Wildcat Nr. 74, Sommer 2005, S. 16–22 [w74_bshg.htm]



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»…das einzige, was sie von uns erwarten können…«

Eine Waschmaschinenfabrik macht dicht.

Wie schnell das geht! Erst seit etwas mehr als 40 Jahren werden große Elektrohausgeräte in Westeuropa in industrieller Massenproduktion hergestellt, schon stehen in Westeuropa nur noch wenige Fabriken, und die meisten von ihnen werden gerade runtergefahren und/oder verlagert.

Dass Branchen fast komplett ins Ausland gehen, ist aber nichts Neues. Das Neue ist, dass keine neuen Branchen entstehen, die massenhaft Leute einstellen. Von 1990 bis 2003 wurden ungefähr 330.000 Arbeitsplätze aus der BRD nach Mittel- und Osteuropa verlagert. Das waren pro Jahr rund 25.000. Durch weltweite Produktionsverlagerung fallen jährlich bis zu 50.000 Arbeitsplätze in Deutschland weg. Bei rund 38 Millionen Erwerbstätigen sind das etwas mehr als 0,1 Prozent jährlich. Zum Vergleich: Bereits der leichte konjunkturelle Aufschwung im Jahr 2000 hat ein Plus von 700.000 Erwerbstätigen gebracht.

Die ersten Waschmaschinen, Kühlschränke und Herde als industrielles Massenprodukt wurden Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre in Italien bereits für den (west-)europäischen Markt produziert. Auch wenn bis in die 70er Jahre Firmen produktiver waren, die sich auf »ihren« nationalen Markt beschränkten, mussten alle expandieren, weil sie von Unternehmern bedroht wurden, die massive Klassenkampfprobleme in der Produktion mit aggressiver Preiskonkurrenz wettzumachen versuchten. Speziell Bosch/Siemens (BSH = Bosch-Siemens-Hausgeräte) mutierte in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zum »billigen Jakob«, als sie in ihrer Waschmaschinenfabrik in Berlin/Spandau (Hausgerätewerk Berlin, HWB) mit Ausschussraten von 15 Prozent und einem Krankenstand oft in gleicher Höhe hantieren mussten. Über die Kämpfe in dieser Fabrik haben wir damals oft in der Wildcat berichtet, viele von uns haben auch schon mal dort gearbeitet. Diese Fabrik soll nun geschlossen werden.

Eine Branche wandert aus

In den meisten entwickelten kapitalistischen Ländern arbeiten prozentual weniger Menschen in der Industrie als in der BRD. Hier lag der Anteil von Industriebeschäftigten im Jahr 2003 mit 27 Prozent fünf Prozentpunkte über dem von Frankreich und fast zehn Prozentpunkte über dem von Großbritannien; in den USA arbeiten sogar noch weniger Beschäftigte in der Industrie. Dies ist die wesentliche Grundlage dafür, dass die BRD ständig Exportweltmeister wird. Der Anteil ist allerdings auch in der BRD in den letzten 15 Jahren ständig gesunken (1992 betrug er noch 35 Prozent).

Auch in der deutschen Elektroindustrie sank die Zahl der Beschäftigten in den letzten 15 Jahren um etwa ein Fünftel (1991: 1.087.331; 1993: 980.000, davon knapp 74.000 in den neuen Bundesländern; Mitte Juni 2005 knapp 810.000 Beschäftigte). Allerdings bedeutet Elektroindustrie alles von der Produktion eines Haarföhns bis zum Kraftwerksbau. Wichtiger sind die Verschiebungen innerhalb des Oberbegriffs »Elektroindustrie«. Zum Beispiel fand die Verlagerung der »Braunen Ware« (Unterhaltungselektronik) bereits in den 70er und 80er Jahren statt – während der Blütejahre der »Weißen Ware« (Haushaltsgroßgeräte). Heute werden Festnetz-Telefone, Haushaltskleingeräte wie Mixer und insgesamt »Braune Ware« in der BRD praktisch nicht mehr hergestellt. Der Rationalisierungsschub in der Hausgeräte-Produktion in der zweiten Hälfte der 80er Jahre und die zunehmende Internationalisierung und Konzentration der Branche seit Mitte der 90er führte zum stetigen Abbau von Arbeitsplätzen in der BRD (zu Beginn der 90er Jahre bei steigenden Umsätzen; seither sinken auch die Umsätze).

Die Waschmaschinenproduktion in der BRD stieg von rund 1,6 Mio. Stück 1982 auf 2,8 Mio. Stück 1992 (Rekordzahl im Wiedervereinigungsboom). Zwischen 1987 und 1989 waren US-amerikanische Firmen in die europäische Hausgeräteproduktion eingestiegen, Whirlpool hatte z.B. Philips und Bauknecht übernommen. Anfang der 90er Jahre kaufte Bosch/Siemens spanische und türkische Hausgerätehersteller auf. Danach übernahm Electrolux italienische Firmen und in der BRD AEG und ist seither Weltmarktführer. BSH ist weltweit die Nummer drei (weltweit mehr als 34.000 Beschäftigte, in der BRD noch 14.000 – vor drei Jahren waren es noch über 16.000) und macht mehr als drei Viertel seines Umsatzes (von 6,8 Mrd. Euro) im Ausland. Von den 42 Fabriken und Standorten stehen noch sieben in Deutschland, die anderen in Spanien, Griechenland, Lateinamerika, den USA, Polen, China und in der Türkei.

Seit ein paar Jahren ist die Türkei wahrscheinlich weltweit der wichtigste Produktionsstandort für »Weiße Ware«. Im Jahr 2002 übernahm die türkische Arcelik-Gruppe Blomberg (den letzten deutschen Hausgerätehersteller außer Miele, der bisher ausschließlich in Deutschland produziert hatte), zwei Jahre danach wurde die Waschmaschinenproduktion von Blomberg in Deutschland eingestellt. Auch Miele, das seine (teuren) Produkte stark mit dem Argument »Made in Germany« vermarktet, will bis 2007 jede zehnte der 11.000 Stellen in der BRD streichen. Im Moment werden auch die Kernbereiche der Hausgeräteproduktion verlagert (z.B. gelten Kühlgeräte seit etwa 15 Jahren als technologisch ausgereift, hier sind keine großen Fortschritte mehr zu erwarten; bei Waschmaschinen war die Senkung der Verbrauchswerte, die Vergrößerung der Wäschemenge und die Umstellung auf elektronische Steuerungen in den letzten Jahren noch innovativ; in Zukunft wird es auch hier nur noch graduelle Verbesserungen geben). Was in der BRD mit der Braunen Ware passierte, in Frankreich z.B. mit der Kühlschrankproduktion (1960 gab es dort 20 Hersteller von Kühlschränken, 1967 deckten vier Dreiviertel des Marktes ab, 1976 war Thomson-Brandt als einziger Kühlschrankproduzent übriggeblieben, seit 1993 werden keine Kühlschränke mehr in Frankreich hergestellt), hat inzwischen die Produktion von Toplader-Waschmaschinen erreicht, in etwa zwei Jahren wird in Deutschland kein Toplader mehr produziert werden.

Außer der Mielefabrik in Gütersloh gibt es noch dreieinhalb Waschmaschinen-Produktionsstandorte in der BRD: Bauknecht in Schorndorf – »bedroht«; AEG in Nürnberg – »bedroht«, Bosch/Siemens in Berlin und Nauen bei Berlin. Das Hausgerätewerk in Berlin soll Ende 2006 geschlossen werden. Offiziell soll das Werk in Nauen dann die neue Waschmaschinengeneration produzieren; es darf aber bezweifelt werden, dass es Nauen als Produktionsstandort noch lange gibt. Die Entscheidung »für Nauen« steht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Erhöhung der Subventionen durch die Landesregierung Brandenburg.

Krise der Produktion

In der Produktion von Hausgeräten wurde in den letzten 40 Jahren die typische Massenarbeiter-Zusammensetzung beschäftigt: ungelernte BandarbeiterInnen, die aus der ländlichen Bevölkerung rekrutiert worden waren. Vielleicht ein Viertel davon Frauen, bis zu 90 Prozent MigrantInnen. Dieses Arbeitskräftereservoir ist in Westeuropa seit längerem erschöpft. Bezeichnenderweise arbeiten z.B. im Hausgerätewerk in Berlin keine türkischstämmigen ArbeiterInnen der dritten Generation; für sie ist diese Art von Fabrikarbeit komplett uninteressant. Die Unternehmer können einen kurzen Zeitvorsprung gewinnen, indem sie Fabriken in einen ländlichen Raum mit hoher Arbeitslosigkeit in Osteuropa stellen. Diese Orte befinden sich aber alle in industriell geprägten Regionen. Die Verhaltensweisen, vor denen man ausweichen wollte, kommen sehr schnell wieder zum Vorschein. Allgemein rechnen die Unternehmer damit, dass sie in 10-15 Jahren diese neuen Standorte auch wieder werden verlassen müssen, weil dann die Löhne wiederum »zu hoch« sind oder es keine »geeigneten Arbeitskräfte« mehr gibt.

Krise eines Konsumguts

Die Unternehmer machen allgemein den »Kostendruck« für die Auslagerungen verantwortlich. 1992 kosteten 40 Prozent der verkauften Waschmaschinen in der BRD weniger als 600 Euro – 2004 waren es über 80 Prozent! 1987 betrug der durchschnittliche Abgabepreis einer Waschmaschine an den Handel in der BRD 1300 DM, in Italien umgerechnet 580 DM. Dementsprechend wurden in der BRD 1987 Haushaltsgroßgeräte für 12,3 Mrd. DM produziert, in Italien für 7,3 Mrd. – während nach Stückzahlen in Italien doppelt so viele Waschmaschinen wie in der BRD produziert wurden (in der BRD damals noch über zwei Millionen, davon etwa ein Drittel im HWB!). Diese hohen Preise zahlen heute nur noch sehr wenige: Zum einen bieten »Billigmarken« wie Eko und LG fast gleich gute Qualität, zum anderen haben die deutschen Marken die Technologieführerschaft verloren (sie hatten sie bezüglich ökologischer Kriterien, neue wurden nicht entwickelt). Verschärft wurde diese Entwicklung in den letzten Jahren natürlich durch die sinkenden Löhne und den allgemein schrumpfenden Binnenmarkt in der BRD. Es gibt keinen »nationalen Marktschutz durch markenorientiertes VerbraucherInnenverhalten« mehr – das hängt nicht nur mit den Industrialisierungsprozessen in der Türkei zusammen, sondern auch damit, dass Single-Haushalte und Scheidungsraten zunehmen: Eine Waschmaschine wird nicht mehr als langfristige Anschaffung gesehen.

Das Hausgerätewerk in Berlin

Von 1960 bis 1980 halbierte sich die Anzahl der in den Westberliner Elektrobetrieben Beschäftigten auf etwa 66.000. Sie war damit noch immer mit weitem Abstand die größte Branche in Westberlin. Mit dem Fall der Mauer und nach Auslaufen des »Wiedervereinigungs-Booms« begann eine deutliche Strukturveränderung der Berliner Industrie; im Mai 1992 gab es in ganz Berlin noch 223.000 Industriebeschäftigte, das waren 21,4 Prozent weniger als im Vorjahr, im April 1993 nur noch 152.900. Das führte zu einem starken Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Seit Januar 92 weist der Westteil Berlins die höchste Arbeitslosenquote im alten Bundesgebiet auf.

Geschichte des Werks

Seit etwa 50 Jahren werden in Berlin/Spandau Waschmaschinen produziert, zunächst in eher kleinen Stückzahlen und zusammen mit anderen Hausgeräten. Mit dem Zukauf der Firma Constructa und der Zusammenlegung der Hausgeräteproduktionen von Bosch und Siemens wurden ab 1966 in Spandau nur noch Waschmaschinen hergestellt. Mitte der 70er Jahre produzierten 2100 ArbeiterInnen jährlich 450.000 Maschinen. Mitte der 90er produzierten 2500 ArbeiterInnen jährlich über eine Million Waschmaschinen und mehr als 200.000 Trockner. Die großen Stückzahlsteigerungen hatten in den 80er Jahren stattgefunden: von 600.000 Geräten 1982 auf über 1 Million 1986. Die pro Arbeiter und Jahr produzierte Anzahl an Waschmaschinen und Wäschetrocknern kletterte von 1978 bis 1988 auf über das Doppelte (von 205 auf 442)

Anfang 1987 organisieren junge türkische Arbeiter »der zweiten (Einwanderer-) Generation« einen Bummelstreik gegen die ständig heraufgesetzten Stückzahlen am Band. Sie gehen dabei so geschickt vor, dass es dem Unternehmer nicht gelingt, die neuen Stückzahlen durchzusetzen, trotz Vorarbeitern, Springern, Spitzeln und Zwangsversetzungen. Nach einiger Zeit senken die Arbeiter den Akkord sogar weiter ab. Man einigt sich schließlich auf den faulen Kompromiss, zusätzliche Springer ans Band zu stellen. Trotzdem haben die ArbeiterInnen in ihrem Kampf viel gelernt, u.a. konnten sie die Kooperation am Band fast nach Belieben umdrehen. Bei Wartezeiten, Umstellungen usw. konnten sie in der Regel ihre Vorstellungen durchsetzen, wie viele Maschinen weniger nun zu machen seien. Ab Herbst 1987 hatten sie es auch gar nicht mehr nötig, gegen »rechtmäßig angeordnete Mehrarbeit« zu protestieren: Sie hatten es sich zur Regel gemacht, in Überstunden produzierte Maschinen einfach in den Tagen darauf von den »normalen« Stückzahlen abzuziehen. »Wenn wir wollten, konnten wir die Stückzahlen jederzeit wieder runterfahren.« In dieser Zeit wurden die Avantgarden dieses Kampfes auch zu, wie sie selber sagen, »Profi-Saboteuren«. Es gab immer mehr Kratzer an den Waschmaschinen, auf Bestellung (man konnte solche Waschmaschinen im firmeneigenen »B-Lager« stark verbilligt kaufen) oder »einfach so«. Einmal kam die Frühschicht ins Werk und jede einzelne Maschine auf dem Band war zerkratzt. Es kam auch immer wieder zu Bandstillständen durch Sabotage an den »Robotern« oder weil die Antriebsriemen durchgeschnitten waren. Obwohl ein Springer die Antriebsriemen jede halbe Stunde kontrollierte, ging das Band manchmal dreimal am Tag kaputt. »Dann haben sie drei Wochen lang einen Werkschützer postiert, der ist immer ums Band rumgelaufen. Was der sich von den Arbeitern alles anhören musste! Aber genützt hat es ihnen trotzdem nichts. Sie konnten nicht verstehen, wie wir das geschafft haben.« In der Spätschicht mussten die Springer so lange dableiben, bis alle Arbeiter das Werk verlassen hatten. Es half alles nichts. Auch durch ständiges Versetzen der Verdächtigen war nichts zu machen.

Die Werkleitung hat nie wieder versucht, die Stückzahlen an diesem Band hochzusetzen; stattdessen wurden die Arbeiter über das ganze Werk verteilt; 1992 wurde das Band dann abgebaut. In den drei Jahren danach verließen weit mehr als 1000 ArbeiterInnen – meist mit sehr guten Abfindungen – das Werk.


»Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass fast alle gravierenden personellen Schwierigkeiten ursächlich von der konsequenten Anwendung des ›Taylor-Systems‹ herrührten.«

Wexlberger, ehemals Leiter
der Arbeitswirtschaft im HWB


Seit Mitte der 60er Jahre war das Hausgerätewerk in Berlin immer wieder Untersuchungsgegenstand für Industriesoziologen und Arbeitswissenschaftler. Letztlich hatte man den Eindruck, dass diese an den ArbeiterInnen verzweifelten: alle Versuche von »Humanisierung«, Gruppenarbeit und was der Schlagworte mehr waren, scheiterten. Heute, wo ein System aus Gruppenarbeit am Band herrscht, das weitgehend den Träumen der Arbeitswissenschaftler entspricht (siehe »Taylor‘s Alpträume« in diesem Heft), soll das Werk geschlossen werden.



Geht doch!

Interview mit einem Arbeiter aus dem Hausgerätewerk, zweite Junihälfte 2005

Wie viele Leute arbeiten noch im HWB, wie viele in der Produktion, wie viele davon sind noch AusländerInnen?

Etwa 640 arbeiten noch in der Produktion. Davon sind 40 bis 45 Prozent türkischer Herkunft, die Ossis sind fast alle weg durch die Sozialauswahl, polnische Spätaussiedler sind noch da und ca. 50 Vietnamesen.

Es gibt noch die Stanzerei, die Gehäuse stanzt, Rückwände, kleinere Eisenteile, Innentrommeln, seit 1998 werden die (Kunststoff-) Trommeln zugeliefert, die Blenden werden nur noch teilweise in Spandau produziert, die meisten kommen aus Bretten, überhaupt wird mehr zugeliefert als früher. Vormontage gibt es nur noch wenig, die Bullaugen z.B. machen wir nur noch zur Hälfte.

Es gibt kein Fließband mehr …

Das ist schon noch ein Fließband, aber nicht mehr wie früher. Es hat die Form eines Haarkamms mit sechs Zähnen. Es gibt sechs Montagegruppen von durchschnittlich zehn Leuten. Die erste Gruppe macht das Gehäuse fertig, dann läuft es wieder in den »Kammgriff« rein, wird weitertransportiert und läuft mittig in den »Zahn« der nächsten Montagegruppe. Beim Zurücklaufen in den »Kammgriff« laufen zwei Schienen am äußeren Rand des »Zahns«, an denen die Leute parallel arbeiten. Insgesamt arbeiten in dieser Halle 100 Leute. Sie produzieren in zwei Schichten 1000 Maschinen pro Schicht.

Das heißt, nach wie vor recht kurze Taktzeiten?

Netto arbeiten wir sieben Stunden am Tag, das sind 420 Minuten bzw. 25.200 Sekunden. Also alle 25 Sekunden eine Maschine, da die Bandabschnitte parallel laufen, sind das Taktzeiten von 50 Sekunden. Offiziell ist das Gruppenarbeit, aber eigentlich ist es nach wie vor Bandarbeit, du kannst nicht bestimmen, wieviel Stück du machst, wie schnell du arbeitest usw. Andererseits kriegen die Leute Gruppenprämien, müssen sich als Gruppe präsentieren.

Ihr macht den Eurowascher, wie viele Modelle sind das?

Constructa machen wir nicht mehr, es gibt noch Bosch und Siemens und wir machen drei Modelle: die ganz teuren mit Display, die mittleren mit kleinem Display und eine ganz stinknormale Waschmaschine. Alle Modelle können auch gemischt durchlaufen. Sie können auch zwei Modelle gemischt laufen lassen, dann macht die eine Seite am Band andere Arbeiten mit anderen Taktzeiten, das geht auch.

Wie viele Maschinen produziert Ihr im Jahr?

In diesem Jahr sind 410.000 geplant, die Kapazität wäre etwa eine halbe Million (in zwei Schichten). Wir haben auch schon 630.000 produziert, in drei Schichten.

Was passiert, wenn jemand in der Gruppe krank ist?

Die Eurowascher-Produktion hat eine eigene Vorfertigung mit etwa zehn Leuten, die funktionieren als Personalpuffer. Zweitens gibt es auch Versetzungen zwischen den Gruppen, z.B. wenn in einer Gruppe nicht genügend Arbeit da ist.

Wie hoch ist der Krankenstand?

Einen Krankenstand wie früher gibt es nicht mehr, heute liegt er in Spitzenzeiten vielleicht bei sieben Prozent. Durchschnittlich etwas über fünf.

Ihr macht alle Waschmaschinen-Modelle; trotzdem ist nur noch die Hälfte der Siemens-Waschmaschinen, die in Deutschland verkauft werden, auch in Deutschland produziert. Wie ist das verteilt?

Wir fertigen eher für Benelux-Länder und für Deutschland. Aber sagen wir mal, Siemens verkauft in Deutschland im Jahr eine halbe Million Billigwaschmaschinen, davon machen wir dann vielleicht 100. 000, die übrigen 400.000 kommen aus der Türkei und aus Polen. Die ganz hochwertigen Waschmaschinen werden ausschließlich in Spandau hergestellt, die billigen dienen zum Steuern der Kapazitätsauslastung – sonst müssten sie Leute kündigen und dafür haben sie keine Zustimmung. Für normale Kunden ist bei den billigen Modellen kein Unterschied zu erkennen.

Bosch-Siemens soll mit dem Gedanken spielen, Siemens-Waschmaschinen aus China nach Deutschland zu importieren. Hältst Du das auf mittlere Sicht für realistisch?

Die Türkei ist als Standort im Moment sicherlich strategisch wichtiger als China. In der Türkei machen sie die gesamte Hausgerätepalette, Waschmaschinen, Geschirrspüler, Herde. Aber auch die Produktion in China nimmt gewaltig zu: sie haben mit 50.000 Maschinen angefangen, im Moment sind es schon 300.000. Die Strategie hat sich geändert, früher haben sie gesagt: wir produzieren in einem Land nur so viele Maschinen, wie wir auch absetzen können; aber von der Produktion in Polen können sie auf dem polnischen Markt im Moment gerade mal acht Prozent verkaufen, der Rest wird exportiert. Jetzt haben sie auch ein riesiges Grundstück mit Fabrik in Russland, in der Nähe von Petersburg, gekauft. Das soll den russischen Markt beliefern; ich hab eine Untersuchung von BSH gelesen, in der sie damit rechnen, dass die Löhne in Polen in zehn Jahren ein Niveau erreicht haben werden, dass sie weiterziehen müssen.

Was wird alles in Nauen produziert? Dort hatten sie 1994 eine Trocknerlinie gebaut, 1996 dann noch eine Toplader-Linie. 2002 haben dann knapp 1000 Leute dort gearbeitet. Inzwischen sind es nur noch 370…

Die produzieren im Moment noch Toplader und bis Mitte 2005 noch Trockner, außerdem bauen sie diese Slimline-Waschmaschinen. Der Toplader läuft aus, und der neue Trockner läuft gleichzeitig in Polen an. Mitte nächsten Jahres soll ein neuer Waschmaschinentyp (großer Frontlader für 5 bis 7 Kilo, der den Eurowascher ablösen soll) in Nauen anlaufen, dann soll der Toplader auslaufen und wird dann nur noch zugekauft, von Brandt (eine Marke von Blomberg).

Ihr wart in der Spitze (1988/89) mal 3200 und jetzt seid Ihr noch 1080. Wie lief das?

Zwischen 1993 und 1996 wurden fast 1200 Arbeitsplätze abgebaut – nur über Verrentungen und v.a. Aufhebungsverträge mit Abfindungen, ohne eine einzige Kündigung! 2002 waren wir dann noch 1600, davon etwa 150 LeiharbeiterInnen. Dann haben sie massiv mit Kündigungen angefangen.

Seit über fünf Jahren kämpft Ihr gegen Auslagerungen, ein Höhepunkt war im Sommer 2002, da ist der Trockner nach Polen gegangen. Was hattet Ihr 2002 noch mit Trocknerproduktion zu tun?

Die war bereits komplett in Nauen. Aber die Geschäftsführung hatte gesagt, jeder Standort habe das Recht, sich um diese Produktion zu bewerben. Und da haben wir uns mit den Nauenern zusammen beworben und eigentlich dafür gekämpft, dass Nauen diese Produktion bekommt. Denn uns war klar geworden, wenn Nauen das nicht bekommt, dann wird Nauen leer. Wir sind immer davon ausgegangen, dass sie den Rest von Spandau nach Nauen verlagern, wir hatten nicht gedacht, dass sie Nauen so runterfahren und mit Nauen fast das gleiche wie bei uns in Spandau passiert.

Sie planen zwar, die neue Waschmaschine in Nauen zu produzieren, die »Kernmannschaft« soll aber um die 350 Leute bleiben, den Rest wollen sie mit Leihkräften und Befristeten abdecken. Aber so langsam haben sie in der Region Probleme, noch Leute zu finden, weil sie alle ausgetauscht haben, und laut Gesetz können sie jemand, den sie gekündigt haben, vier Jahre lang nicht mehr einstellen. Jetzt haben sie Schwierigkeiten, neue Leute zu finden, weil fast alle durch sind.

Wie lange arbeitet Ihr, was verdient Ihr?

Wir arbeiten meistens 37,5 Stunden in der Woche. manchmal mehr, manchmal weniger, die Bemessungsgrundlage sind 35 Stunden. Dafür verdient ein normaler Arbeiter 2200 bis 2300 brutto (da ist alles reingerechnet, Weihnachtsgeld, Dividende, Urlaubsgeld…).

Was kann bei Eurem derzeitigen Kampf rauskommen?

Es kann sein, dass sie die Stilllegung ein, zwei Jahre verschieben. Zweitens kann sein, dass wir Zulieferung für andere Standorte machen (das würde vielleicht 200 Arbeitsplätze garantieren).

Warum kündigt Siemens im Mai 2005 an, dass sie Ende 2006 das Werk stilllegen wollen? Firmen, die stilllegen, kündigen das doch i.d.R. ein paar Wochen vorher an.

Die haben sich selber in Schwierigkeiten gebracht. Ich hätte nie damit gerechnet, dass sie das 18 Monate vorher bekannt geben. Jetzt haben sie aber in bestimmten Gremien bekannt gegeben: die neue Maschine geht nach Nauen und der Eurowascher läuft aus. Da kam dann von Betriebsratsseite die Nachfrage: und was ist mit Spandau? ›Ja, da haben wir uns auch bereits Gedanken gemacht: wir schließen das Werk.‹ Das war ja nichts Neues, seit zwei Jahren wusste jeder, dass das Werk geschlossen wird, die Frage war nur: Ende 2006 oder Ende 2007? Und da sie nur ein neues Produkt entwickelt hatten, war klar: entweder das kommt nach Nauen, dann ist Berlin zu, oder es kommt nach Berlin, dann ist Nauen zu. Das war kein Schock, jeder hat damit gerechnet. Vor zwei Jahren haben sie die dritte Schicht in Spandau geschlossen und ein Volumen von 200.000 Maschinen nach Polen gegeben. In dem Moment wusste man, mit 400.000 Maschinen kann Berlin nicht produktiv arbeiten, es gibt einen kritischen Punkt: unterhalb von 600.000 können wir in Spandau nicht wettbewerbsfähig produzieren, das Werk würde rote Zahlen schreiben. Es war also eine Entscheidung.

Im Moment seid Ihr ziemlich stark, sie können Euch nicht ersetzen. Wenn Ihr streikt, gibt es keine ›Premium‹-Waschmaschinen. Hältst Du es für realistisch, dass sie diese Modelle ab Ende 2006 woanders produzieren können?

Sie fangen Mitte 2006 in Nauen an, in der Regel haben sie sechs bis zwölf Monate Probleme mit einem neuen Produkt. Deshalb sagte ich ja: vielleicht finden sie den ›Kompromiss‹, hier noch etwas länger als bis Ende 2006 zu produzieren.

Warum hat der Betriebsrat die 40 Stundenwoche ohne Lohnausgleich angeboten?

Das war der Betriebsratsvorsitzende. Das ist durch keinen Beschluss und keine Diskussion gedeckt. Auch die IG Metall würde das nicht mitmachen. Es gibt allerdings in der Belegschaft auch Stimmen, die sagen schon seit Jahren: ›Wenn hier mal alles zugemacht wird, ist der Betriebsrat daran schuld, weil er alles blockiert‹. Auf Betriebsversammlungen melden sich auch Leute, die überlegen, was sie dem Unternehmer alles anbieten könnten, damit die Produktion weiter läuft. Fünf Stunden mehr arbeiten ohne Lohnausgleich, Weihnachtsgeld… Aber wir wissen sowieso, dass sie das Werk zumachen werden, warum sollten wir also was anbieten? Und warum sollte der Unternehmer das annehmen? 30 km weiter hat er bereits die 40-Stundenwoche, kein Weihnachtsgeld, kein Urlaubsgeld, keine Tarifbindung usw.! Aber besonders deutsche Kollegen haben diese totale Trauer, dass das Werk zugemacht wird. Bei den Türken herrscht teilweise auch Freude. Als letzte Woche auf der Betriebsversammlung angekündigt wurde: ›Endlich haben wir es geschafft! Jetzt gibt‘s Gespräche!‹ – da waren viele Leute schockiert: ›Was ist denn jetzt los? Wird das Werk etwa nicht geschlossen?!?‹ Wir hatten schon lange diskutiert, was wir tun, wenn sie das Werk schließen wollen: ›Dann streiken wir! Wir wollen drei Monatsgehälter pro Jahr Betriebszugehörigkeit‹ usw.. Jeder hat Dollarzeichen in den Augen, und auf einmal kommt der Schock: Es wird doch nochmal darüber gesprochen!

Und wer hat dieses Scheißtranspi gemacht: »Wir wollen arbeiten«?

Das sind Kollegen, die haben das selber gemacht, ich hab mir noch gar keine Gedanken dazu gemacht.

Was können ArbeiterInnen überhaupt machen, wenn eine ganze Branche ins Ausland geht? Was hat das Nachgeben in Kamp-Lintfort gebracht? Dieser Dammbruch hat nur dazu geführt, dass das Werk verkaufbar wurde. Ich find Beispiele besser wie das von Miele in Gütersloh, wo der Betriebsrat sagte: ›Wenn wir auf die Bedingungen des Arbeitgebers eingehen, müssten KollegInnen in der Toplader-Produktion für den halben Lohn arbeiten, da verhandeln wir gar nicht, die sollen ins Ausland gehen‹. Jetzt haben sie eine kleine Topladerfabrik in Tschechien mit 100 Beschäftigten, und in Gütersloh haben 80 Leute ihren Arbeitsplatz verloren – aber 80 von 4800! Die anderen 4720 haben dieselben Bedingungen wie zuvor! Das ist doch viel besser!

Jeder weiß, dass es nix bringt: 40 Stunden ohne Lohnausgleich usw.

Es bringt nix, aber es macht schlechte Stimmung!

Für die Klasse, ja. Es gibt so viele Beispiele dafür, dass es nix gebracht hat, solche Angebote zu machen. Die sollen abhauen! Das einzige, was sie von uns erwarten können, ist ein Arschtritt! Vielleicht sollte man die sogar drängen abzuhauen! Gut ist, dass wir eine Stimmung geschaffen haben, wo der Betriebsrat nicht viel Zugeständnisse machen kann. Letztendlich wird bei den Gesprächen ein fauler Kompromiss rauskommen.

Wenn gar nichts rauskommt, ist es doch für euch am besten, dann habt ihr noch anderthalb Jahre dieselben Bedingungen, braucht Euch nicht mehr den Arsch aufreißen – warum denn noch? Könnt auch mal öfter krank machen . Ihr habt nichts zu verlieren und sitzt am längeren Hebel. Ihr könntet sogar streiken und sagen: Das Werk könnt Ihr ruhig schließen, aber wir wollen im letzten Jahr 10 Prozent mehr Lohn, damit das Arbeitslosengeld ein bißchen höher wird!

Ja klar! Wir haben im Moment allerdings das Problem, dass die Leute Angst vor außergesetzlichen Aktionen haben, weil sie auf die Abfindung spekulieren. Deshalb sind »legale Aktionen« im Moment wichtig: ausgedehnte Konsultation des Betriebsrats, oder wir haben z.B. eine interne Tarifkommission gegründet, die unsere Forderungen diskutiert: drei Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr, zwei Jahre volle Auffanggesellschaft, ab 50 Fortfinanzierung bis zur Rente. Und nachdem die Leute diese Forderungen kennen, wollen sie, dass es dicht gemacht wird. Bei den Angestellten sieht es schon anders aus: die würden auch unter schlechteren Bedingungen weiterarbeiten; bei den ArbeiterInnen ist diese Position in der Minderheit: Höchstens 30 Prozent würden schlechtere Bedingungen akzeptieren, 70 nicht. Der Betriebsrat hat auch die Stimmung in der Belegschaft falsch eingeschätzt. Die kamen auf der Betriebsversammlung mit Sprüchen wie ›Wir haben keine Tabuthemen!‹ – da haben einige ArbeiterInnen ganz klar geantwortet: ›Wir haben Tabuthemen! Vielleicht der Betriebsrat nicht, aber wir schon!‹

Ihr habt seit Anfang Mai beeindruckende Mobilisierungen hingelegt. Am 4. Mai haben sie es euch mitgeteilt, am 9., 12. und 19. Mai habt ihr Protestkundgebungen mit Hunderten KollegInnen vorm Werkstor gemacht. Am 26. Mai demonstrierten mehr als 1000 Arbeiter von anderen Siemens-Werken, von Osram, DaimlerChrysler, BMW, CNH, Schleicher und Alstom Power zum BSH, um Euch ihre Unterstützung auszudrücken. Vor dem BSH-Werkstor hatte sich bereits die gesamte Schicht eingefunden und nahm sie in Empfang. Am 31. Mai sind 1000 ArbeiterInnen aus verschiedenen BSH-Standorten in Deutschland nach München gefahren, um vor der Konzernzentrale gegen die geplante Schließung des Waschmaschinenwerks zu protestieren. Die feigen Managersocken sagten daraufhin die für diesen Tag geplante Bilanzpressekonferenz ab. Am 23. Juni habt Ihr mit einem Fest vor dem Tor die KollegInnen in die Sommerferien verabschiedet; 500 Leute, gute Stimmung – Wie geht‘s weiter?

Realistisch gesehen werden jetzt erstmal Sommerferien sein, danach werden wir weiter sehen.

Wenn Ende 2006 die Produktion eingestellt wird, bist Du 41 und seit Deinem 18. Lebensjahr in der Fabrik. Was machst Du danach?

Das weiß ich nicht. Ich hab mir nichts überlegt. Dönerbuden gibt es in Berlin schon genug. Und ich hab ja auch nichts gelernt, ich bin typische zweite Generation. Als ich angefangen habe, brauchte ich Geld für meinen Führerschein, den hab ich gemacht, dann brauchte ich Geld für ein Auto. Aber als ich ein Auto hatte, hab ich weitergearbeitet, weil ich inzwischen geheiratet hatte und von zuhause ausziehen wollte. Trotzdem haben wir damals immer gesagt »höchstens noch ein oder zwei Jahre!« – und die alten Kollegen haben gelacht.

Was überlegen sich die Kollegen?

Wir haben ein Durchschnittsalter von über 40. Die meisten wollen nach zwanzig Jahren Fließbandarbeit erstmal nicht mehr arbeiten, ›erstmal Ruhe!‹. Früher oder später werden 99 Prozent der Produktionsarbeiter in Hartz IV landen, sie haben keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Und die meisten haben auch nix sparen können, was willst du denn von 1500 Euro sparen? Vielleicht kriegen sie mit der Abfindung mal ein Stück Geld in die Hand. Die meisten werden Langzeitsarbeitslose werden.




Über die Kämpfe in der zweiten Hälfte der 80er Jahre haben wir immer mal wieder in der Wildcat berichtet. Hingewiesen sei insbesondere auf drei Artikel:

Wildcat 49, Februar 1990: »Gestern – Heute – Morgen und unsere Bauchschmerzen. ArbeiterInnenkämpfe in einer Berliner Fabrik«.

Wildcat 47, Sommer 1989: Gespräch: »Berlin: Arbeiter haben keine Länder«
und ein Interview: »Den Leuten zeigen, wie sie kämpfen können«

Wildcat 46, Winter 1989: Gespräch: »… wer am Band auf unserer Seite steht«



aus: Wildcat 74, Sommer 2005



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