aus: Wildcat 76, Frühjahr 2006
VW nimmt eine Sonderstellung unter den deutschen Autobauern ein. Nein, über Verluste im »operativen Geschäft« klagen sie alle. Besonders ist die Art und Weise der Einbindung der Gewerkschaftsführung in die Geschäftsleitung. Sie basiert wesentlich auf einer staatlichen Existenzgarantie für den Konzern – durch eine Sperrminorität bei VW kann das Land Niedersachsen verhindern, dass jemand größere Aktienpakete aufkauft, wenn der Kurs allzusehr abstürzt. Auf dieser Basis haben es die IGM und der Betriebsrat in der Vergangenheit geschafft, Werkschließungen und Auslagerungen im großen Stil zu verhindern. Aber diese »Erfolge« des BR, die auf den Ängsten der Belegschaft aufbauen, haben ihren Preis gehabt. Um die ArbeiterInnen zu Produktivitätssteigerungen anzuhalten, hat die Firma einen internen Konkurrenzkampf eingeführt. Die Betriebsräte der einzelnen Werke führen regelmäßig Workshops durch, auf denen Möglichkeiten einer weiteren Verdichtung der Arbeit ausgelotet werden. Ein anderer Ausdruck davon sind sowohl konzerneigene Subunternehmen wie AutoVision und Auto 5000 mit eigenen Tarifen, »Spartentarifverträgen« usw. als auch eine Vielzahl von verschiedenen Schichtmodellen.
Mit dieser Politik hat es VW über 50 Jahre lang geschafft, alle größeren Arbeitskonflikte zu umschiffen. Doch langsam stellt sich die Frage, wie lange diese Politik noch zu halten ist. Ohne wirkliche Einschnitte bei den Löhnen und Arbeitszeiten breiter Teile der Belegschaft verlieren die »innovativen Projekte« wie eben Auto 5000 ihren Sinn. Und hier knirscht es im VW-Gebälk: Sie sind vor allem mit dem (vagen) Versprechen durchgesetzt worden, dass man den ArbeiterInnen die Möglichkeit eines Wechsels in die Mutterfirma und damit den Haustarif bietet. Das funktioniert allerdings nur solange, bis die ArbeiterInnen auch die Einlösung der Versprechungen einfordern. Dass Auto 5000 gerade ausläuft und zur Neuverhandlung ansteht, markiert einen solchen Punkt. VW muss dem »jüngeren« Teil der Belegschaft irgendwie verklickern, dass er alle Hoffnungen auf »bessere Zeiten« begraben muss. Was also tun? Zunächst einmal wird die Gewerkschaft diskreditiert. Im Herbst letzten Jahres wird von den Medien der allgemeine Zustand der persönlichen Korruption in den gewerkschaftlichen Vertretungsstrukturen skandalisiert. Lustreisen für die Betriebsräte, Dienstwagen auch für Vertrauenskörperleitung usw. Kurz darauf setzt die Geschäftsleitung nach, die Kündigung des aktuellen »Beschäftigungstarifvertrages« wird öffentlich erwogen. Schließlich sattelt sie um den Jahreswechsel herum noch eins drauf: Ein »hartes Sanierungsprogramm« wird angekündigt und nebulös von »20 000 Stellen« gesprochen, die zur Disposition stünden. Alles gehöre auf den Prüfstand. Das erste Ziel: Angst machen. VW hätte auch klare Vorhaben, etwa die Auslagerung bestimmter Unternehmensbereiche, formulieren können, belässt es aber auch bei Belegschaftsversammlungen bei vagen Andeutungen. Das zweite Ziel: Die Gewerkschaft mit im Boot behalten. Auch das funktioniert: Der politisch geschwächte Betriebsrat tritt umgehend in Verhandlungen ein und hilft mit, ein Sparprogramm überhaupt erst zu formulieren. Das dritte Ziel: Die Belegschaft irgendwie zur Mitarbeit bewegen. Das könnte der schwierigste Punkt werden. Angst kann dazu führen, dass alle nochmal einen Schlag mehr reinhauen, sie kann aber auch zu Resignation führen, und sie kann unvermittelt in Wut umschlagen. Im Moment lässt sich für uns die Situation nicht eindeutig einschätzen, aber es gibt immerhin leise Zeichen, die auf Konflikte schließen lassen – ein Krankenstand von mittlerweile acht Prozent in dem Vorzeigeprojekt Auto 5000 liegt viermal so hoch wie der angepeilte Richtwert und fast dreimal so hoch wie der bundesdeutsche Durchschnitt.
Das folgende Gespräch mit drei Aktivisten aus Braunschweig und Wolfsburg, alle um die 30, drehte sich vor allem um drei Komplexe: Zum einen geht es um eine Darstellung der mittlerweile völlig unübersichtlichen Tariflandschaft in den Montagehallen bei VW. Dann stellen sie dar, dass es nicht immer um Löhne geht, sondern die letztlich auch ein Druckmittel darstellen, um die Verdichtung der Arbeit zu erhöhen. Und schließlich geht es um die Reaktionen der verschiedenen Belegschaftsgenerationen.
Kann man angesichts ihrer Vielzahl die einzelen Tarife bestimmten Abteilungen zuordnen oder richtet sich das in erster Linie nach Eintrittsdatum?
A: In vielen Bereichen geht es nach dem Eintrittsdatum, d.h. je später, desto weniger. Allgemein überwiegen im Fachbereich – Entwicklung, Instandhaltung – die alten Haustarife. In der Montage ist der Übergang am flüssigsten, da kann man Hand in Hand mit den verschiedenen Tarifen arbeiten. Die Parole »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« ist da völlig lächerlich.
Gibt es wenigstens für die, die vor relativ kurzer Zeit angefangen haben, z.B. bei der Autovision, die Perspektive, in einen anderen Bereich aufzusteigen?
B: Schwer zu sagen, es ist nicht einfach, diese ganzen Verträge einzulesen. Aber z.B. bei Auto 5000 gibt es überall Klauseln, dass die mal übernommen werden können. Das sind ja Projekte, die über soundsoviele Jahre laufen und dann muss neu verhandelt werden. Auch die Azubis, die jetzt ausgeliehen werden nach Auto 5000, arbeiten da eine gewisse Zeit und werden theoretisch übernommen in den anderen Vertrag, aber das ist nur auf dem Papier.
Geht es nur um Lohnsenkung oder auch um Arbeitsverdichtung?
A: Durch die konzernweiten Ausschreibungen einzelner Aufträge wird immer weiter an der Schraube gedreht. Um die Marrakesch-Produktion zu kriegen, wurde z.B. für den gesamten Bereich der Montage in Wolfsburg eine 20-minütige Erholpause gestrichen und ein besonderes Schichtmodell für den gesamten Haustarif 1 eingeführt. Die haben einen anderen Schichtrhythmus und verpflichten sich zu regelmäßiger mehrwöchiger Dauernachtschicht. Wenn man sich freiwillig verpflichtet hat – z.B. wegen der Zuschläge –, kommt man da nicht so einfach wieder raus. Wer Probleme damit kriegt, muss das schon über einen Arzt regeln.
C: Für das Werk Braunschweig gibt es seit Herbst 2005 das Rationalisierungsprojekt »pro Braunschweig«. An drei Fertigungslinien sollte zunächst für vier Wochen auf Probe mit zwei anstatt mit drei AnlageführerInnen – bisher mit gemeinsamer Pause – produziert werden, verbunden mit zeitweiser erhöhter Stückzahl.
Wie kommen die aktuellen Drohgebärden der Geschäftsleitung bei den Beschäftigten an?
A: Es spricht sich rum, dass die Tendenz dahin zeigt, langfristig in einem Niedriglohnbereich zu arbeiten. Das macht VW nicht unbedingt attraktiver. Wir hatten allein für den Standort Braunschweig mit seinen ca. 100 Ausbildungsplätzen immer 3-4 000 Bewerbungen. Für den Sommer 2006 haben sie bislang 400 Bewerbungen.
Unter den Kollegen ist ganz klar die Stimmung, dass sie ihren Kindern nicht empfehlen werden, eine Ausbildung bei VW zu machen. Die kennen die Arbeit, die sie am Band erwartet und sagen: »Für das Geld, vergiss es!«
C: Die »Alten« haben weniger Angst. Bei den 50jährigen ist das Hasspotential enorm hoch. Sie haben noch die Aussicht, aussteigen zu können, und das momentan zu relativ guten Konditionen. Sie tun das mit dem Bewusstsein, dass alle nach ihnen nicht so gemütlich in Rente gehen werden. Schwierig ist unser Alter, irgendwelche Träumer, die in den letzten Jahren tatsächlich noch angefangen haben, Häusle zu bauen, die sind eher vorsichtig.
B: Momentan ist die Erkenntnis, dass die sich teilweise richtig fett verkalkuliert haben. Die haben jetzt Panik.
Das Problem ist, dass die nie gelernt haben, nach einer kollektiven Lösung zu suchen und keine entsprechenden Erfahrungen gemacht haben. In der Misere ist der Weg immer, für sich individuell eine günstig Lösung zu finden. Die machen dann Fortbildungen und so weiter, um für sich den Standard zu halten.
Entwickelt sich eine »Jetzt reicht‘s!«-Stimmung?
B: In diesem kleinem Werk in Braunschweig gibt es eher als in Wolfsburg die Tendenz, mal kollektiv was zu machen. Hier wurde die Erfahrung gemacht, dass man gemeinsam mal laut sein kann. Als die Meldung kam, dass mit dem Komponentenwerk was passieren soll, auslagern, verkaufen, was auch immer, wurde während der Arbeitszeit eine Betriebsratsinfo erzwungen. Der Betriebsrat musste sich vor die komplette Mannschaft stellen und sollte seinen Wissensstand mitteilen. Ein Druck aus der Masse ist in Wolfsburg eher nicht da. Je höher die gewerkschaftliche Organisierung, um so traditioneller und ruhiger sind die Kollegen.
C: Die Leute fühlen sich verarscht und sind dem BR gegenüber sehr ablehnend. Sie haben das Gefühl, sie werden über’n Tisch gezogen, werden nicht informiert. Aber bis jetzt ist da kein Handeln draus entstanden und auch nicht erkennbar. Der Krankenstand ist extrem niedrig. Die Leute murren, aber es fehlt das kollektive Erlebnis. Wenn alle versammelt sind, kann man mal offen den BR angreifen und kritisieren, dann ziehen die Leute schon mit. Die schweigende Masse steht tendenziell eher hinter einem. Sie kommen aber nicht aus sich raus. Jeder ist für sich sauer.