Wildcat Nr. 66 - Juli 2003 - S. 70-75 [w66opera.htm]


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Renaissance des Operaismus

Teil 2 der Trilogie

In der letzten Wildcat Nr. 64/65 (März 1995) haben wir Teil 1 eines auf mehrere Folgen angelegten Artikels über den Operaismus veröffentlicht. Er behandelt ausführlich (und immer noch lesenswert ;-)) die Ursprünge des Konzepts der »Arbeiteruntersuchung« und die ersten Erfahrungen damit Anfang der sechziger Jahre in Italien. Damals waren gerade Bücher über den Operaismus in Westdeutschland und die sechziger und siebziger Jahre in Italien erschienen. Gleichzeitig lief die Diskussion über Karl Heinz Roths Buch Die Wiederkehr der Proletarität. Wir wollten seine Thesen über die Angleichung der weltweiten Klassenverhältnisse und das Entstehen einer Weltarbeiterklasse als Ausgangspunkt für eine Militante Untersuchung benutzen. Doch Roths Idee der »proletarischen Zirkel«, die WissenschaftlerInnen, Linksgewerkschafter und Basisinitiativen zusammenzubringen sollten, scheiterte. Danach gab es lange Zeit in der Linken keinen Bedarf mehr an Operaismus.
Dies änderte sich, als das Buch Empire von Michael Hardt und Toni Negri erschien. Seither ist »der Operaismus« wieder in der Debatte. Paradoxerweise stricken an diesem Revival vor allem Leute mit, die sich gerade nicht mehr auf »Klasse« und Revolution beziehen - von daher fehlen die beiden Stränge, die »den Operaismus« für uns immer interessant machten: das Konzept der Klassenzusammensetzung und die Bemühungen um eine Arbeiteruntersuchung.

Was fasziniert an Empire?

Das neue Interesse an »revolutionärer Theorie« kommt aus zwei Richtungen: das abrupte Ende der New Economy und die scharfe Krisenentwicklung bringen einige postmoderne Theoretiker auf den Boden der (kapitalistischen) Tatsachen zurück. Die neue Bewegung begreift den Kapitalismus wieder als etwas Materielles, als Ausbeutung von Menschen, und will mehr darüber erfahren. Sie will die Welt verändern. Empire bietet beides: es wendet sich an den »Militanten« und es fasziniert den postmodernen Theoretiker, es analysiert und es macht Hoffnung.

Das Buch stellt Zusammenhänge her, die vielen verloren gegangen sind. Es zeigt, dass die Globalisierung, das neue Herrschaftssystem, neue Produktionsmethoden und die neuen Kriege zusammengehören, und dass es gegen jede Entwicklung eine Gegenentwicklung gibt. Obwohl das Kommando über Leben und Tod, Ausbeutung, Armut usw. behandelt werden, verbreitet Empire Optimismus. Es ist eine große Erzählung, in der virtuelle Figuren von Massenarbeitern, gesellschaftlichen Arbeitern, Armen, Migranten, immateriellen Arbeitern - Stufe für Stufe gegen das Ungeheuer kämpfen, das diese Kämpfe immer wieder vereinnahmen will und sich dazu immer wieder neu formiert. Aber am Ende wird es ausgehöhlt in sich zusammenfallen.

Mit seinem poststrukturalistischen Vokabular spinnt Empire den operaistischen Faden so weiter, wie das Negri seit den siebziger Jahren betreibt. Das Buch stellt scheinbar materialistisch einen Zusammenhang her zwischen Produktionsweise und Rebellionsweise, indem es aus der globalen Bewegung, aus den weltweiten Strömen der ArbeitsmigrantInnen und der Organisation der Arbeit in den fortgeschrittensten kapitalistischen Bereichen ein neues Subjekt konstruiert: die »Multitude« oder »Menge«, der sich jede und jeder zugehörig fühlen kann. Aber die Periodisierung der kapitalistischen Entwicklung und der Klassenkämpfe ist keine wirkliche Analyse. Wenn Negri die Periode streift, in der »der Massenarbeiter« das »ziehende Subjekt« der Kämpfe war und das Kapital in die Krise gebracht hat, dann ist das nur eine Legitimationsfolie, um seine neuen Thesen nach hinten abzusichern. Nicht eben originell und noch dazu falsch behauptet er eine neue Produktionsweise: den Postfordismus. Diesem wird ein (postfordistisches) Subjekt zugeordnet: »immaterielle Arbeiter« oder »affektive Arbeiter«, die nun die fortgeschrittensten Sektoren ausmachen sollen. Die Fabrikarbeit wachse zwar weltweit weiterhin an, spiele aber nicht mehr die bestimmende Rolle für den Kapitalismus und v.a. für die Kämpfe dagegen. Schon Negris Begriff vom »Massenarbeiter« ist eine reine Verballhornung, als wäre dieser jemals ein homogenes Subjekt gewesen. In der Geschichte wird er weit nach hinten geschoben - so als hätten die Kämpfe in den Fabriken heute keine Bedeutung mehr. So passt das Buch gut zur Ideologie des Neoliberalismus, der in den letzten Jahren recht erfolgreich kollektive Verhaltensweisen verdrängt hat. Hardt und Negri haben ihr Buch auf dem Höhepunkt der New Economy geschrieben, die sie zusammen mit anderen Ex-Operaisten (Marazzi!) für die neue Stufe des Kapitalismus hielten, in der das Wertgesetz nicht mehr gilt und sich Wert aus dem Nichts schöpfen lässt. Wenn Kapital nicht mehr auf Arbeit beruhte, konnte das Ende der Arbeit nicht mehr fern sein.

Negri hält auch in Empire daran fest, den (Weg zum) Kommunismus im Handeln der heutigen Menschen selbst zu suchen - das finden wir richtig. Er lehnt es ab, die Revolution und die kommunistische Gesellschaft in eine ferne Zukunft oder in ein Außerhalb zu verlagern. Befreiung könne nur innerhalb der Welt erreicht werden, der Postfordismus habe kein Außerhalb mehr. Aber um diesen Gedanken der Immanenz stark zu machen, gibt er den Antagonismus auf. Er sieht in der Zusammenarbeit der »immateriellen Arbeiter« die Selbstproduktion des Subjekts. Auf der Suche nach theoretischen Bezugspunkten landet er beim affirmativen Bezug auf die frühbürgerliche Gesellschaft in Holland als Grundlage der Demokratie (Spinoza). Damit steht das Konzept der »Multitude« dem »operaistischen« Konzept der Klassenzusammensetzung diametral gegenüber. Mit Empire ist der Operaismus, der einst den Verfechtern der »Entwicklung der Produktivkräfte« seine radikale Kritik der kapitalistischen Maschinerie entgegengeschleudert hatte, am Ende seiner Geschichte angelangt: an die Stelle der Analyse setzt er den Glauben - u.a. an eine technische Entwicklung, die zum Kommunismus führen wird - oder schon geführt hat?

Manche sehen den Wendepunkt des Operaismus bereits 1971, als Negris Strömung auf den bewaffneten Aufstand setzte. Andere sehen ihn in den Thesen vom neuen Subjekt - dem »gesellschaftlichen Arbeiter« - die Negri Mitte der siebziger Jahre ausgab, als in Italien eine Jugendbewegung losging, die mit der alten Arbeiterbewegung brach: StudentInnen wurden zu »gesellschaftlichen ArbeiterInnen« und damit zu »den Subjekten« der neuen Epoche. Diese politische These diente der Bewegung dazu, sich selbst als die neue Klassenzusammensetzung zu inszenieren und nicht mehr nach dem Zusammenhang der Klassenbewegung zu schauen. Es war eine Inversion des Begriffs »Klassenzusammensetzung«.

Die Suche nach dem Subjekt

Der revolutionäre Marxismus nach dem Zweiten Weltkrieg hat versucht, auf drei Fragen neue Antworten zu finden: auf die Frage nach dem Subjekt, die Frage nach der Klasse (also die Frage, wer diese Welt revolutionär verändern kann und wo sich ein kollektives Subjekt konstituiert, das diesen Prozess in Gang setzen kann) und die Frage nach der eigenen Rolle im revolutionären Prozess. Die Antworten des Operaismus finden wir nach wie vor am interessantesten.

Auf die Frage nach dem Subjekt gab es im wesentlichen drei Antworten: die Apologie des bürgerlichen Subjekts des 19. Jahrhunderts (Frankfurter Schule), die Ablehnung des Subjekts (Strukturalismus/Mainstream des modernen Marxismus) und das Konzept der Klassenzusammensetzung.

Das Konzept Klassenzusammensetzung kritisiert den falschen Materialismus, der aus der vorgefundenen gleichen ökonomischen Lage der Arbeiter im Kapitalismus den Klassenkampf ableitet. Gleichzeitig ist es eine Kritik an einem philosophischen Klassenbegriff, der die Klasse als den reinen Antagonisten setzt, als das Subjekt, das rebelliert und sich für eine Seite entscheidet, unabhängig von den vorhandenen Produktionsbedingungen. Klassenzusammensetzung schlägt eine Brücke zwischen (revolutionärer) Subjektivität und den materiellen Bedingungen. Die Vorarbeit hatte Marx in den Thesen über Feuerbach geliefert, in denen er die menschliche Tätigkeit als etwas Materielles erkennt. Deshalb kann das Subjekt der Veränderung nicht einseitig in einem vom Menschen unabhängigen Materiellen noch in einem vom Materiellen unabhängigen Ideellen gesucht werden, sondern nur im Zusammenfallen des Veränderns der Menschen selbst, ihres Handelns und Denkens, mit dem Verändern der Umstände. (»Immanenz«!)

Die Antwort der Operaisten war fruchtbarer als die beiden anderen, weil sie direkt aus den ablaufenden Kämpfen entwickelt war: Der Klassenkampf wirkt nicht von außerhalb auf »das Kapital« ein, sondern er konstituiert das Kapitalverhältnis. Der Klassenkampf drückt sich nicht nur in einer geschichtlichen Kette von Konflikten, Kämpfen und Aufständen aus, sondern auch in der Akkumulation des Kapitals, in seiner »organischen Zusammensetzung«, wie Marx das nannte.

Auf die Frage, welche Rolle wir in diesem Prozess einnehmen können, hat der Marxismus-Leninismus eindeutige Anworten gegeben: die Organisierung in einer Kaderpartei, getrennt von der Arbeiterklasse, aber mit dem Anspruch, ihr das richtige »Klassenbewusstsein« beizubringen. Diese Grundidee erlebt bis heute immer wieder neue Blüten.

Konträr dazu steht die Position der Rätekommunisten, die jeden Gedanken an eine »besondere Rolle« von linken Aktivisten in Klassenkämpfen, an eine »Intervention von außen« ablehnen. Ihre eigene Rolle sehen sie allein darin, den Arbeitern Informationen zu Verfügung zu stellen.

Die Kritik der Schule der Klassenzusammensetzung am bürgerlichen Subjektbegriff lässt sich in der Formulierung zusammenfassen: Die einzige materielle Grundlage, von der aus man von Subjekt sprechen kann, ist die Klassenzusammensetzung. D.h. es geht um ein kollektives Subjekt, das sich unter den Bedingungen einer bestimmten Produktionsweise im Kampf gegen das Kapitalverhältnis konstituiert. Eine materialistische Analyse des Subjektes muss über die Analyse der Klassenzusammensetzung gehen. Wer die Gesellschaft revolutionär verändern will, muss sich zu ihr in Beziehung setzen.

Operaismus: von der Methode zur Theorie zur Philosophie

Der Begriff Klassenzusammensetzung wurde in den ersten Arbeiteruntersuchungen in Turin entwickelt. Ziel war es, mit den ArbeiterInnen zusammen die Bedingungen in der Fabrik, die Verhaltensweisen und die politische Subjektivität der ArbeiterInnen im jeweiligen historischen Moment zu erfassen. Dafür gab es anfangs noch keine Kategorien außer denen der Soziologie, die kritisiert oder umgedreht werden mussten. Im Lauf der Zeit wurde eine sehr präzise neue Begrifflichkeit entwickelt, die nicht bei der Bestandsaufnahme stehenbleibt, sondern im Moment des Kampfes dialektisch umgedreht werden kann. Klassenzusammensetzung wurde der zentrale Begriff, der nicht nur für die Analyse, sondern später auch in der Agitation eine wichtige Rolle spielte. So nahm er ganz unterschiedliche Bedeutungen an, je nachdem, welches Adjektiv hinzugefügt wird oder wer ihn verwendet. Es lassen sich drei Ebenen unterscheiden.

Zunächst wurde damit die soziale Klassenstruktur oder auch die »technische Zusammensetzung« der Klasse bezeichnet. Das ist keine Soziologie, sondern darin steckt die These, dass einer bestimmten »technischen« oder »organischen Zusammensetzung« des Kapitals eine bestimmte »technische Zusammensetzung der Klasse« entspricht, was z.B. Qualifikation, Herkunft und Altersstruktur betrifft. Das bezieht sich zum einen auf die Maschinerie und die Arbeitsorganisation im Betrieb - ob sie etwa eine bestimmte Qualifikation (Metallfacharbeiter) erfordert oder aber auch von Bauern bedient werden kann, je nachdem, welche Arbeiterschichten neu in die Fabrik rekrutiert werden sollen. Die Quaderni Rossi - die Zeitschrift um die sich das Turiner Untersuchungsprojekt gruppierte - gingen aber nicht vom Einzelbetrieb und seinem Produktionsprozess aus, sondern stellten immer den Zusammenhang zum Verwertungsprozess und zum »kapitalistischen Plan« her. Untersucht wurde die Kooperation der ArbeiterInnen in der konkreten Arbeit, aber der Blick erfasste auch die Reproduktion dieser Klassenzusammensetzung, die Familie, die Wohnung, die Freizeit und wie die Arbeiter sich selbst sahen - in der damaligen Sprache »in Bezug auf die Einheit von Fabrik, Gesellschaft und Staat«. Während die »technische Zusammensetzung der Klasse« genau den Ausschnitt der Klasse erfassen will, auf den das Kapital den Akkumulationsprozess zu stützen versucht, definiert die »politische Zusammensetzung der Klasse« den materiell bestimmten Charakter ihres Antagonismus: ihre Verhaltensweisen, ihre Kampfkultur. Dies ist nur ausgehend von den Kämpfen möglich.

Die zweite Bedeutung des Begriffs »Klassenzusammensetzung« oder auch »Neuzusammensetzung« meinte die Antizipation von Entwicklungen und Kämpfen, Organisierung und »politische Führung«. Aus der unerwartet starken Beteiligung der ungelernten »Massenarbeiter« an den Streikbewegungen Anfang der sechziger Jahre in Turin und ihren radikaleren Kampfformen schloss man auf einen »autonomen Willen« der Bewegung zur »Neuzusammensetzung, als Bedürfnis des politischen Willens zur Vereinheitlichung«. Der Ausdruck »Klassenzusammensetzung des Massenarbeiters« enthält die politische These, dass die Massenarbeiterkämpfe in jener Periode die politische Hegemonie über die gesamte Klasse annehmen.

Die dritte Ebene, auf die der Begriff angewendet wurde, war die politische Vereinheitlichung der Klasse, die Überwindung von Atomisierung der Arbeiter und von inneren Spaltungen: die »Neuzusammensetzung«. Diese Aufgabe wies man damals »der Partei« zu. Wer in den siebziger Jahren den Begriff »Klassenzusammensetzung« in die Diskussion warf, meinte ein Avantgarde-Konzept. Denn Operaismo oder »Arbeiterwissenschaft«, bedeutet zwar »von der Arbeiterseite ausgehen«, aber man meinte damit nicht die »Selbstorganisation« der Arbeiter. Träger der Arbeiterwissenschaft ist der Intellektuelle oder die Partei, auch wenn ihr nur die Aufgabe der Taktik zugewiesen wurde, während man die »Strategie« in der Klasse sah.

Negris »Klassenzusammensetzung des gesellschaftlichen Arbeiters« war die politische Antizipation einer erwarteten Entwicklung des Klassenkampfs durch bewaffnete Aktionen. Damit hatte der Operaismus seinen materiellen Bezugspunkt verlassen. Der Begriff Klassenzusammensetzung wurde wie ein Universalschlüssel verwendet, mit dem jede Situation erklärt und umgedreht werden konnte, ganz wie es der dialektische Marxismus früher praktiziert hatte.

Bei diesen Auseinandersetzungen handelte es sich nie um reine »Theorie«, sondern um ein praktisch-politisches Verhältnis zur Arbeiterklasse, um in den Klassenkampf eingreifen zu können. Über den Charakter dieses Eingreifens gab es schon in den ersten Jahren harte Auseinandersetzungen. Das Schwanken zwischen einem Konzept von Arbeiterautonomie, das auf die Selbsttätigkeit der Klasse unabhängig von Parteien und Gewerkschaften setzte, und dem Rekurs auf ein avantgardistisches Organisationskonzept (sei es als Entrismus in die KP oder als kadermässig organisierte neue Partei) kennzeichnete die Strömung von Anfang an.

Trotzdem war die Gruppe um die Zeitschrift Quaderni Rossi Anfang der 60er Jahre in der Lage, durch eine sehr präzise Auseinandersetzung mit der damaligen Arbeitsorganisation in der Fabrik, mit den Verhaltensweisen der ArbeiterInnen und der kapitalistischen Verwertung eine kritische Analyse auf der Höhe der Zeit zu leisten. Und sie versuchte, ihre direkten Beobachtungen über den Charakter des Arbeiterkampfs in eine politische Lektüre der Marxschen Schriften einzubringen, um so den orthodoxen Marxismus zu überwinden. Aus dieser Marx-Lektüre entstanden wichtige Analysen über den kapitalistischen Charakter der Maschinerie und die moderne Fabrik als Despotismus des Kapitals.

In vielen Diskussionsansätzen gingen diese frühen Operaisten weit über ihre Zeit hinaus, versuchten Entwicklungen vorwegzunehmen, wie die Wandlung der Fabrikstadt zur »Fabrikgesellschaft« oder die Einbeziehung des gesamten Territoriums in den kapitalistischen Verwertungszyklus. Sie analysierten die sogenannte Tertiarisierung der Produktion als umfassende Proletarisierung. Aus diesen Analysen wurden unterschiedliche Schlüsse gezogen. Während Tronti allein die Fabrik als das Kampfterrain der Arbeiterklasse bestimmte, dem sich alle anderen Kämpfe in der Gesellschaft unterzuordnen hatten, hatte Panzieri ein viel traditionelleres Verständnis einer Verbindung zwischen Arbeiterklasse und anderen gesellschaftlichen Kämpfen. Während die eher libertäre Komponente der Gruppe sich nur als »Briefträger der Arbeiter« und Unterstützer ihrer Kämpfe sah, betrieb eine andere Komponente den Aufbau einer neuen Partei oder wollte die KPI erneuern.

Dass die Revolten in den Fabriken Italiens so heftig waren, hatte mit der besonderen Situation in Italien Mitte der sechziger Jahre zu tun: ein in der Krise steckendes Kapital, basierend auf Automobil- und Leichtindustrie, das seinen neuen Akkumulationszyklus ohne neue Investitionen in Maschinerie alleine aus der intensivierten Ausbeutung der ArbeiterInnen zustandebringen wollte; der Aufeinanderprall von Proletariern aus dem bäuerlichen Süden mit der Fabrikdisziplin, rassistischen Vorgesetzten, despotischen Unternehmern und Gewerkschaften, die sie nicht ernst nahmen. Aus all diesen Gründen nahm der Arbeiterkampf in Italien die Form einer Rebellion gegen die Fabrikarbeit an, die die alten gewerkschaftlichen Vermittlungsformen überrannte. Wer in der Arbeit keinerlei positiven Inhalt entdecken kann, sie nur als Fron erlebt, kämpft direkt gegen die Arbeit. Dieser historische »Kampf gegen die Arbeit« wird entpolitisiert, wenn wir ihn als naturgegebene Arbeitsverweigerung verstehen.

Die Partei Potere Operaio sah 1969 im Kampf für mehr Lohn das Zusammenfallen von ökonomischem und politischem Kampf: wenn die Arbeiter immer mehr Lohn fordern, treiben sie damit die Mehrwertproduktion in die Krise. Dem »politischen Lohn« steht keine Gegenleistung in Form von Arbeit gegenüber, er ist lediglich eine Machtfrage. Die historische Erfahrung, dass die Arbeiter 1969-1973 weiterkämpften, auch als das Kapital in der Krise war, wurde als Entkoppelung des Lohns von der Kapitalreproduktion thematisiert. Aus historischen Kampferfahrungen lassen sich aber keine allgemeingültigen Aussagen ableiten. Sie führen zu Dogmatismen und einer »Philosophie der Arbeiterklasse«.

Der Kampf zweier Mächte

Der operaistischen Krisentheorie lag ursprünglich die Untersuchung historischer Krisenzyklen zugrunde, in denen man den Zusammenhang zwischen Arbeiterkampf und Krise des Kapitalismus herstellen konnte. Sie haben die Krise seit Mitte der sechziger Jahre richtigerweise als von Arbeiterkämpfen hervorgebracht analysiert, daraus dann aber einen historischen Allgemeinplatz gemacht. Weil er alles nach diesem Schema zu erklären versuchte, erstarrte der Operaismus in den siebziger Jahren in dieser schlechten Dialektik: Angriff der Arbeiter, Gegenangriff des Kapitals, Restrukturierung und Klassenneuzusammensetzung. Diese Sichtweise des Klassenkampfs als Ping-Pong-Spiel zieht sich durch den Operaismus von Anfang der siebziger Jahre über den amerikanischen Operaismus à la Zerowork bis hin zum »Empire«, das vom »Gegenempire« bekämpft wird.

Bis 1973 war es einfach, die Welt nach diesem Schema zu interpretieren. Mit dem drastischen Rückgang offener Arbeiterkämpfe in den Jahren danach wurde dies immer schwieriger. Viele Wildcat-Editorials aus den achtziger Jahren sind Zeugnis solcher Bemühungen, aus den Reaktionen der Kapitalseite auf einen untergründigen Klassenkampf zu schließen. Um »der Klasse« weiterhin die Offensive zuzuweisen und die Angriffe des Kapitals als Reaktion darauf zu interpretieren, wurden die »untergründigen Kämpfe« und die »antagonistischen Verhaltensweisen« bemüht: die Verweigerung der Arbeit, der Absentismus, die Flucht aus der Fabrik, die Flucht in Selbständigkeit und Schwarzarbeit.

All diese Haltungen machen den Kapitalisten das Leben schwer und die Ausbeutung teuer. Aber wenn wir alles auf einer Ebene sehen, verschwimmt völlig, was der Charakter von »Kämpfen« ist. Der tägliche Kleinkrieg, die gewerkschaftliche Tarifauseinandersetzung, die beharrliche Weigerung, für weniger als einen bestimmten Lohn zu arbeiten, sind etwas anderes als das Heraustreten aus dem Alltag, der kollektive Bruch mit herrschenden Regeln.

Die Sichtweise des Klassenkampfs als Kampf zweier unabhängiger Mächte, die sich völlig fremd gegenüberstehen, führt zu zwei falschen Schlussfolgerungen, die sich nur auf den ersten Augenschein diametral widersprechen. Auf der einen Seite wird das revolutionäre Subjekt völlig außerhalb der kapitalistischen Verwertung gesucht, romantisch verklärt in seiner revolutionären Unmittelbarkeit gegenüber der maschinenförmigen Logik des Kapitals. Auf der anderen Seite leiten sich daraus Formulierungen ab wie »Patt im Klassenkampf« oder »Klassendeal«, eine Hilfskonstruktion v.a. der amerikanischen Operaisten, um sich Stagnationsphasen im Klassenkampf damit zu erklären, dass die Klasse mit dem Kapital quasi ein Geschäft abschließt, in dem sie mehr Einkommen gegen Wohlverhalten eintauscht.

Aber Kapital und Arbeit existieren nicht unabhängig voneinander in getrennten Sphären. Das Kapital wird täglich von der Arbeiterklasse produziert, es existiert nicht ohne sie. Die Produktion des Kapitals ist auch die Reproduktion der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse ist Teil des Kapitals.

Arbeiteruntersuchung als Alternative zum Konzept Klassenbewusstsein

Der Operaismus ist seit mehr als 20 Jahren Geschichte, daran lässt sich nicht bruchlos anknüpfen. Die Diskussionen sind inzwischen sowohl über das (rätekommunistische) Briefträger- als auch über das (leninistische) Avantgardekonzept hinausgegangen. Aber für eine militante Untersuchung auf der Höhe der Zeit ist das Konzept »Klassenzusammensetzung« immer noch am besten geeignet. Die Klasse lässt sich nicht am Schreibtisch per Definition festlegen. Und das revolutionäre Subjekt findet sich nicht in moralischen Projektionen.

Die Zusammensetzung der Arbeiterklasse in Europa hat sich seit 1960 stark verändert. Durch die Wanderungsbewegungen findet eine ungeheuer beschleunigte Neuzusammensetzung statt, die von vielen internen Kämpfen gekennzeichnet ist - was auch vor 40 Jahren nicht anders war, als Westdeutschland zum »Mittelmeerland« wurde. Gleichzeitig wissen die ArbeiterInnen viel mehr über die Welt, als man sich das vor vierzig Jahren vorstellen konnte. Sie haben eine völlig andere Bildung, sind mehrsprachig, können kommunizieren, kennen andere Länder. Sie brauchen für viele Dinge keine Gewerkschaft, keine Parteiführer und keine Intellektuellen (mehr), sondern sind in der Lage, sich selbst zu organisieren.

Deshalb kann man nicht ewig und unhistorisch operaistische Thesen fortschreiben (wie z.B. die Arbeitsverweigerung der Massenarbeiter).

Heute gibt es wieder eine ganze Reihe von Untersuchungen, aber den meisten fehlt eine produktive Verzahnung von theoretischer Durchdringung, empirischer Erhebung und politischer Praxis, wie sie für die frühen Quaderni Rossi typisch war. Auf der einen Seite gibt es Untersuchungen, die vor allem die bereits existierenden eigenen Thesen untermauern sollen, wo vorher schon klar ist, was rauskommt. Oft sind solche »Selbstuntersuchungen« eher eine Identitätssuche, die Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeitssituation, um sich dann zum Beispiel als »Cognitariat« bezeichnen zu können. Auf der anderen Seite gibt es Gruppen, die partiell recht gute Untersuchungen machen, aber eine aufgeblasene Theorie daneben stellen, wo beides sich nicht aufeinander bezieht.

Wie können wir es vielleicht besser machen?

Dazu mehr im nächsten Heft.


Lesetipps

Zum Verständnis dieses Artikels ist die Lektüre des ersten Teils zu empfehlen: Renaissance des Operaismus, Teil I, Wildcat 64/65, März 1995. Das Heft ist noch zu haben!

Steve Wright: Storming Heaven. Class composition and struggle in Italian Autonomist Marxism. Pluto Press 2002 (das Kapitel »Negris Klassenanalyse - Die Metaphysik des 'gesellschaftlichen Arbeiters'« war schon in Wildcat-Zirkular 40/41, Dezember 1997, übersetzt).

Roberto Battaggia: Massenarbeiter und gesellschaftlicher Arbeiter - einige Bemerkungen zur neuen Klassenzusammensetzung, in: Wildcat-Zirkular 36/37, April 1997.

Artikel und Texte von Alquati und Panzieri findet Ihr auch auf: www.wildcat-www.de


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