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13.10.2022

Wahlen in Italien

In der Diskussion der Wahlen in Italien antwortet Cosimo Scarinzi auf Sergio Fontegher Bologna.

Die Linke und »ihre« Leute

In der italienischen Presse und im Denken vieler Genossinnen und Genossen selbst geht man heute von einer Trennung aus zwischen den Parteien und Organisationen der Linken und dem, was früher ihr gesellschaftlicher Bezugspunkt war. Ich denke, es lohnt sich, die strukturellen Gründe für diese Trennung zu hinterfragen, es sei denn, man möchte glauben, dass jemand abgelenkt war und vergessen hat, sich mit der Intervention auf dem Terrain der Klasse zu befassen.

Bekanntlich gab es in Italien vor Jahrzehnten die bedeutendste kommunistische Partei im Westen, mit Millionen von Mitgliedern, einer festen Verbindung zur wichtigsten Gewerkschaft, einem sehr dichten Netz von Volkshäusern, Untergliederungen im Betrieb und Stadtteil, und einer Hegemonie über große Teile der intellektuellen Welt. Links von der KPI gab es darüber hinaus in den 1970er Jahren eine Reihe von recht großen revolutionären Organisationen, die auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung mehr Aktivisten hatten als die KPI selbst, auch wenn ihre soziale Verwurzelung natürlich deutlich geringer war.

Die historischen Bedingungen dafür sind leicht zu verstehen: Das ungestüme Wachstum der Arbeitsproduktivität und folglich des Bruttoinlandsprodukts schuf Spielräume für höhere Löhne, die Ausweitung des Sozialstaats und die Eroberung von Rechten. Und das kam nicht von selbst; in den 1970er Jahren gab es einen außergewöhnlichen Zyklus von Arbeiterkämpfen, die sich mit einer Jugendrevolte verschränkten, und mit der Frauenbewegung zusammen zu einer ganz besonderen Bewegungserfahrung führten.

In diesem Kontext spielte die politische und gewerkschaftliche institutionelle Linke eine doppelte Rolle, einerseits als Einhegung und Disziplinierung des Klassenkonflikts, andererseits als Vermittler – was in dieser Phase jedenfalls wichtige Erfolge für die Arbeiter brachte.

In den folgenden Jahrzehnten gab es einige radikale Veränderungen, die ich sehr schematisch zusammenfasse:

- die Spielräume für Lohnerhöhungen schrumpfen massiv; es kommt zu einer - durch die »Globalisierung« begünstigte - Gegenoffensive der Arbeitgeber, die institutionellen Gewerkschaften »verwalten« diese und sichern sich dadurch Anteile an Ressourcen und Macht;

- die institutionelle politische Linke gibt alle sozialdemokratischen Praktiken auf (im Grunde war die KPI eine gemäßigte sozialdemokratische Partei in italienischer Soße, auch wenn sie eine kommunistische »Identität« und enge wirtschaftliche Beziehungen zur UdSSR pflegte) und wird zu einer liberalen Linken, die die Bürgerrechte verteidigt. Meiner Meinung nach war dies in gewisser Weise das Einzige, was sie tun konnte, wenn sie nicht den unwahrscheinlichen Weg einer Radikalisierung im Sinne der Arbeiter einschlagen wollte, das schien in einigen Momenten möglich, ist aber als Hypothese schon bei Tagesanbruch gestorben;

- die »revolutionäre« Linke schrumpft zur Bedeutungslosigkeit und kultiviert nur noch ihre Nostalgie für vergangene Zeiten;

- die »Bewegungen« entwickeln sich in Ermangelung einer Mobilisierung auf dem Terrain der Klasse autonom, manchmal auf interessante und manchmal auf fragwürdige Weise.

In dieser Situation ist die von Sergio Fontegher Bologna formulierte Hypothese einer »harte(n), kontinuierliche(n), dunkle(n) Arbeit, die einem niemand dankt, und die Jahre braucht, bevor sie Resultate liefert; eine Arbeit, die viel zu wenige weitergemacht haben« zweifellos richtig und die einzig mögliche, es sei denn, man will nur noch Gartenarbeit machen. Aber sie wirft einige Probleme auf.

Heute gibt es zwar Kämpfe, aber sie sind bestenfalls branchenbezogen, meistens betrieblich und lokal. Wir können dabei eine Rolle spielen und stimulieren, koordinieren, Kommunikation aufbauen..., aber wenn nicht wieder ein Zyklus allgemeiner Kämpfe in Gang kommt – was sicherlich nur minimal von der Subjektivität der GenossInnen abhängt –, kann die derzeitige Situation der Zersplitterung nur dazu führen, dass man sich in den unmittelbaren Problemen derjenigen einschließt, die sich mobilisieren.

Zum vorläufigen Abschluss möchte ich sagen, dass es heute darum geht, die zentrale Bedeutung des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren, in dem Bewusstsein, dass wir gegen den Strom und für die Zukunft arbeiten. Man weiß allerdings auch, dass das Wasser vor dem Sieden still ist und dass echte Bewegungen zuerst vor allem die Genossen und Genossinnen überrumpeln. Es geht darum, zur richtigen Zeit in der effektivsten Position zu sein.

Cosimo Scarinzi, Turin

 
 
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