft, und ich schreibe selber auch noch was. Ihr müsst mich dafür mal freischaufeln.« Das haben alle akzeptiert. Zwei, drei Leute haben gesagt, sie würden das gerne mal lesen. Ich hab mehrere Vorschläge gemacht, wie man es anders regeln könnte. Das habe ich noch mit anderen abgesprochen und ab damit. Und tatsächlich haben sie den Samstag geknickt. Haben uns dann aber gleich nach dem Urlaub wieder eine Samstag-Spätschicht gegeben. Die macht ja keiner gerne, wegen Familie… Jedenfalls haben sich die Leute auch über diese Samstagspätschicht aufgeregt. Dann rief mich jemand aus der Montage an und meinte: »Hier planen ein paar Leute einen Aufstand, die haben ihre Motivationsampeln in der ganzen Montage auf rot gesetzt«. Mit der Begründung, dass sie keine Samstag-Spätschicht, sondern eine Sonntag-Nachtschicht fahren wollen…

Achim: Irgendwer ist auf die Idee gekommen: »Was bringt Aufmerksamkeit? Die beschissenen Ampeln! Mein BI wird sich drüber aufregen. Wenn es den anderen BIs auch so ergeht, dann wird das schon Aufmerksamkeit erreichen.« Die Kärtchen werden nämlich kopiert und nach oben gegeben. D.h., sie werden ausgewertet und jede Woche wird das Erfolgsquadrat im Intranet veröffentlicht. Das ist ein Viereck: Kosten, Motivation, Stückzahl, Qualität. Und wenn das Ding auf rot hüpft, dann schauen alle hin und wollen wissen, warum. Zumal die BIs nur eine bestimmte Menge an roten Ampeln bekommen dürfen, weil sich sonst ihr Bonus verringert. So wissen die Kollegen, dass sie ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit auf sich lenken können. Es ist ein doofes Maß, aber… es ist ein kleiner Aufstand.

»Wenn es um eine gemeinsame Sache geht, da ist die Montage ungeschlagen!«

Ingrid: Hat auch gut geklappt. Das ist rundum durch die Montage gelaufen, das sind Hunderte von Menschen, die sich im Team-Meeting geeinigt haben. Es waren auch noch einige Teams im Karosseriebau dabei, aber speziell in der Montage. Das Betriebsklima ist in den einzelnen Gewerken verschieden. In der Montage lastet der größte Ergebnisdruck auf den Leuten. Einerseits sind die Leute dort in den Teams untereinander gemeiner, wenn irgendwer dauernd krank ist oder nicht richtig kann. Aber wenn es um eine gemeinsame Sache geht, da ist die Montage ungeschlagen! Die Lackierer regen sich nicht so schnell auf. Im Lack gibt es am Wochenende die Option, dass sie zwei Stunden früher los können, da die ganze Technik runter gefahren werden muss. Das ist dann um 20 Uhr, nicht um 22 Uhr. Die Hoffnung hat in der Montage keiner.

Achim: In der Montagehalle sind sehr viele Leute auf einem Haufen, und da kann man schnell mal so eine Aktion machen. Das ist rasch koordiniert. In den Teamsitzungen waren einfach alle soweit, die Ampeln3 zu benutzen. Die Teamsprecher haben sich abgesprochen, damit auch der gleiche Grund auf dem Zettel steht. Das ging ganz schnell, weil die getrennten Teamräume fast alle nebeneinander liegen.

Ingrid: Wir haben zwar zunächst nichts erreicht. Später aber, als weitere Sonderschichten angesagt wurden, sind wir gefragt worden, ob wir eine Spätschicht oder eine Sonntaganfahrschicht wollen. Die VKL hat die Belegschaft gefragt und deren Votum ist übernommen worden.

Das Soziologische Forschungsinstitut der Uni Göttingen (SOFI), das die Projektphase von Auto 5000 »begleitet«, hatte noch im Sommer 2006 etwas zynisch bilanziert: »Die Mehrheit der Beschäftigten bei Auto 5000 trägt trotz mancher Kritik im Einzelnen das Innovationskonzept mit. Und es hat sich eine Mitspielerbereitschaft in neuer betrieblicher Rolle bei Auto 5000 herausgebildet.«

Inzwischen lassen sich die Konflikte nicht mehr unter den Teppich kehren. Aber bis heute ist es dem Unternehmer und der Gewerkschaft immer wieder gelungen, die grundlegenden Konflikte zu individualisieren. Ob das auch weiterhin gelingt, hängt nicht allein von der Belegschaft einer einzelnen Fabrik ab. Die Wut über die Wochenendschichten kocht auch in anderen Werken immer wieder auf. Die Lokführerstreiks waren vielleicht ein weiterer Baustein dafür, dass es für die Herrschenden schwerer wird, den Deckel auf dem Topf zu halten.

Anmerkungen:

[1] Das PDCA-Verfahren kommt aus der japanischen Kaizen-Managementphilosophie. Ein PDCA-Zyklus besteht aus vier Elementen:

Plan: Planung des jeweiligen Prozesses vor seiner eigentlichen Umsetzung

Do: Umsetzung der Planung

Check: Durch Soll-Ist-Abgleich werden eventuelle Abweichungen des realen Prozessablaufes identifiziert.

Act: Die Ursachen der festgestellten Abweichungen werden abgestellt, der Prozess kann wieder von vorne beginnen.

[2] BI (Betriebsingenieure) heißen bei Auto 5000 die Meister.

[3] Das Ampelspiel: »Am Anfang haben wir die Teamsitzungen richtig ernst genommen, das hat sich später abgeschliffen, da haben wir nur noch »das Ampelspiel« gemacht: »Qualität – wer ist für Grün?« und »Motivation – hat wer was zu sagen, will wer auf Rot?« Bei »Stückzahl« das gleiche Spiel. Das sind die drei Punkte, über deren Erreichen abgestimmt wird. Das eigentlich Wichtige ist die Motivation. Bei allem anderen haben die ihre eigenen Maßstäbe. Wenn die meinen, die Qualität ist schlecht, ist es unerheblich, ob wir alle mit »Grün« gestimmt haben. Nein, »Motivation« ist das einzige, was registriert wird. Da muss der Betriebsingenieur drauf achten, sein Bonus hängt auch davon ab, wie gut er sein Team motivieren kann.« (aus »Irgendwann interessiert dich nicht mehr die Technik, sondern wozu dich die Technik zwingt«, Interview zu VW: Auto 5000, in: Wildcat 79

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aus: Wildcat 80, Winter 2007/2008



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